§. 27. Und dennoch ist das Ey die erste Herberge der Frucht.
Wenn man aber das Ey in einem solchen Sinne nimmt, daß es ein häutiges und hohles Behältnis einer Flüßigkeit, und einer in dieser Flüßigkeit liegenden Frucht ist, so kann man in der That die uralte Meinung gelten lassen, welche alle Thiere aus dem Eye herleitet, blos die wenige oben erwähnte höchst einfache Thierchen aus- genommen. So schrieb Aristoteles(a), und noch vor ihm Empedocles(b) nicht undeutlich, daß die Bäume selbst durch Eyer ihres gleichen fortpflanzen.
Eben dieses bestätigte G. Harvey(c) durch die Vergleichungen der Jnsekten, Fische, Vögel, und der vierfüßigen Thiere.
So hob Nicolaus Stenonius(d), Johann von Horne, und R. Graaf(e) den Unterschied zwischen den Lebendiggebärenden und eyerlegenden Thieren, und zwischen den Vögeln und vierfüßigen Thieren, und Fi- schen auf. Allen diesen kömmt eine gemeinschaftliche Er- klärung zu. Doch es befindet sich in den Eyern der Fi- sche, Jnsekten und kaltblütigen Vierfüßigen eine einzige Flüßigkeit (f), ihre Eyer sind frei und aufgelöst, sie ent- halten kein gemeinschaftliches Wesen, und verlassen den Körper völlig. Jn den Eyern der Vögel zeiget sich eine Flüßigkeit von zweyerley Arten (g), sie enthalten, ausser der dünnen Flüßigkeit, noch einen Dotter, welcher der Frucht, so wohl gegen die lezzte Zeiten der Brütung,
als
(a)[Spaltenumbruch]De generat. anim. L. III. c. 9. hist. anim. L. VII. c. 7. fer- ner MACROBIUS
(b)Apud THEOPHRASTUM hist. plantar. L. I. c. 7 & ARI- STOT. de gener. anim. L I. gegen das Ende.
(c)p. 2. & exerc. 61. p. 210.
(d)[Spaltenumbruch]In praef. ad epist. ad SCHACHTIUM, wo er sich diese Entdekkung zueignet.
(e)Conf. L. XXVIII. p. 108. 110. 111.
(f)p. 113. 114.
(g)p. 113. TAUVRY p. 45.
G 4
I. Abſ. Empfaͤngnis.
§. 27. Und dennoch iſt das Ey die erſte Herberge der Frucht.
Wenn man aber das Ey in einem ſolchen Sinne nimmt, daß es ein haͤutiges und hohles Behaͤltnis einer Fluͤßigkeit, und einer in dieſer Fluͤßigkeit liegenden Frucht iſt, ſo kann man in der That die uralte Meinung gelten laſſen, welche alle Thiere aus dem Eye herleitet, blos die wenige oben erwaͤhnte hoͤchſt einfache Thierchen aus- genommen. So ſchrieb Ariſtoteles(a), und noch vor ihm Empedocles(b) nicht undeutlich, daß die Baͤume ſelbſt durch Eyer ihres gleichen fortpflanzen.
Eben dieſes beſtaͤtigte G. Harvey(c) durch die Vergleichungen der Jnſekten, Fiſche, Voͤgel, und der vierfuͤßigen Thiere.
