daß man den Urin nicht an sich halten kann; da ausser- dem die Lähmungen vom Schlage, vom schweren Ge- brechen(x), oder von der Verrenkung der Wirbelbeine (y) ein beständiges Harnen hervorbringen. Daß aber die Mündung der Harnröhre, bei einem lebendigen Men- schen, in welchem alles voll ist, sehr enge seyn müsse, solches läßt der dünne Strahl des ersten Urins vermuthen.
Wenigstens scheint mir ein Theil der Ursache dieses zu seyn, daß die Blase mit ihrem untersten Grunde, un- terhalb dem Ausgange der Harnröhre (z) herabgeht, und um desto mehr herabgeht (a), und sich an dem Mastdarm anlehnt, je mehr sie angefüllt ist: sie ist aber gemeiniglich nur mittelmäßig voll, bevor der Mensch sich an die Arbeit zu harnen macht. Daher läuft der Harn, von dem Theile der Blase, welcher sich unterhalb der Harnröhre befindet, weder von freien Stükken, ver- möge seiner Schwere, in die Harnröhre, noch anders, als bei niederhängender Blase. Es macht nämlich die Neigung der Blase, nach hinterwärts (b), daß der Harn vielmehr gegen den Mastdarm, als gegen die Harnröhre drükkt. Und daher kömmt es auch, wenn man in tod- ten Körpern, durch den Harngang in die Blase Wasser bringt, daß solches nicht heraus fließt, es sei denn, daß erst die Blase davon sehr aufgetrieben worden (b*). Jch möchte also gerne beide Kräfte, die Lage selbst, wel- che den Urin nicht aus dem Grunde der Blase auslaufen läßt, und den Schliesmuskel mit einander verbinden, der seiner Natur nach nicht dem Willen unterworfen ist, son-
dern
(x)[Spaltenumbruch]BOERHAAVE morb. nerv. p. 779.
(y)Conf. L. X. p. 325. 328.
(z)p. 364 folglich leeret sich beim Liegen auf dem Rükken ein grosser Theil der Blase nicht aus. CAMPER. de pelvi p. 11.
(a)Prim. lin. Phys. n. 769. [Spaltenumbruch]
auch HEUERMAN. T. IV. p. 143. besiehe den PALUCCI p. 21.
(b)p. 302.
(b*)SAUVAGES. nosol. me- thod. I. p. 189. die Blasenmündung sey oft in todten Körpern verschlos- sen CAMPER. II. p. 11.
Die Harnwege, XXVI. Buch.
daß man den Urin nicht an ſich halten kann; da auſſer- dem die Laͤhmungen vom Schlage, vom ſchweren Ge- brechen(x), oder von der Verrenkung der Wirbelbeine (y) ein beſtaͤndiges Harnen hervorbringen. Daß aber die Muͤndung der Harnroͤhre, bei einem lebendigen Men- ſchen, in welchem alles voll iſt, ſehr enge ſeyn muͤſſe, ſolches laͤßt der duͤnne Strahl des erſten Urins vermuthen.
Wenigſtens ſcheint mir ein Theil der Urſache dieſes zu ſeyn, daß die Blaſe mit ihrem unterſten Grunde, un- terhalb dem Ausgange der Harnroͤhre (z) herabgeht, und um deſto mehr herabgeht (a), und ſich an dem Maſtdarm anlehnt, je mehr ſie angefuͤllt iſt: ſie iſt aber gemeiniglich nur mittelmaͤßig voll, bevor der Menſch ſich an die Arbeit zu harnen macht. Daher laͤuft der Harn, von dem Theile der Blaſe, welcher ſich unterhalb der Harnroͤhre befindet, weder von freien Stuͤkken, ver- moͤge ſeiner Schwere, in die Harnroͤhre, noch anders, als bei niederhaͤngender Blaſe. Es macht naͤmlich die Neigung der Blaſe, nach hinterwaͤrts (b), daß der Harn vielmehr gegen den Maſtdarm, als gegen die Harnroͤhre druͤkkt. Und daher koͤmmt es auch, wenn man in tod- ten Koͤrpern, durch den Harngang in die Blaſe Waſſer bringt, daß ſolches nicht heraus fließt, es ſei denn, daß erſt die Blaſe davon ſehr aufgetrieben worden (b*). Jch moͤchte alſo gerne beide Kraͤfte, die Lage ſelbſt, wel- che den Urin nicht aus dem Grunde der Blaſe auslaufen laͤßt, und den Schliesmuſkel mit einander verbinden, der ſeiner Natur nach nicht dem Willen unterworfen iſt, ſon-
dern
(x)[Spaltenumbruch]BOERHAAVE morb. nerv. p. 779.
