Sie sagen, es finde zwischen der Seele der Mutter und ihrem Körper, und zwischen dem Körper der Mut- ter, und dem Körper der Frucht, ein harmonischer Fort- gang statt (a).
Man hat allerlei Wege versucht, dieses mütterliche Einbringen ins Licht zu sezzen.
Es sollen die Jdeen der Mutter (a), vermöge des Blutes, in die Frucht herüber steigen, und so ergreife die Phantasie der Frucht eben dergleichen Bilder, als in der Mutter den Aufruhr unterhielten.
Eine grössere, oder geringere Einbildungskraft be- stimme den Wachsthum gewisser Theile (b).
Eigentlich läuft die Sache dahinaus, daß die Seele der Mutter die Fasern irgend eines gedachten Theiles verschnürt, und die Frucht ebenfalls ihren damit ver- wandten Theil, nach eben dieser Bewegung verändert. Auf diese Art bekommen die Säfte einen stärkern Zufluß, um ein gewisses Glied mehr auszudehnen (c). Die Säfte der Mutter bringen in den Säften der Frucht und in deren Gehirne Affekten hervor, die den Affekten der Mutter ähnlich sind (d); es werde ein Affe formirt, so oft in der Frucht viele Leidenschaften hervorgebracht wer- den (e), dergleichen der Anblikk eines Affen in der Mut- ter erwekken kann: und endlich können die Säfte in ei- nen Theil des Körpers mehr oder weniger Einfluß neh- men (f).
Wenn das Blut der Mutter in eine unordentliche Bewegung gerathe (g), so entstehe davon in der Frucht
eben-
(a)[Spaltenumbruch]NICOLAI von der Erzeu- gung p. 207. Fast auf solche Art lies die Eindrükke von der Zirbel- drüse der Mutter in die Zirbel- drüse der Frucht übergehen. hom. p. 130.
(a)HUBER p. 19.
(b)PERRAULT Ess. de Phys. T. III. p. 328. Fast so HEBEN- STREIT anthropol. forens.
(c)[Spaltenumbruch]VAN der STERRE a. p 82. ad p. 129.
(d)BAYLE diss. phys. III.
(e)Ibid.
(f)Ibid.
(g)NICOLAI Einbildungs- kraft.
Die Frucht. XXIX. B.
Sie ſagen, es finde zwiſchen der Seele der Mutter und ihrem Koͤrper, und zwiſchen dem Koͤrper der Mut- ter, und dem Koͤrper der Frucht, ein harmoniſcher Fort- gang ſtatt (a).
Man hat allerlei Wege verſucht, dieſes muͤtterliche Einbringen ins Licht zu ſezzen.
Es ſollen die Jdeen der Mutter (a), vermoͤge des Blutes, in die Frucht heruͤber ſteigen, und ſo ergreife die Phantaſie der Frucht eben dergleichen Bilder, als in der Mutter den Aufruhr unterhielten.
Eine groͤſſere, oder geringere Einbildungskraft be- ſtimme den Wachsthum gewiſſer Theile (b).
Eigentlich laͤuft die Sache dahinaus, daß die Seele der Mutter die Faſern irgend eines gedachten Theiles verſchnuͤrt, und die Frucht ebenfalls ihren damit ver- wandten Theil, nach eben dieſer Bewegung veraͤndert. Auf dieſe Art bekommen die Saͤfte einen ſtaͤrkern Zufluß, um ein gewiſſes Glied mehr auszudehnen (c). Die Saͤfte der Mutter bringen in den Saͤften der Frucht und in deren Gehirne Affekten hervor, die den Affekten der Mutter aͤhnlich ſind (d); es werde ein Affe formirt, ſo oft in der Frucht viele Leidenſchaften hervorgebracht wer- den (e), dergleichen der Anblikk eines Affen in der Mut- ter erwekken kann: und endlich koͤnnen die Saͤfte in ei- nen Theil des Koͤrpers mehr oder weniger Einfluß neh- men (f).
Wenn das Blut der Mutter in eine unordentliche Bewegung gerathe (g), ſo entſtehe davon in der Frucht
eben-
(a)[Spaltenumbruch]NICOLAI von der Erzeu- gung p. 207. Faſt auf ſolche Art lies die Eindruͤkke von der Zirbel- druͤſe der Mutter in die Zirbel- druͤſe der Frucht uͤbergehen. hom. p. 130.
(a)HUBER p. 19.
(b)PERRAULT Eſſ. de Phyſ. T. III. p. 328. Faſt ſo HEBEN- STREIT anthropol. forenſ.
(c)[Spaltenumbruch]VAN der STERRE a. p 82. ad p. 129.
(d)BAYLE diſſ. phyſ. III.
(e)Ibid.
(f)Ibid.
(g)NICOLAI Einbildungs- kraft.
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Die Frucht. XXIX. B.
Sie ſagen, es finde zwiſchen der Seele der Mutter
und ihrem Koͤrper, und zwiſchen dem Koͤrper der Mut-
ter, und dem Koͤrper der Frucht, ein harmoniſcher Fort-
gang ſtatt (a).
Man hat allerlei Wege verſucht, dieſes muͤtterliche
Einbringen ins Licht zu ſezzen.
Es ſollen die Jdeen der Mutter (a), vermoͤge des
Blutes, in die Frucht heruͤber ſteigen, und ſo ergreife
die Phantaſie der Frucht eben dergleichen Bilder, als
in der Mutter den Aufruhr unterhielten.
Eine groͤſſere, oder geringere Einbildungskraft be-
ſtimme den Wachsthum gewiſſer Theile (b).
Eigentlich laͤuft die Sache dahinaus, daß die Seele
der Mutter die Faſern irgend eines gedachten Theiles
verſchnuͤrt, und die Frucht ebenfalls ihren damit ver-
wandten Theil, nach eben dieſer Bewegung veraͤndert.
Auf dieſe Art bekommen die Saͤfte einen ſtaͤrkern Zufluß,
um ein gewiſſes Glied mehr auszudehnen (c). Die Saͤfte
der Mutter bringen in den Saͤften der Frucht und in
deren Gehirne Affekten hervor, die den Affekten der
Mutter aͤhnlich ſind (d); es werde ein Affe formirt, ſo
oft in der Frucht viele Leidenſchaften hervorgebracht wer-
den (e), dergleichen der Anblikk eines Affen in der Mut-
ter erwekken kann: und endlich koͤnnen die Saͤfte in ei-
nen Theil des Koͤrpers mehr oder weniger Einfluß neh-
men (f).
Wenn das Blut der Mutter in eine unordentliche
Bewegung gerathe (g), ſo entſtehe davon in der Frucht
eben-
(a)
NICOLAI von der Erzeu-
gung p. 207. Faſt auf ſolche Art
lies die Eindruͤkke von der Zirbel-
druͤſe der Mutter in die Zirbel-
druͤſe der Frucht uͤbergehen. hom.
p. 130.
(a) HUBER p. 19.
(b) PERRAULT Eſſ. de Phyſ.
T. III. p. 328. Faſt ſo HEBEN-
STREIT anthropol. forenſ.
(c)
VAN der STERRE a. p 82.
ad p. 129.
(d) BAYLE diſſ. phyſ. III.
(e) Ibid.
(f) Ibid.
(g) NICOLAI Einbildungs-
kraft.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/272>, abgerufen am 23.11.2024.
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