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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 8. Lothar von Supplinburg (1125-1137).
Irdische durch freie Entfaltung der ihr eigentümlichen Kräfte leben-
digen, herzempfundenen Glaubens, tiefer mystischer Versenkung und
bergeversetzender Heilswirkung, bei den Auserwählten gesteigert bis
zu persönlicher Wundergabe. Aus der Wurzel seiner eignen starken
Veranlagung nicht zum wenigsten erwuchs ihm dies Ideal, denn
mit warmen und feinen Gemütskräften, die in künstlerischer Form
zutage traten, verband er eine unerhörte, aus tiefster Überzeugung
und Selbstsicherheit geborene, leidenschaftliche Wucht der Über-
redung, die Glauben weckte und Willen lenkte, Heilungen wirkte
und Entschlüsse umstieß, wohin er kam. In Clairvaux liefen die
Fäden der Welt zusammen, Bernhard erteilte Königen Rat und
Weisung und bestimmte dem Papsttum den Weg, voll Selbstgefühl,
wie es bei so allseitiger Schätzung notwendig erwachsen mußte,
unduldsam und nicht ohne Schrifstellereitelkeit und Künstler-
empfindlichkeit, aber machtvoll und erfolgreich, von der Zeit-
strömung getragen, jahrzehntelang der ungekrönte Herrscher von
Europa.

Was der Zisterzienserorden durch religiöse Erneuerung und
zusammenfassende Organisation für die Benediktinerklöster bedeutete,
das schuf unter französischem Einfluß ein Deutscher für die regu-
lierten Augustiner Chorherrenstifter durch Gründung des Prämon-
stratenserordens. Norbert1), der Grafensohn aus Xanten, folgte
dem Vorbilde Bernhards, persönlich härter und schroffer als jener,
trotz aller Askese von weltmännischer Gewandtheit und Verwal-
tungsgabe, aristokratisch, wie auch stets seine Schöpfung blieb, die
von dem Kloster Premontre im Bistum Laon (1120) ausgehend,
in demselben Jahre die päpstliche Bestätigung erhielt, in dem Norbert
unter dem Einfluß der Kurie von Lothar zum Erzbischof von
Magdeburg erhoben ward (1126). Dadurch gerade sollte der Orden
neben dem der Zisterzienser seine besondere Bedeutung für die
Christianisierung der ostelbischen Slawenlande erhalten. Norbert
selbst freilich besaß für diese Aufgabe nicht genug entsagende Hin-
gebung, umso besser verstand er es, auf den König und die Reichs-
regierung bis zu seinem Tode (1134) den nachhaltigsten Einfluß
zu üben.

Stärker als in ihm kam der pietistisch-mystische Zug der
bernhardinischen Richtung zum Ausdruck in dem kirchlich fast
noch strengeren, persönlich milderen Erzbischof Konrad von Salz-
burg2) und in dem von ihm eingesetzten Propste Gerhoh von

1) Vgl. seine in zwei Fassungen vorliegende zeitgenössische Biographie
M. G. SS. XII.
2) Das Bruchstück einer bis 1138 reichenden, zwischen 1170 u. 1177
verfaßten Biographie M. G. SS. XI.

§ 8. Lothar von Supplinburg (1125‒1137).
Irdische durch freie Entfaltung der ihr eigentümlichen Kräfte leben-
digen, herzempfundenen Glaubens, tiefer mystischer Versenkung und
bergeversetzender Heilswirkung, bei den Auserwählten gesteigert bis
zu persönlicher Wundergabe. Aus der Wurzel seiner eignen starken
Veranlagung nicht zum wenigsten erwuchs ihm dies Ideal, denn
mit warmen und feinen Gemütskräften, die in künstlerischer Form
zutage traten, verband er eine unerhörte, aus tiefster Überzeugung
und Selbstsicherheit geborene, leidenschaftliche Wucht der Über-
redung, die Glauben weckte und Willen lenkte, Heilungen wirkte
und Entschlüsse umstieß, wohin er kam. In Clairvaux liefen die
Fäden der Welt zusammen, Bernhard erteilte Königen Rat und
Weisung und bestimmte dem Papsttum den Weg, voll Selbstgefühl,
wie es bei so allseitiger Schätzung notwendig erwachsen mußte,
unduldsam und nicht ohne Schrifstellereitelkeit und Künstler-
empfindlichkeit, aber machtvoll und erfolgreich, von der Zeit-
strömung getragen, jahrzehntelang der ungekrönte Herrscher von
Europa.

