Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.als es ihr leise von Czenczi's entfärbten Lippen entgegentönte: Base, liebe Base Margit! In einen lauten Freudenruf ausbrechend, umarmte sie die geliebte Kranke; diese aber winkte ihr, zu schweigen. Ihr müßt mir einen Dienst erweisen, Base, flüsterte sie in unruhiger Hast ihr zu, einen wichtigen Dienst! Ihr müßt mir in den Keller hinabsteigen! -- Ach lieber Gott, nun redet sie wieder irre, seufzte Frau Margit. -- Nein, ich rede nicht irre, versetzte Czenczi, ich weiß, was ich sage, und ich sage Euch, Ihr müßt vollbringen, woran mich gestern mein plötzliches Erkranken verhinderte! Ferencz ist im Kellerstübchen eingeschlossen; Ihr müßt ihn befreien! -- Gestern? Du Unglückselige! stammelte Frau Margit, bestürzt die Hände ringend. -- In diesem Augenblicke wurde der Wandschirm zurückgeschoben, und Horvath stürzte nicht minder entsetzt als Frau Margit aus seinem Versteck hervor. Du barmherziger Gott, Ferencz im Kellerstübchen! rief er, und damit riß er die Kellerschlüssel von der Wand, schrie nach Licht und eilte mit einigen Knechten, die er schleunig geweckt hatte, dem Keller zu. Es war ein gräßlicher Anblick, der sich Ihnen darbot, als sie das Kellerstübchen betraten. Sein unglücklicher Bewohner hatte an zwei Stellen die Wände desselben zu durchbrechen versucht, und auch die innere Seite der Thür trug sichtliche Spuren der gewaltsamen Anstrengung an sich, mit der an der Oeffnung derselben gearbeitet worden war. Erschöpfung schien den Ver- als es ihr leise von Czenczi's entfärbten Lippen entgegentönte: Base, liebe Base Margit! In einen lauten Freudenruf ausbrechend, umarmte sie die geliebte Kranke; diese aber winkte ihr, zu schweigen. Ihr müßt mir einen Dienst erweisen, Base, flüsterte sie in unruhiger Hast ihr zu, einen wichtigen Dienst! Ihr müßt mir in den Keller hinabsteigen! — Ach lieber Gott, nun redet sie wieder irre, seufzte Frau Margit. — Nein, ich rede nicht irre, versetzte Czenczi, ich weiß, was ich sage, und ich sage Euch, Ihr müßt vollbringen, woran mich gestern mein plötzliches Erkranken verhinderte! Ferencz ist im Kellerstübchen eingeschlossen; Ihr müßt ihn befreien! — Gestern? Du Unglückselige! stammelte Frau Margit, bestürzt die Hände ringend. — In diesem Augenblicke wurde der Wandschirm zurückgeschoben, und Horváth stürzte nicht minder entsetzt als Frau Margit aus seinem Versteck hervor. Du barmherziger Gott, Ferencz im Kellerstübchen! rief er, und damit riß er die Kellerschlüssel von der Wand, schrie nach Licht und eilte mit einigen Knechten, die er schleunig geweckt hatte, dem Keller zu. Es war ein gräßlicher Anblick, der sich Ihnen darbot, als sie das Kellerstübchen betraten. Sein unglücklicher Bewohner hatte an zwei Stellen die Wände desselben zu durchbrechen versucht, und auch die innere Seite der Thür trug sichtliche Spuren der gewaltsamen Anstrengung an sich, mit der an der Oeffnung derselben gearbeitet worden war. Erschöpfung schien den Ver- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0068"/> als es ihr leise von Czenczi's entfärbten Lippen entgegentönte: Base, liebe Base Margit! In einen lauten Freudenruf ausbrechend, umarmte sie die geliebte Kranke; diese aber winkte ihr, zu schweigen. Ihr müßt mir einen Dienst erweisen, Base, flüsterte sie in unruhiger Hast ihr zu, einen wichtigen Dienst! Ihr müßt mir in den Keller hinabsteigen! — Ach lieber Gott, nun redet sie wieder irre, seufzte Frau Margit. — Nein, ich rede nicht irre, versetzte Czenczi, ich weiß, was ich sage, und ich sage Euch, Ihr müßt vollbringen, woran mich gestern mein plötzliches Erkranken verhinderte! Ferencz ist im Kellerstübchen eingeschlossen; Ihr müßt ihn befreien! — Gestern? Du Unglückselige! stammelte Frau Margit, bestürzt die Hände ringend. — In diesem Augenblicke wurde der Wandschirm zurückgeschoben, und Horváth stürzte nicht minder entsetzt als Frau Margit aus seinem Versteck hervor. Du barmherziger Gott, Ferencz im Kellerstübchen! rief er, und damit riß er die Kellerschlüssel von der Wand, schrie nach Licht und eilte mit einigen Knechten, die er schleunig geweckt hatte, dem Keller zu.</p><lb/> <p>Es war ein gräßlicher Anblick, der sich Ihnen darbot, als sie das Kellerstübchen betraten. Sein unglücklicher Bewohner hatte an zwei Stellen die Wände desselben zu durchbrechen versucht, und auch die innere Seite der Thür trug sichtliche Spuren der gewaltsamen Anstrengung an sich, mit der an der Oeffnung derselben gearbeitet worden war. Erschöpfung schien den Ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
als es ihr leise von Czenczi's entfärbten Lippen entgegentönte: Base, liebe Base Margit! In einen lauten Freudenruf ausbrechend, umarmte sie die geliebte Kranke; diese aber winkte ihr, zu schweigen. Ihr müßt mir einen Dienst erweisen, Base, flüsterte sie in unruhiger Hast ihr zu, einen wichtigen Dienst! Ihr müßt mir in den Keller hinabsteigen! — Ach lieber Gott, nun redet sie wieder irre, seufzte Frau Margit. — Nein, ich rede nicht irre, versetzte Czenczi, ich weiß, was ich sage, und ich sage Euch, Ihr müßt vollbringen, woran mich gestern mein plötzliches Erkranken verhinderte! Ferencz ist im Kellerstübchen eingeschlossen; Ihr müßt ihn befreien! — Gestern? Du Unglückselige! stammelte Frau Margit, bestürzt die Hände ringend. — In diesem Augenblicke wurde der Wandschirm zurückgeschoben, und Horváth stürzte nicht minder entsetzt als Frau Margit aus seinem Versteck hervor. Du barmherziger Gott, Ferencz im Kellerstübchen! rief er, und damit riß er die Kellerschlüssel von der Wand, schrie nach Licht und eilte mit einigen Knechten, die er schleunig geweckt hatte, dem Keller zu.
Es war ein gräßlicher Anblick, der sich Ihnen darbot, als sie das Kellerstübchen betraten. Sein unglücklicher Bewohner hatte an zwei Stellen die Wände desselben zu durchbrechen versucht, und auch die innere Seite der Thür trug sichtliche Spuren der gewaltsamen Anstrengung an sich, mit der an der Oeffnung derselben gearbeitet worden war. Erschöpfung schien den Ver-
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