(y)Conf. L. X. p. 325. 328.
(z)p. 364 folglich leeret ſich beim Liegen auf dem Ruͤkken ein groſſer Theil der Blaſe nicht aus. CAMPER. de pelvi p. 11.
(a)Prim. lin. Phyſ. n. 769. [Spaltenumbruch]
auch HEUERMAN. T. IV. p. 143. beſiehe den PALUCCI p. 21.
(b)p. 302.
(b*)SAUVAGES. noſol. me- thod. I. p. 189. die Blaſenmuͤndung ſey oft in todten Koͤrpern verſchloſ- ſen CAMPER. II. p. 11.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0620"n="584"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Harnwege, <hirendition="#aq">XXVI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
daß man den Urin nicht an ſich halten kann; da auſſer-<lb/>
dem die Laͤhmungen vom Schlage, vom ſchweren Ge-<lb/>
brechen<noteplace="foot"n="(x)"><cb/><hirendition="#aq">BOERHAAVE morb. nerv.<lb/>
p.</hi> 779.</note>, oder von der Verrenkung der Wirbelbeine<lb/><noteplace="foot"n="(y)"><hirendition="#aq">Conf. L. X. p.</hi> 325. 328.</note> ein beſtaͤndiges Harnen hervorbringen. Daß aber<lb/>
die Muͤndung der Harnroͤhre, bei einem lebendigen Men-<lb/>ſchen, in welchem alles voll iſt, ſehr enge ſeyn muͤſſe,<lb/>ſolches laͤßt der duͤnne Strahl des erſten Urins vermuthen.</p><lb/><p>Wenigſtens ſcheint mir ein Theil der Urſache dieſes<lb/>
zu ſeyn, daß die Blaſe mit ihrem unterſten Grunde, un-<lb/>
terhalb dem Ausgange der Harnroͤhre <noteplace="foot"n="(z)"><hirendition="#aq">p.</hi> 364 folglich leeret ſich<lb/>
beim Liegen auf dem Ruͤkken ein<lb/>
groſſer Theil der Blaſe nicht aus.<lb/><hirendition="#aq">CAMPER. de pelvi p.</hi> 11.</note> herabgeht,<lb/>
und um deſto mehr herabgeht <noteplace="foot"n="(a)"><hirendition="#aq">Prim. lin. Phyſ. n.</hi> 769.<lb/><cb/>
auch <hirendition="#aq">HEUERMAN. T. IV. p.</hi> 143.<lb/>
beſiehe den <hirendition="#aq">PALUCCI p.</hi> 21.</note>, und ſich an dem<lb/>
Maſtdarm anlehnt, je mehr ſie angefuͤllt iſt: ſie iſt aber<lb/>
gemeiniglich nur mittelmaͤßig voll, bevor der Menſch<lb/>ſich an die Arbeit zu harnen macht. Daher laͤuft der<lb/>
Harn, von dem Theile der Blaſe, welcher ſich unterhalb<lb/>
der Harnroͤhre befindet, weder von freien Stuͤkken, ver-<lb/>
moͤge ſeiner Schwere, in die Harnroͤhre, noch anders,<lb/>
als bei niederhaͤngender Blaſe. Es macht naͤmlich die<lb/>
Neigung der Blaſe, nach hinterwaͤrts <noteplace="foot"n="(b)"><hirendition="#aq">p.</hi> 302.</note>, daß der Harn<lb/>
vielmehr gegen den Maſtdarm, als gegen die Harnroͤhre<lb/>
druͤkkt. Und daher koͤmmt es auch, wenn man in tod-<lb/>
ten Koͤrpern, durch den Harngang in die Blaſe Waſſer<lb/>
bringt, daß ſolches nicht heraus fließt, es ſei denn, daß<lb/>
erſt die Blaſe davon ſehr aufgetrieben worden <noteplace="foot"n="(b*)"><hirendition="#aq">SAUVAGES. noſol. me-<lb/>
thod. I. p.</hi> 189. die Blaſenmuͤndung<lb/>ſey oft in todten Koͤrpern verſchloſ-<lb/>ſen <hirendition="#aq">CAMPER. II. p.</hi> 11.</note>.<lb/>
Jch moͤchte alſo gerne beide Kraͤfte, die Lage ſelbſt, wel-<lb/>
che den Urin nicht aus dem Grunde der Blaſe auslaufen<lb/>
laͤßt, und den Schliesmuſkel mit einander verbinden, der<lb/>ſeiner Natur nach nicht dem Willen unterworfen iſt, ſon-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dern</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[584/0620]
Die Harnwege, XXVI. Buch.
