nes hies bei den Alten das natürliche Vermögen, dieses die Zeugungskraft.
Wir haben gezeiget, daß ein großer Theil von un- sern Flüßigkeiten durch die Ausdünstungen der Haut ver- loren gehe (a): daß nicht wenig von der Lunge ausgeatmet werde (b): man wird mehrmalen zeigen und wir haben es bereits erwänet, daß wir nicht weniger durch den Urin auswerfen (c); und ausserdem verlieren wir durch den Speichel, durch den Stul und andre Wege eine Men- ge von Flüßigkeiten. Da dieser gesammte Verlust, in einem Tage von vier und zwanzig Stunden, beinahe sechs Pfunde beträgt, so würde sich ein Mensch in kurzer Zeit verzehren, wofern dieser Abgang nicht durch eine neue Materie wieder ersezzt werden sollte. Es ist uns aber auch hinlänglich bekannt, daß ausserdem der Hun- ger und der Durst dringende Ursachen sind, die uns noch mehr nötigen, nicht ohne Speise und Trank zu bleiben. Dieses alles läst sich nicht wohl verstehen, wenn man nicht die Werkzeuge beschreibet in denen dieser zwiefache Jnstinkt seinen Sizz hat. Man kann indessen anneh- men, daß wir, so wie der Schmerz überhaupt (d) und die Wollust unserm Körper Gesezze vorschreiben, auch durch den Geschmakk angereizt werden, Speise und Trank zu uns zu nehmen (e) daß uns der Hunger, dieser grau- same Vater des Fleisses und der Durst dessen Forderun- gen noch unerträglicher sind, nebst dem unerträglichen Elende mit Gewalt zwingen unserm Körper beide Er- leichterungen zu verschaffen. Wir müssen aber diejenige Theile des Körpers beschreiben, durch welche Speise oder Trank geht, wenn beide den hinfälligen Körper zu Hülfe kommen sollen.
§. 2.
(a)[Spaltenumbruch]L. XII. sect. II.
(b)L. VIII. p. 353.
(c)L. XXVI. & L. XII. sect. II. [Spaltenumbruch]
p. 68.
(d)L. XVII. p. 577.
(e)L. XIII. p. 123.
Weg zum Magen. XVIII. Buch.
nes hies bei den Alten das natuͤrliche Vermoͤgen, dieſes die Zeugungskraft.
Wir haben gezeiget, daß ein großer Theil von un- ſern Fluͤßigkeiten durch die Ausduͤnſtungen der Haut ver- loren gehe (a): daß nicht wenig von der Lunge ausgeatmet werde (b): man wird mehrmalen zeigen und wir haben es bereits erwaͤnet, daß wir nicht weniger durch den Urin auswerfen (c); und auſſerdem verlieren wir durch den Speichel, durch den Stul und andre Wege eine Men- ge von Fluͤßigkeiten. Da dieſer geſammte Verluſt, in einem Tage von vier und zwanzig Stunden, beinahe ſechs Pfunde betraͤgt, ſo wuͤrde ſich ein Menſch in kurzer Zeit verzehren, wofern dieſer Abgang nicht durch eine neue Materie wieder erſezzt werden ſollte. Es iſt uns aber auch hinlaͤnglich bekannt, daß auſſerdem der Hun- ger und der Durſt dringende Urſachen ſind, die uns noch mehr noͤtigen, nicht ohne Speiſe und Trank zu bleiben. Dieſes alles laͤſt ſich nicht wohl verſtehen, wenn man nicht die Werkzeuge beſchreibet in denen dieſer zwiefache Jnſtinkt ſeinen Sizz hat. Man kann indeſſen anneh- men, daß wir, ſo wie der Schmerz uͤberhaupt (d) und die Wolluſt unſerm Koͤrper Geſezze vorſchreiben, auch durch den Geſchmakk angereizt werden, Speiſe und Trank zu uns zu nehmen (e) daß uns der Hunger, dieſer grau- ſame Vater des Fleiſſes und der Durſt deſſen Forderun- gen noch unertraͤglicher ſind, nebſt dem unertraͤglichen Elende mit Gewalt zwingen unſerm Koͤrper beide Er- leichterungen zu verſchaffen. Wir muͤſſen aber diejenige Theile des Koͤrpers beſchreiben, durch welche Speiſe oder Trank geht, wenn beide den hinfaͤlligen Koͤrper zu Huͤlfe kommen ſollen.
§. 2.
(a)[Spaltenumbruch]L. XII. ſect. II.
(b)L. VIII. p. 353.
(c)L. XXVI. & L. XII. ſect. II. [Spaltenumbruch]
p. 68.
(d)L. XVII. p. 577.
(e)L. XIII. p. 123.
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[4/0024]
Weg zum Magen. XVIII. Buch.
nes hies bei den Alten das natuͤrliche Vermoͤgen,
dieſes die Zeugungskraft.
Wir haben gezeiget, daß ein großer Theil von un-
ſern Fluͤßigkeiten durch die Ausduͤnſtungen der Haut ver-
loren gehe (a): daß nicht wenig von der Lunge ausgeatmet
werde (b): man wird mehrmalen zeigen und wir haben
es bereits erwaͤnet, daß wir nicht weniger durch den Urin
auswerfen (c); und auſſerdem verlieren wir durch den
Speichel, durch den Stul und andre Wege eine Men-
ge von Fluͤßigkeiten. Da dieſer geſammte Verluſt, in
einem Tage von vier und zwanzig Stunden, beinahe
ſechs Pfunde betraͤgt, ſo wuͤrde ſich ein Menſch in kurzer
Zeit verzehren, wofern dieſer Abgang nicht durch eine
neue Materie wieder erſezzt werden ſollte. Es iſt uns
aber auch hinlaͤnglich bekannt, daß auſſerdem der Hun-
ger und der Durſt dringende Urſachen ſind, die uns noch
mehr noͤtigen, nicht ohne Speiſe und Trank zu bleiben.
Dieſes alles laͤſt ſich nicht wohl verſtehen, wenn man
nicht die Werkzeuge beſchreibet in denen dieſer zwiefache
Jnſtinkt ſeinen Sizz hat. Man kann indeſſen anneh-
men, daß wir, ſo wie der Schmerz uͤberhaupt (d) und
die Wolluſt unſerm Koͤrper Geſezze vorſchreiben, auch
durch den Geſchmakk angereizt werden, Speiſe und Trank
zu uns zu nehmen (e) daß uns der Hunger, dieſer grau-
ſame Vater des Fleiſſes und der Durſt deſſen Forderun-
gen noch unertraͤglicher ſind, nebſt dem unertraͤglichen
Elende mit Gewalt zwingen unſerm Koͤrper beide Er-
leichterungen zu verſchaffen. Wir muͤſſen aber diejenige
Theile des Koͤrpers beſchreiben, durch welche Speiſe oder
Trank geht, wenn beide den hinfaͤlligen Koͤrper zu Huͤlfe
kommen ſollen.
§. 2.
(a)
L. XII. ſect. II.
(b) L. VIII. p. 353.
(c) L. XXVI. & L. XII. ſect. II.
p. 68.
(d) L. XVII. p. 577.
(e) L. XIII. p. 123.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 6. Berlin, 1774, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende06_1774/24>, abgerufen am 03.12.2024.
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