habe auch die Probe gemacht, und bin dadurch überzeu- get worden, daß ich mich nur eines Auges bediene, ob ich sie gleich beide offen habe. Jch halte mir eine Nadel vor das rechte Auge, ich schliesse dieses zu, und ich sehe diese Nadel mit dem linken Auge. Plözzlich mache ich das linke Auge zu, und öfne das rechte, so verrichtet die Nadel einen deutlichen Sprung auf die linke Hand. Jch öfne hierauf beide Augen wieder, so ändert sich die Laage der Nadel nicht im geringsten, und diese Laage müste doch, in den Raum mitten zwischen den Augen überge- gangen sein, wofern ich mich der beiden convergirenden Achsen der Augen zum Sehen bediente.
Darum aber sehen wir doch niemals (q) mit beiden Augen, denn wir sehen mit dem linken Auge dasjenige (r), was das rechte Auge nicht sehen kann, und folglich nehmen wir mit beiden Augen, wie man sagt, ein grösse- res Feld ein, wir entdekken an einerlei Object mehrere Theile und mehrere Objecte, wir urtheilen von der Di- stanz besser (s), und sehen endlich zwar nicht doppelt so hell (t), aber doch etwas heller (u). Daher sagen einige berühmte Männer unserer Zeit, daß sie sich beider Au- gen zum Sehen bedienen (x).
Was mich betrift so bediene ich mich offenbar eines einzigen Auges zum Lesen, Schreiben, oder zu den Ver- grösserungsgläsern, und ich könnte mich nicht des linken bedienen, indem dasselbe von der alten Ruhe so weichlich geworden, daß es von der geringsten Arbeit angegriffen
wird.
(q)[Spaltenumbruch]
Bisweilen sehen wir mit bei- den Augen. Idem. p. 423.
(r)IURIN p. 41. Mit beiden Augen sahe jemand doppelt, und mit einem einzigen sahe er recht. Fichet. de FLECHY obs. p. 129.
(s)Le CAT pag. 474. DES MOURS Mem. d' Edimb. I. p. 365. LEVERT art. de l'accouch. p. 277.
(t)[Spaltenumbruch]IURIN, PORTERFIELD T. I. p. 71. 101. BUFFON Mem. de 1743. pag. 240. Add. CHERU- BIN visparfaite Paris 1677.
(u)PORTERFIELD I. pag. 73. Add. LEVRET. art. d' accouch. l. c.
(x)Add. WEDEL de visione mit gedoppelten Augen. NOLLET lecons de phys. T. V. pag. 497. le CAT p. 425.
Das Sehen. XVI. Buch.
habe auch die Probe gemacht, und bin dadurch uͤberzeu- get worden, daß ich mich nur eines Auges bediene, ob ich ſie gleich beide offen habe. Jch halte mir eine Nadel vor das rechte Auge, ich ſchlieſſe dieſes zu, und ich ſehe dieſe Nadel mit dem linken Auge. Ploͤzzlich mache ich das linke Auge zu, und oͤfne das rechte, ſo verrichtet die Nadel einen deutlichen Sprung auf die linke Hand. Jch oͤfne hierauf beide Augen wieder, ſo aͤndert ſich die Laage der Nadel nicht im geringſten, und dieſe Laage muͤſte doch, in den Raum mitten zwiſchen den Augen uͤberge- gangen ſein, wofern ich mich der beiden convergirenden Achſen der Augen zum Sehen bediente.
Darum aber ſehen wir doch niemals (q) mit beiden Augen, denn wir ſehen mit dem linken Auge dasjenige (r), was das rechte Auge nicht ſehen kann, und folglich nehmen wir mit beiden Augen, wie man ſagt, ein groͤſſe- res Feld ein, wir entdekken an einerlei Object mehrere Theile und mehrere Objecte, wir urtheilen von der Di- ſtanz beſſer (s), und ſehen endlich zwar nicht doppelt ſo hell (t), aber doch etwas heller (u). Daher ſagen einige beruͤhmte Maͤnner unſerer Zeit, daß ſie ſich beider Au- gen zum Sehen bedienen (x).
