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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

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I. Abs. Das Wachsen des Körpers.
bekannten Personen: und es fängt endlich an Dinge
mit ihren Namen zu belegen, und es zeuget dieses bereits
von einer grossen Schärfe der Vernunft, indem niemals
ein Thier so weit kömmt, ob es gleich Personen in der
That von einander unterscheiden kann.

Es würde die Spekulation artig seyn, ob sie gleich
nicht in unsern Plan gehört, indem ich mich blos mit
der Hauptsache zu beschäftigen habe. Man würde aber
demjenigen vielen Dank schuldig seyn, welcher sich die
Mühe geben wollte, das Wachsthum der Eingeweide
und Muskeln zu untersuchen, um diejenige Grade aus-
zumessen, nach welchen das Kind bis zu einem völligen
Gebrauche der Lebenskräfte vorbereitet wird.

Es bleibt indessen gewiß, daß nach und nach eine
Festigkeit über die Zärtlichkeit der Frucht die Oberhand
bekömmt, daß die Knorpeln abnehmen, daß die Kno-
chen härter werden, daß die Schlagadern und Sehnen
eine Glätte bekommen, daß das Fadengewebe fester wird,
und daß dadurch der Zusammenhang an allen benach-
barten Theilen immer enger wird.

Es zeigt sich schon seit dem siebenten Jahre, und in
muntern Kindern noch früher, die wunderbare Stärke
des Gedächtnisses, welches schwerlich mit seiner Leichtig-
keit über das funfzehnte Jahr hinaus geht. Kinder ler-
nen die weitläuftigen Regeln der Grammatik, die sie we-
nig einsehen, die Gebete und Historien wiederholen, wenn
sie kaum lesen gelernet, und sie sind nunmehr geschikkt,
Sprachen zu erlernen. Jn dieser Zeit ist das Gehirn
noch weich, es läßt sich kaum unter dem Messer zerlegen,
und, wie man sagt, demonstriren, und es verträgt, ohne
zusammen zu fallen, den Schnitt nicht. Es hat von
dieser so nüzzlichen Fähigkeit bereits vieles verloren, wenn
das Gehirn bereits so hart geworden, daß der Schnitt
ins Gehirn so bleibt, wie er vom Messer gemacht wird.

Nach

I. Abſ. Das Wachſen des Koͤrpers.
bekannten Perſonen: und es faͤngt endlich an Dinge
mit ihren Namen zu belegen, und es zeuget dieſes bereits
von einer groſſen Schaͤrfe der Vernunft, indem niemals
ein Thier ſo weit koͤmmt, ob es gleich Perſonen in der
That von einander unterſcheiden kann.

Es wuͤrde die Spekulation artig ſeyn, ob ſie gleich
nicht in unſern Plan gehoͤrt, indem ich mich blos mit
der Hauptſache zu beſchaͤftigen habe. Man wuͤrde aber
demjenigen vielen Dank ſchuldig ſeyn, welcher ſich die
Muͤhe geben wollte, das Wachsthum der Eingeweide
und Muskeln zu unterſuchen, um diejenige Grade aus-
zumeſſen, nach welchen das Kind bis zu einem voͤlligen
Gebrauche der Lebenskraͤfte vorbereitet wird.

Es bleibt indeſſen gewiß, daß nach und nach eine
Feſtigkeit uͤber die Zaͤrtlichkeit der Frucht die Oberhand
bekoͤmmt, daß die Knorpeln abnehmen, daß die Kno-
chen haͤrter werden, daß die Schlagadern und Sehnen
eine Glaͤtte bekommen, daß das Fadengewebe feſter wird,
und daß dadurch der Zuſammenhang an allen benach-
barten Theilen immer enger wird.

Es zeigt ſich ſchon ſeit dem ſiebenten Jahre, und in
muntern Kindern noch fruͤher, die wunderbare Staͤrke
des Gedaͤchtniſſes, welches ſchwerlich mit ſeiner Leichtig-
keit uͤber das funfzehnte Jahr hinaus geht. Kinder ler-
nen die weitlaͤuftigen Regeln der Grammatik, die ſie we-
nig einſehen, die Gebete und Hiſtorien wiederholen, wenn
ſie kaum leſen gelernet, und ſie ſind nunmehr geſchikkt,
Sprachen zu erlernen. Jn dieſer Zeit iſt das Gehirn
noch weich, es laͤßt ſich kaum unter dem Meſſer zerlegen,
und, wie man ſagt, demonſtriren, und es vertraͤgt, ohne
zuſammen zu fallen, den Schnitt nicht. Es hat von
dieſer ſo nuͤzzlichen Faͤhigkeit bereits vieles verloren, wenn
das Gehirn bereits ſo hart geworden, daß der Schnitt
ins Gehirn ſo bleibt, wie er vom Meſſer gemacht wird.

Nach
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[813[815]/0867] I. Abſ. Das Wachſen des Koͤrpers. bekannten Perſonen: und es faͤngt endlich an Dinge mit ihren Namen zu belegen, und es zeuget dieſes bereits von einer groſſen Schaͤrfe der Vernunft, indem niemals ein Thier ſo weit koͤmmt, ob es gleich Perſonen in der That von einander unterſcheiden kann. Es wuͤrde die Spekulation artig ſeyn, ob ſie gleich nicht in unſern Plan gehoͤrt, indem ich mich blos mit der Hauptſache zu beſchaͤftigen habe. Man wuͤrde aber demjenigen vielen Dank ſchuldig ſeyn, welcher ſich die Muͤhe geben wollte, das Wachsthum der Eingeweide und Muskeln zu unterſuchen, um diejenige Grade aus- zumeſſen, nach welchen das Kind bis zu einem voͤlligen Gebrauche der Lebenskraͤfte vorbereitet wird. Es bleibt indeſſen gewiß, daß nach und nach eine Feſtigkeit uͤber die Zaͤrtlichkeit der Frucht die Oberhand bekoͤmmt, daß die Knorpeln abnehmen, daß die Kno- chen haͤrter werden, daß die Schlagadern und Sehnen eine Glaͤtte bekommen, daß das Fadengewebe feſter wird, und daß dadurch der Zuſammenhang an allen benach- barten Theilen immer enger wird. Es zeigt ſich ſchon ſeit dem ſiebenten Jahre, und in muntern Kindern noch fruͤher, die wunderbare Staͤrke des Gedaͤchtniſſes, welches ſchwerlich mit ſeiner Leichtig- keit uͤber das funfzehnte Jahr hinaus geht. Kinder ler- nen die weitlaͤuftigen Regeln der Grammatik, die ſie we- nig einſehen, die Gebete und Hiſtorien wiederholen, wenn ſie kaum leſen gelernet, und ſie ſind nunmehr geſchikkt, Sprachen zu erlernen. Jn dieſer Zeit iſt das Gehirn noch weich, es laͤßt ſich kaum unter dem Meſſer zerlegen, und, wie man ſagt, demonſtriren, und es vertraͤgt, ohne zuſammen zu fallen, den Schnitt nicht. Es hat von dieſer ſo nuͤzzlichen Faͤhigkeit bereits vieles verloren, wenn das Gehirn bereits ſo hart geworden, daß der Schnitt ins Gehirn ſo bleibt, wie er vom Meſſer gemacht wird. Nach

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 813[815]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/867>, abgerufen am 22.11.2024.