Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und mit Gott versöhnt zur höchsten Erbauung der tieferschütterten Menge sein Verbrechen auf der Richtstatt mit dem Leben gebüßt hätte.

Steidler's Bericht war nicht ohne Wirkung auf seine Hörer geblieben, dafür bürgte die tiefe Stille, mit der er aufgenommen wurde und die ihm folgte. Horvath war es, der sie zuerst unterbrach. Ja, sagte er mit nachdrücklicher und bewegter Stimme, Gott weiß jeden zu finden, und nichts, fuhr er fort, indem er einen ernsten und forschenden Blick auf die jungen Leute warf, nichts ist so fein gesponnen, es kommt zuletzt ans Licht der Sonnen! Der Eindruck, den diese ziemlich scharf betonte Bemerkung machte, war ein sehr verschiedener: auf Czenczi's Wangen rief sie dunkle Röthe hervor, Ferencz dagegen, der stumm und gleichgültig wie zuvor mit vor ihm liegenden Brodkrumen spielte, schien sie gar nicht zu beachten, während Herr Steidler nachdenklich den Kopf schüttelte und sie mit diesen Worten erwiderte: Ja, die Leute sagen so! Aber es kommt nicht Alles ans Licht der Sonne! Ich selbst weiß von einem Fall zu erzählen, von einer schauerlichen Mordthat, die sich vor etwa dritthalb Jahren begeben, ohne daß seither auch nur eine Spur des Mörders entdeckt worden wäre! Ei was, versetzte Horvath ärgerlich, denn ihm war, als sähe er die Lippen des Schreibers spöttisch zusammenzucken, es ist nicht aller Tage Abend! und kann nicht eine Stunde entdecken, was dritthalb Jahre verschwiegen blieb? Wenn ihn auch die Menschen nicht erreichen, Gott weiß

und mit Gott versöhnt zur höchsten Erbauung der tieferschütterten Menge sein Verbrechen auf der Richtstatt mit dem Leben gebüßt hätte.

Steidler's Bericht war nicht ohne Wirkung auf seine Hörer geblieben, dafür bürgte die tiefe Stille, mit der er aufgenommen wurde und die ihm folgte. Horváth war es, der sie zuerst unterbrach. Ja, sagte er mit nachdrücklicher und bewegter Stimme, Gott weiß jeden zu finden, und nichts, fuhr er fort, indem er einen ernsten und forschenden Blick auf die jungen Leute warf, nichts ist so fein gesponnen, es kommt zuletzt ans Licht der Sonnen! Der Eindruck, den diese ziemlich scharf betonte Bemerkung machte, war ein sehr verschiedener: auf Czenczi's Wangen rief sie dunkle Röthe hervor, Ferencz dagegen, der stumm und gleichgültig wie zuvor mit vor ihm liegenden Brodkrumen spielte, schien sie gar nicht zu beachten, während Herr Steidler nachdenklich den Kopf schüttelte und sie mit diesen Worten erwiderte: Ja, die Leute sagen so! Aber es kommt nicht Alles ans Licht der Sonne! Ich selbst weiß von einem Fall zu erzählen, von einer schauerlichen Mordthat, die sich vor etwa dritthalb Jahren begeben, ohne daß seither auch nur eine Spur des Mörders entdeckt worden wäre! Ei was, versetzte Horváth ärgerlich, denn ihm war, als sähe er die Lippen des Schreibers spöttisch zusammenzucken, es ist nicht aller Tage Abend! und kann nicht eine Stunde entdecken, was dritthalb Jahre verschwiegen blieb? Wenn ihn auch die Menschen nicht erreichen, Gott weiß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0026"/>
und mit Gott versöhnt zur höchsten Erbauung der tieferschütterten Menge sein Verbrechen auf der     Richtstatt mit dem Leben gebüßt hätte.</p><lb/>
        <p>Steidler's Bericht war nicht ohne Wirkung auf seine Hörer geblieben, dafür bürgte die tiefe     Stille, mit der er aufgenommen wurde und die ihm folgte. Horváth war es, der sie zuerst     unterbrach. Ja, sagte er mit nachdrücklicher und bewegter Stimme, Gott weiß jeden zu finden, und     nichts, fuhr er fort, indem er einen ernsten und forschenden Blick auf die jungen Leute warf,     nichts ist so fein gesponnen, es kommt zuletzt ans Licht der Sonnen! Der Eindruck, den diese     ziemlich scharf betonte Bemerkung machte, war ein sehr verschiedener: auf Czenczi's Wangen rief     sie dunkle Röthe hervor, Ferencz dagegen, der stumm und gleichgültig wie zuvor mit vor ihm     liegenden Brodkrumen spielte, schien sie gar nicht zu beachten, während Herr Steidler     nachdenklich den Kopf schüttelte und sie mit diesen Worten erwiderte: Ja, die Leute sagen so!     Aber es kommt nicht Alles ans Licht der Sonne! Ich selbst weiß von einem Fall zu erzählen, von     einer schauerlichen Mordthat, die sich vor etwa dritthalb Jahren begeben, ohne daß seither auch     nur eine Spur des Mörders entdeckt worden wäre! Ei was, versetzte Horváth ärgerlich, denn ihm     war, als sähe er die Lippen des Schreibers spöttisch zusammenzucken, es ist nicht aller Tage     Abend! und kann nicht eine Stunde entdecken, was dritthalb Jahre verschwiegen blieb? Wenn ihn     auch die Menschen nicht erreichen, Gott weiß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] und mit Gott versöhnt zur höchsten Erbauung der tieferschütterten Menge sein Verbrechen auf der Richtstatt mit dem Leben gebüßt hätte. Steidler's Bericht war nicht ohne Wirkung auf seine Hörer geblieben, dafür bürgte die tiefe Stille, mit der er aufgenommen wurde und die ihm folgte. Horváth war es, der sie zuerst unterbrach. Ja, sagte er mit nachdrücklicher und bewegter Stimme, Gott weiß jeden zu finden, und nichts, fuhr er fort, indem er einen ernsten und forschenden Blick auf die jungen Leute warf, nichts ist so fein gesponnen, es kommt zuletzt ans Licht der Sonnen! Der Eindruck, den diese ziemlich scharf betonte Bemerkung machte, war ein sehr verschiedener: auf Czenczi's Wangen rief sie dunkle Röthe hervor, Ferencz dagegen, der stumm und gleichgültig wie zuvor mit vor ihm liegenden Brodkrumen spielte, schien sie gar nicht zu beachten, während Herr Steidler nachdenklich den Kopf schüttelte und sie mit diesen Worten erwiderte: Ja, die Leute sagen so! Aber es kommt nicht Alles ans Licht der Sonne! Ich selbst weiß von einem Fall zu erzählen, von einer schauerlichen Mordthat, die sich vor etwa dritthalb Jahren begeben, ohne daß seither auch nur eine Spur des Mörders entdeckt worden wäre! Ei was, versetzte Horváth ärgerlich, denn ihm war, als sähe er die Lippen des Schreibers spöttisch zusammenzucken, es ist nicht aller Tage Abend! und kann nicht eine Stunde entdecken, was dritthalb Jahre verschwiegen blieb? Wenn ihn auch die Menschen nicht erreichen, Gott weiß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:52:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:52:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/26
Zitationshilfe: Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/26>, abgerufen am 29.03.2024.