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Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Zauber für ihn verloren zu haben und unfähig geworden zu sein, die finstern Gestalten zurückzudrängen, die Nachts in der lautlosen Stille des dunklen Kellerstübchens vor ihm emportauchen mochten. Er war es, der jetzt verwirrt, beängstigt und vor jedem Geräusch zusammenschreckend von Czenczi beruhigt und getröstet werden mußte; Gefahren würde er muthig bestanden haben, den Schrecken der Einsamkeit vermochte er nicht die Stirn zu bieten; und als Czenczi Abschied nahm und wieder die Thür des Stübchens hinter sich verschließen mußte, hielt er sie zurück und gehabte sich nicht anders, als sollte er für immer von Licht, Luft und Leben abgeschieden werden.

Endlich, am dritten Tage gegen Mittag, machte sich Horvath fertig, die längst beschlossene Reise nach Ofen anzutreten. Der Wagen war angespannt, und Horvath, von Base Margit und seiner Tochter begleitet, trat aus dem Hause, vor dem sich das Gesinde, der Abfahrt ihres Herrn gewärtig, versammelt hatte. Horvath ertheilte seine letzten Aufträge; den Knechten befahl er, das Haus vor Zigeunern, Bettlern und anderem Gesindel in Acht zu nehmen und Thor und Thüren wohl verschlossen zu halten; die Mägde hieß er Feuer und Licht behüten, und nachdem er Frau Margit die Aufsicht über das Gesinde und die während seiner Abwesenheit zu vollendenden Arbeiten, vorzüglich jene der Küfer, ans Herz gelegt hatte, wandte er sich an seine Tochter. Diese, in tiefster Seele von Vorwürfen und Reue zerrissen und gefoltert von dem Bewußtsein, ihren alten,

Zauber für ihn verloren zu haben und unfähig geworden zu sein, die finstern Gestalten zurückzudrängen, die Nachts in der lautlosen Stille des dunklen Kellerstübchens vor ihm emportauchen mochten. Er war es, der jetzt verwirrt, beängstigt und vor jedem Geräusch zusammenschreckend von Czenczi beruhigt und getröstet werden mußte; Gefahren würde er muthig bestanden haben, den Schrecken der Einsamkeit vermochte er nicht die Stirn zu bieten; und als Czenczi Abschied nahm und wieder die Thür des Stübchens hinter sich verschließen mußte, hielt er sie zurück und gehabte sich nicht anders, als sollte er für immer von Licht, Luft und Leben abgeschieden werden.

Endlich, am dritten Tage gegen Mittag, machte sich Horváth fertig, die längst beschlossene Reise nach Ofen anzutreten. Der Wagen war angespannt, und Horváth, von Base Margit und seiner Tochter begleitet, trat aus dem Hause, vor dem sich das Gesinde, der Abfahrt ihres Herrn gewärtig, versammelt hatte. Horváth ertheilte seine letzten Aufträge; den Knechten befahl er, das Haus vor Zigeunern, Bettlern und anderem Gesindel in Acht zu nehmen und Thor und Thüren wohl verschlossen zu halten; die Mägde hieß er Feuer und Licht behüten, und nachdem er Frau Margit die Aufsicht über das Gesinde und die während seiner Abwesenheit zu vollendenden Arbeiten, vorzüglich jene der Küfer, ans Herz gelegt hatte, wandte er sich an seine Tochter. Diese, in tiefster Seele von Vorwürfen und Reue zerrissen und gefoltert von dem Bewußtsein, ihren alten,

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[0060] Zauber für ihn verloren zu haben und unfähig geworden zu sein, die finstern Gestalten zurückzudrängen, die Nachts in der lautlosen Stille des dunklen Kellerstübchens vor ihm emportauchen mochten. Er war es, der jetzt verwirrt, beängstigt und vor jedem Geräusch zusammenschreckend von Czenczi beruhigt und getröstet werden mußte; Gefahren würde er muthig bestanden haben, den Schrecken der Einsamkeit vermochte er nicht die Stirn zu bieten; und als Czenczi Abschied nahm und wieder die Thür des Stübchens hinter sich verschließen mußte, hielt er sie zurück und gehabte sich nicht anders, als sollte er für immer von Licht, Luft und Leben abgeschieden werden. Endlich, am dritten Tage gegen Mittag, machte sich Horváth fertig, die längst beschlossene Reise nach Ofen anzutreten. Der Wagen war angespannt, und Horváth, von Base Margit und seiner Tochter begleitet, trat aus dem Hause, vor dem sich das Gesinde, der Abfahrt ihres Herrn gewärtig, versammelt hatte. Horváth ertheilte seine letzten Aufträge; den Knechten befahl er, das Haus vor Zigeunern, Bettlern und anderem Gesindel in Acht zu nehmen und Thor und Thüren wohl verschlossen zu halten; die Mägde hieß er Feuer und Licht behüten, und nachdem er Frau Margit die Aufsicht über das Gesinde und die während seiner Abwesenheit zu vollendenden Arbeiten, vorzüglich jene der Küfer, ans Herz gelegt hatte, wandte er sich an seine Tochter. Diese, in tiefster Seele von Vorwürfen und Reue zerrissen und gefoltert von dem Bewußtsein, ihren alten,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:52:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:52:38Z)

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Zitationshilfe: Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/60>, abgerufen am 20.04.2024.