daß man den Urin nicht an ſich halten kann; da auſſer-
dem die Laͤhmungen vom Schlage, vom ſchweren Ge-
brechen (x), oder von der Verrenkung der Wirbelbeine
(y) ein beſtaͤndiges Harnen hervorbringen. Daß aber
die Muͤndung der Harnroͤhre, bei einem lebendigen Men-
ſchen, in welchem alles voll iſt, ſehr enge ſeyn muͤſſe,
ſolches laͤßt der duͤnne Strahl des erſten Urins vermuthen.
Wenigſtens ſcheint mir ein Theil der Urſache dieſes
zu ſeyn, daß die Blaſe mit ihrem unterſten Grunde, un-
terhalb dem Ausgange der Harnroͤhre (z) herabgeht,
und um deſto mehr herabgeht (a), und ſich an dem
Maſtdarm anlehnt, je mehr ſie angefuͤllt iſt: ſie iſt aber
gemeiniglich nur mittelmaͤßig voll, bevor der Menſch
ſich an die Arbeit zu harnen macht. Daher laͤuft der
Harn, von dem Theile der Blaſe, welcher ſich unterhalb
der Harnroͤhre befindet, weder von freien Stuͤkken, ver-
moͤge ſeiner Schwere, in die Harnroͤhre, noch anders,
als bei niederhaͤngender Blaſe. Es macht naͤmlich die
Neigung der Blaſe, nach hinterwaͤrts (b), daß der Harn
vielmehr gegen den Maſtdarm, als gegen die Harnroͤhre
druͤkkt. Und daher koͤmmt es auch, wenn man in tod-
ten Koͤrpern, durch den Harngang in die Blaſe Waſſer
bringt, daß ſolches nicht heraus fließt, es ſei denn, daß
erſt die Blaſe davon ſehr aufgetrieben worden (b*).
Jch moͤchte alſo gerne beide Kraͤfte, die Lage ſelbſt, wel-
che den Urin nicht aus dem Grunde der Blaſe auslaufen
laͤßt, und den Schliesmuſkel mit einander verbinden, der
ſeiner Natur nach nicht dem Willen unterworfen iſt, ſon-
dern
(x)
BOERHAAVE morb. nerv.
p. 779.
(y) Conf. L. X. p. 325. 328.
(z) p. 364 folglich leeret ſich
beim Liegen auf dem Ruͤkken ein
groſſer Theil der Blaſe nicht aus.
CAMPER. de pelvi p. 11.
(a) Prim. lin. Phyſ. n. 769.
auch HEUERMAN. T. IV. p. 143.
beſiehe den PALUCCI p. 21.
(b) p. 302.
(b*) SAUVAGES. noſol. me-
thod. I. p. 189. die Blaſenmuͤndung
ſey oft in todten Koͤrpern verſchloſ-
ſen CAMPER. II. p. 11.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 7. Berlin, 1775, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende07_1775/620>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.