Was mich betrift ſo bediene ich mich offenbar eines einzigen Auges zum Leſen, Schreiben, oder zu den Ver- groͤſſerungsglaͤſern, und ich koͤnnte mich nicht des linken bedienen, indem daſſelbe von der alten Ruhe ſo weichlich geworden, daß es von der geringſten Arbeit angegriffen
wird.
(q)[Spaltenumbruch]
Bisweilen ſehen wir mit bei- den Augen. Idem. p. 423.
(r)IURIN p. 41. Mit beiden Augen ſahe jemand doppelt, und mit einem einzigen ſahe er recht. Fichet. de FLECHY obſ. p. 129.
(s)Le CAT pag. 474. DES MOURS Mém. d’ Edimb. I. p. 365. LEVERT art. de l’accouch. p. 277.
(t)[Spaltenumbruch]IURIN, PORTERFIELD T. I. p. 71. 101. BUFFON Mém. de 1743. pag. 240. Add. CHERU- BIN visparfaite Paris 1677.
(u)PORTERFIELD I. pag. 73. Add. LEVRET. art. d’ accouch. l. c.
(x)Add. WEDEL de viſione mit gedoppelten Augen. NOLLET lecons de phyſ. T. V. pag. 497. le CAT p. 425.
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Das Sehen. XVI. Buch.
habe auch die Probe gemacht, und bin dadurch uͤberzeu-
get worden, daß ich mich nur eines Auges bediene, ob
ich ſie gleich beide offen habe. Jch halte mir eine Nadel
vor das rechte Auge, ich ſchlieſſe dieſes zu, und ich ſehe
dieſe Nadel mit dem linken Auge. Ploͤzzlich mache ich
das linke Auge zu, und oͤfne das rechte, ſo verrichtet die
Nadel einen deutlichen Sprung auf die linke Hand. Jch
oͤfne hierauf beide Augen wieder, ſo aͤndert ſich die Laage
der Nadel nicht im geringſten, und dieſe Laage muͤſte
doch, in den Raum mitten zwiſchen den Augen uͤberge-
gangen ſein, wofern ich mich der beiden convergirenden
Achſen der Augen zum Sehen bediente.
Darum aber ſehen wir doch niemals (q) mit beiden
Augen, denn wir ſehen mit dem linken Auge dasjenige
(r), was das rechte Auge nicht ſehen kann, und folglich
nehmen wir mit beiden Augen, wie man ſagt, ein groͤſſe-
res Feld ein, wir entdekken an einerlei Object mehrere
Theile und mehrere Objecte, wir urtheilen von der Di-
ſtanz beſſer (s), und ſehen endlich zwar nicht doppelt ſo
hell (t), aber doch etwas heller (u). Daher ſagen einige
beruͤhmte Maͤnner unſerer Zeit, daß ſie ſich beider Au-
gen zum Sehen bedienen (x).
Was mich betrift ſo bediene ich mich offenbar eines
einzigen Auges zum Leſen, Schreiben, oder zu den Ver-
groͤſſerungsglaͤſern, und ich koͤnnte mich nicht des linken
bedienen, indem daſſelbe von der alten Ruhe ſo weichlich
geworden, daß es von der geringſten Arbeit angegriffen
wird.
(q)
Bisweilen ſehen wir mit bei-
den Augen. Idem. p. 423.
(r) IURIN p. 41. Mit beiden
Augen ſahe jemand doppelt, und
mit einem einzigen ſahe er recht.
Fichet. de FLECHY obſ. p. 129.
(s) Le CAT pag. 474. DES
MOURS Mém. d’ Edimb. I. p. 365.
LEVERT art. de l’accouch. p. 277.
(t)
IURIN, PORTERFIELD
T. I. p. 71. 101. BUFFON Mém.
de 1743. pag. 240. Add. CHERU-
BIN visparfaite Paris 1677.
(u) PORTERFIELD I. pag. 73.
Add. LEVRET. art. d’ accouch. l. c.
(x) Add. WEDEL de viſione
mit gedoppelten Augen. NOLLET
lecons de phyſ. T. V. pag. 497.
le CAT p. 425.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 974. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/992>, abgerufen am 22.11.2024.
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