So hob Nicolaus Stenonius(d), Johann von Horne, und R. Graaf(e) den Unterſchied zwiſchen den Lebendiggebaͤrenden und eyerlegenden Thieren, und zwiſchen den Voͤgeln und vierfuͤßigen Thieren, und Fi- ſchen auf. Allen dieſen koͤmmt eine gemeinſchaftliche Er- klaͤrung zu. Doch es befindet ſich in den Eyern der Fi- ſche, Jnſekten und kaltbluͤtigen Vierfuͤßigen eine einzige Fluͤßigkeit (f), ihre Eyer ſind frei und aufgeloͤſt, ſie ent- halten kein gemeinſchaftliches Weſen, und verlaſſen den Koͤrper voͤllig. Jn den Eyern der Voͤgel zeiget ſich eine Fluͤßigkeit von zweyerley Arten (g), ſie enthalten, auſſer der duͤnnen Fluͤßigkeit, noch einen Dotter, welcher der Frucht, ſo wohl gegen die lezzte Zeiten der Bruͤtung,
als
(a)[Spaltenumbruch]De generat. anim. L. III. c. 9. hiſt. anim. L. VII. c. 7. fer- ner MACROBIUS
(b)Apud THEOPHRASTUM hiſt. plantar. L. I. c. 7 & ARI- STOT. de gener. anim. L I. gegen das Ende.
(c)p. 2. & exerc. 61. p. 210.
(d)[Spaltenumbruch]In præf. ad epiſt. ad SCHACHTIUM, wo er ſich dieſe Entdekkung zueignet.
(e)Conf. L. XXVIII. p. 108. 110. 111.
(f)p. 113. 114.
(g)p. 113. TAUVRY p. 45.
G 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0155"n="103"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Abſ. Empfaͤngnis.</hi></fw><lb/><divn="4"><head>§. 27.<lb/><hirendition="#b">Und dennoch iſt das Ey die erſte Herberge der<lb/>
Frucht.</hi></head><lb/><p>Wenn man aber das Ey in einem ſolchen Sinne<lb/>
nimmt, daß es ein haͤutiges und hohles Behaͤltnis einer<lb/>
Fluͤßigkeit, und einer in dieſer Fluͤßigkeit liegenden Frucht<lb/>
iſt, ſo kann man in der That die uralte Meinung gelten<lb/>
laſſen, welche alle Thiere aus dem Eye herleitet, blos<lb/>
die wenige oben erwaͤhnte hoͤchſt einfache Thierchen aus-<lb/>
genommen. So ſchrieb <hirendition="#fr">Ariſtoteles</hi><noteplace="foot"n="(a)"><cb/><hirendition="#aq">De generat. anim. L. III.<lb/>
c. 9. hiſt. anim. L. VII. c.</hi> 7. fer-<lb/>
ner <hirendition="#aq">MACROBIUS</hi></note>, und noch<lb/>
vor ihm <hirendition="#fr">Empedocles</hi><noteplace="foot"n="(b)"><hirendition="#aq">Apud THEOPHRASTUM<lb/>
hiſt. plantar. L. I. c. 7 & ARI-<lb/>
STOT. de gener. anim. L I.</hi> gegen<lb/>
das Ende.</note> nicht undeutlich, daß die<lb/>
Baͤume ſelbſt durch Eyer ihres gleichen fortpflanzen.</p><lb/><p>Eben dieſes beſtaͤtigte G. <hirendition="#fr">Harvey</hi><noteplace="foot"n="(c)"><hirendition="#aq">p. 2. & exerc. 61. p.</hi> 210.</note> durch die<lb/>
Vergleichungen der Jnſekten, Fiſche, Voͤgel, und der<lb/>
vierfuͤßigen Thiere.</p><lb/><p>So hob Nicolaus <hirendition="#fr">Stenonius</hi><noteplace="foot"n="(d)"><cb/><hirendition="#aq">In præf. ad epiſt. ad<lb/>
SCHACHTIUM,</hi> wo er ſich dieſe<lb/>
Entdekkung zueignet.</note>, Johann von<lb/><hirendition="#fr">Horne,</hi> und R. <hirendition="#fr">Graaf</hi><noteplace="foot"n="(e)"><hirendition="#aq">Conf. L. XXVIII. p.</hi> 108.<lb/>
