Freude über das grosse Glükk eines Freundes, oder über ein bewundernswürdiges Beispiel einer Tugend, so man lebhaft schildert, Personen von empfindlichen Sin- nen, die Thränen häufig in die Augen. Und daß dieses die Traurigkeit bewirke, ist Jedermann bekandt.
Bei diesem Affekte vereinigt sich zugleich eine beson- dere Art des Athemholens, wobei das Blut mit mehr Schwierigkeit durch die Lunge fließt (k); doch geschicht dieses nicht nothwendiger Weise: denn es laufen auch, ohne solches mit einem Geschrei vermischtes Weinen, stil- le Thränen von den Wangen der Frauenszimmer häufig herab, da doch bei viel grössern Hinderungen des Blu- tes in der Lunge (l), und so gar im Seitenstechen selbst, keine Thränen zum Vorschein kommen. Jch kann mir auch nicht vorstellen, daß die Menge der zum Kopfe gestiegenen Feuchtigkeiten, durch Abfluß der Thränen auf eine ansehnliche Art, vermindert werden könne (m). Eben so wenig scheinen, bei dieser Erregung der Thränen, die Muskeln viel zu thun zu haben (n): denn man wird, ausser einem mäßigen Verschliessen der Augen, welche das sich selbst überlassene obere Augenlied verrichtet, kaum etwas mehr dabei beobachten können (o). Es hat aber das Erheben der Mitte an der Unterleffze das Niederlassen der Seiten, und der unter dem Auge lie- genden Theile, keine Macht über die Thränenwege.
Man sagt, daß auch Thiere in traurigen Affekten weinen, wenigstens sollen dieses die Pferde (p), Hir- sche, der träge Vogel (q), und die Schildkröte (r) thun;
und
(k)[Spaltenumbruch]
Ein langes Einathmen, mit unvollkommenem Ausathmen, sie- he L. VIII. p. 308.
(l)L. VIII. p. 309.
(m)PARSONS p. 81.
(n)R. WHYTT essays p. 25.
(o)SCHREIBER de lacrumis [Spaltenumbruch]
et fletu p. 8. PARSONS l. c. pag. 78.
(p)SCHNEIDER de catarrh. L. III. p. 371.
(q)QUIQUERAN laud. pro- vinc. p. 36. 37.
(r)LIGON barbad. p. 36.
Das Geſicht. XVI. Buch.
Freude uͤber das groſſe Gluͤkk eines Freundes, oder uͤber ein bewundernswuͤrdiges Beiſpiel einer Tugend, ſo man lebhaft ſchildert, Perſonen von empfindlichen Sin- nen, die Thraͤnen haͤufig in die Augen. Und daß dieſes die Traurigkeit bewirke, iſt Jedermann bekandt.
Bei dieſem Affekte vereinigt ſich zugleich eine beſon- dere Art des Athemholens, wobei das Blut mit mehr Schwierigkeit durch die Lunge fließt (k); doch geſchicht dieſes nicht nothwendiger Weiſe: denn es laufen auch, ohne ſolches mit einem Geſchrei vermiſchtes Weinen, ſtil- le Thraͤnen von den Wangen der Frauenszimmer haͤufig herab, da doch bei viel groͤſſern Hinderungen des Blu- tes in der Lunge (l), und ſo gar im Seitenſtechen ſelbſt, keine Thraͤnen zum Vorſchein kommen. Jch kann mir auch nicht vorſtellen, daß die Menge der zum Kopfe geſtiegenen Feuchtigkeiten, durch Abfluß der Thraͤnen auf eine anſehnliche Art, vermindert werden koͤnne (m). Eben ſo wenig ſcheinen, bei dieſer Erregung der Thraͤnen, die Muſkeln viel zu thun zu haben (n): denn man wird, auſſer einem maͤßigen Verſchlieſſen der Augen, welche das ſich ſelbſt uͤberlaſſene obere Augenlied verrichtet, kaum etwas mehr dabei beobachten koͤnnen (o). Es hat aber das Erheben der Mitte an der Unterleffze das Niederlaſſen der Seiten, und der unter dem Auge lie- genden Theile, keine Macht uͤber die Thraͤnenwege.
Man ſagt, daß auch Thiere in traurigen Affekten weinen, wenigſtens ſollen dieſes die Pferde (p), Hir- ſche, der traͤge Vogel (q), und die Schildkroͤte (r) thun;
und
(k)[Spaltenumbruch]
Ein langes Einathmen, mit unvollkommenem Ausathmen, ſie- he L. VIII. p. 308.
(l)L. VIII. p. 309.
(m)PARSONS p. 81.
(n)R. WHYTT eſſays p. 25.
(o)SCHREIBER de lacrumis [Spaltenumbruch]
et fletu p. 8. PARSONS l. c. pag. 78.
(p)SCHNEIDER de catarrh. L. III. p. 371.
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Das Geſicht. XVI. Buch.
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uͤber ein bewundernswuͤrdiges Beiſpiel einer Tugend, ſo
man lebhaft ſchildert, Perſonen von empfindlichen Sin-
nen, die Thraͤnen haͤufig in die Augen. Und daß dieſes
die Traurigkeit bewirke, iſt Jedermann bekandt.
Bei dieſem Affekte vereinigt ſich zugleich eine beſon-
dere Art des Athemholens, wobei das Blut mit mehr
Schwierigkeit durch die Lunge fließt (k); doch geſchicht
dieſes nicht nothwendiger Weiſe: denn es laufen auch,
ohne ſolches mit einem Geſchrei vermiſchtes Weinen, ſtil-
le Thraͤnen von den Wangen der Frauenszimmer haͤufig
herab, da doch bei viel groͤſſern Hinderungen des Blu-
tes in der Lunge (l), und ſo gar im Seitenſtechen ſelbſt,
keine Thraͤnen zum Vorſchein kommen. Jch kann mir
auch nicht vorſtellen, daß die Menge der zum Kopfe
geſtiegenen Feuchtigkeiten, durch Abfluß der Thraͤnen
auf eine anſehnliche Art, vermindert werden koͤnne (m).
Eben ſo wenig ſcheinen, bei dieſer Erregung der Thraͤnen,
die Muſkeln viel zu thun zu haben (n): denn man wird,
auſſer einem maͤßigen Verſchlieſſen der Augen, welche
das ſich ſelbſt uͤberlaſſene obere Augenlied verrichtet,
kaum etwas mehr dabei beobachten koͤnnen (o). Es
hat aber das Erheben der Mitte an der Unterleffze das
Niederlaſſen der Seiten, und der unter dem Auge lie-
genden Theile, keine Macht uͤber die Thraͤnenwege.
Man ſagt, daß auch Thiere in traurigen Affekten
weinen, wenigſtens ſollen dieſes die Pferde (p), Hir-
ſche, der traͤge Vogel (q), und die Schildkroͤte (r) thun;
und
(k)
Ein langes Einathmen, mit
unvollkommenem Ausathmen, ſie-
he L. VIII. p. 308.
(l) L. VIII. p. 309.
(m) PARSONS p. 81.
(n) R. WHYTT eſſays p. 25.
(o) SCHREIBER de lacrumis
et fletu p. 8. PARSONS l. c.
pag. 78.
(p) SCHNEIDER de catarrh.
L. III. p. 371.
(q) QUIQUERAN laud. pro-
vinc. p. 36. 37.
(r) LIGON barbad. p. 36.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/760>, abgerufen am 22.11.2024.
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