Was der Zisterzienserorden durch religiöse Erneuerung und
zusammenfassende Organisation für die Benediktinerklöster bedeutete,
das schuf unter französischem Einfluß ein Deutscher für die regu-
lierten Augustiner Chorherrenstifter durch Gründung des Prämon-
stratenserordens. Norbert1), der Grafensohn aus Xanten, folgte
dem Vorbilde Bernhards, persönlich härter und schroffer als jener,
trotz aller Askese von weltmännischer Gewandtheit und Verwal-
tungsgabe, aristokratisch, wie auch stets seine Schöpfung blieb, die
von dem Kloster Prémontré im Bistum Laon (1120) ausgehend,
in demselben Jahre die päpstliche Bestätigung erhielt, in dem Norbert
unter dem Einfluß der Kurie von Lothar zum Erzbischof von
Magdeburg erhoben ward (1126). Dadurch gerade sollte der Orden
neben dem der Zisterzienser seine besondere Bedeutung für die
Christianisierung der ostelbischen Slawenlande erhalten. Norbert
selbst freilich besaß für diese Aufgabe nicht genug entsagende Hin-
gebung, umso besser verstand er es, auf den König und die Reichs-
regierung bis zu seinem Tode (1134) den nachhaltigsten Einfluß
zu üben.

Stärker als in ihm kam der pietistisch-mystische Zug der
bernhardinischen Richtung zum Ausdruck in dem kirchlich fast
noch strengeren, persönlich milderen Erzbischof Konrad von Salz-
burg2) und in dem von ihm eingesetzten Propste Gerhoh von

1) Vgl. seine in zwei Fassungen vorliegende zeitgenössische Biographie
M. G. SS. XII.
2) Das Bruchstück einer bis 1138 reichenden, zwischen 1170 u. 1177
verfaßten Biographie M. G. SS. XI.
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[93/0101] § 8. Lothar von Supplinburg (1125‒1137). Irdische durch freie Entfaltung der ihr eigentümlichen Kräfte leben- digen, herzempfundenen Glaubens, tiefer mystischer Versenkung und bergeversetzender Heilswirkung, bei den Auserwählten gesteigert bis zu persönlicher Wundergabe. Aus der Wurzel seiner eignen starken Veranlagung nicht zum wenigsten erwuchs ihm dies Ideal, denn mit warmen und feinen Gemütskräften, die in künstlerischer Form zutage traten, verband er eine unerhörte, aus tiefster Überzeugung und Selbstsicherheit geborene, leidenschaftliche Wucht der Über- redung, die Glauben weckte und Willen lenkte, Heilungen wirkte und Entschlüsse umstieß, wohin er kam. In Clairvaux liefen die Fäden der Welt zusammen, Bernhard erteilte Königen Rat und Weisung und bestimmte dem Papsttum den Weg, voll Selbstgefühl, wie es bei so allseitiger Schätzung notwendig erwachsen mußte, unduldsam und nicht ohne Schrifstellereitelkeit und Künstler- empfindlichkeit, aber machtvoll und erfolgreich, von der Zeit- strömung getragen, jahrzehntelang der ungekrönte Herrscher von Europa. Was der Zisterzienserorden durch religiöse Erneuerung und zusammenfassende Organisation für die Benediktinerklöster bedeutete, das schuf unter französischem Einfluß ein Deutscher für die regu- lierten Augustiner Chorherrenstifter durch Gründung des Prämon- stratenserordens. Norbert 1), der Grafensohn aus Xanten, folgte dem Vorbilde Bernhards, persönlich härter und schroffer als jener, trotz aller Askese von weltmännischer Gewandtheit und Verwal- tungsgabe, aristokratisch, wie auch stets seine Schöpfung blieb, die von dem Kloster Prémontré im Bistum Laon (1120) ausgehend, in demselben Jahre die päpstliche Bestätigung erhielt, in dem Norbert unter dem Einfluß der Kurie von Lothar zum Erzbischof von Magdeburg erhoben ward (1126). Dadurch gerade sollte der Orden neben dem der Zisterzienser seine besondere Bedeutung für die Christianisierung der ostelbischen Slawenlande erhalten. Norbert selbst freilich besaß für diese Aufgabe nicht genug entsagende Hin- gebung, umso besser verstand er es, auf den König und die Reichs- regierung bis zu seinem Tode (1134) den nachhaltigsten Einfluß zu üben. Stärker als in ihm kam der pietistisch-mystische Zug der bernhardinischen Richtung zum Ausdruck in dem kirchlich fast noch strengeren, persönlich milderen Erzbischof Konrad von Salz- burg 2) und in dem von ihm eingesetzten Propste Gerhoh von 1) Vgl. seine in zwei Fassungen vorliegende zeitgenössische Biographie M. G. SS. XII. 2) Das Bruchstück einer bis 1138 reichenden, zwischen 1170 u. 1177 verfaßten Biographie M. G. SS. XI.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/101>, abgerufen am 24.11.2024.