110. 111.</note> den Unterſchied zwiſchen<lb/>
den Lebendiggebaͤrenden und eyerlegenden Thieren, und<lb/>
zwiſchen den Voͤgeln und vierfuͤßigen Thieren, und Fi-<lb/>ſchen auf. Allen dieſen koͤmmt eine gemeinſchaftliche Er-<lb/>
klaͤrung zu. Doch es befindet ſich in den Eyern der Fi-<lb/>ſche, Jnſekten und kaltbluͤtigen Vierfuͤßigen eine einzige<lb/>
Fluͤßigkeit <noteplace="foot"n="(f)"><hirendition="#aq">p.</hi> 113. 114.</note>, ihre Eyer ſind frei und aufgeloͤſt, ſie ent-<lb/>
halten kein gemeinſchaftliches Weſen, und verlaſſen den<lb/>
Koͤrper voͤllig. Jn den Eyern der Voͤgel zeiget ſich eine<lb/>
Fluͤßigkeit von zweyerley Arten <noteplace="foot"n="(g)"><hirendition="#aq">p. 113. TAUVRY p.</hi> 45.</note>, ſie enthalten, auſſer<lb/>
der duͤnnen Fluͤßigkeit, noch einen Dotter, welcher der<lb/>
Frucht, ſo wohl gegen die lezzte Zeiten der Bruͤtung,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">als</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[103/0155]
I. Abſ. Empfaͤngnis.
§. 27.
Und dennoch iſt das Ey die erſte Herberge der
Frucht.
Wenn man aber das Ey in einem ſolchen Sinne
nimmt, daß es ein haͤutiges und hohles Behaͤltnis einer
Fluͤßigkeit, und einer in dieſer Fluͤßigkeit liegenden Frucht
iſt, ſo kann man in der That die uralte Meinung gelten
laſſen, welche alle Thiere aus dem Eye herleitet, blos
die wenige oben erwaͤhnte hoͤchſt einfache Thierchen aus-
genommen. So ſchrieb Ariſtoteles (a), und noch
vor ihm Empedocles (b) nicht undeutlich, daß die
Baͤume ſelbſt durch Eyer ihres gleichen fortpflanzen.
Eben dieſes beſtaͤtigte G. Harvey (c) durch die
Vergleichungen der Jnſekten, Fiſche, Voͤgel, und der
vierfuͤßigen Thiere.
So hob Nicolaus Stenonius (d), Johann von
Horne, und R. Graaf (e) den Unterſchied zwiſchen
den Lebendiggebaͤrenden und eyerlegenden Thieren, und
zwiſchen den Voͤgeln und vierfuͤßigen Thieren, und Fi-
ſchen auf. Allen dieſen koͤmmt eine gemeinſchaftliche Er-
klaͤrung zu. Doch es befindet ſich in den Eyern der Fi-
ſche, Jnſekten und kaltbluͤtigen Vierfuͤßigen eine einzige
Fluͤßigkeit (f), ihre Eyer ſind frei und aufgeloͤſt, ſie ent-
halten kein gemeinſchaftliches Weſen, und verlaſſen den
Koͤrper voͤllig. Jn den Eyern der Voͤgel zeiget ſich eine
Fluͤßigkeit von zweyerley Arten (g), ſie enthalten, auſſer
der duͤnnen Fluͤßigkeit, noch einen Dotter, welcher der
Frucht, ſo wohl gegen die lezzte Zeiten der Bruͤtung,
als
(a)
De generat. anim. L. III.
c. 9. hiſt. anim. L. VII. c. 7. fer-
ner MACROBIUS
(b) Apud THEOPHRASTUM
hiſt. plantar. L. I. c. 7 & ARI-
STOT. de gener. anim. L I. gegen
das Ende.
(c) p. 2. & exerc. 61. p. 210.
(d)
In præf. ad epiſt. ad
SCHACHTIUM, wo er ſich dieſe
Entdekkung zueignet.
(e) Conf. L. XXVIII. p. 108.
110. 111.
(f) p. 113. 114.
(g) p. 113. TAUVRY p. 45.
G 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/155>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.