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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216).

Kaum jemals, selbst nicht beim Ende Heinrichs III., an das
die Lage einigermaßen erinnert, hat an dem Leben eines Mannes
so schlechthin alles gehangen. Schon die zeitgenössischen deutschen
Chronisten zeigten das lebendigste Gefühl des unersetzlichen Ver-
lustes und die Ahnung eines drohenden Umschwungs. Voller Sorge
suchte damals, so erzählte man sich in Köln, der alte Recke Dietrich
von Bern das deutsche Reich auf; an der Mosel hatte man seine
riesenhafte Erscheinung auf kohlschwarzem Rosse gesehen. Er
weissagte künftiges Unheil.

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren.
(1198-1216).

Während die Verhältnisse im Reiche zu Spaltung und Bürger-
krieg führten, bestieg ein Vierteljahr nach dem Tode Heinrichs VI.
der Mann den Stuhl Petri, der in der ganzen Reihe der großen
politischen Päpste vielleicht als der herrschbegabteste zu bezeichnen
ist. Das erst vollendete den Umschwung. -- Schon daß man den
37 jährigen Lothar von Segni, den jüngsten der Kardinäle, zum
Papst wählte, spricht für seine überragende Bedeutung.

Innozenz III. (1198-1216)1) war von zartem Körperbau und
feinen, schmalen Gesichtszügen, in denen man Klarheit und ge-
sammelte Energie erkennt. Genuß und Muße waren ihm unbekannt.
Er beschränkte sogleich den Aufwand der päpstlichen Hofhaltung,
ohne indes zu kargen, wo es das Ansehen der Kirche galt. Seine
persönliche Bedürfnislosigkeit weckte wohl Klagen der in Mitleiden-

1) Hauptquelle sind seine bewunderungswürdigen Registerbände (hrsg.
von Baluze (1682) und von Brequigny u. La Porte du Theil (1791); danach,
zusammen mit den sonstigen Schriften des Papstes, bei Migne, Patrol. lat.
Bd. 214--217). Von besonderer Wichtigkeit für die Reichsgeschichte ist das
leider unvollständige "Registrum de negotio imperii". Die "Gesta Innocentii III.
papae" von einem unbekannten Zeitgenossen aus der Umgebung des Papstes sind
ganz tendenziös, aber stofflich sehr wertvoll (Migne 214). Von neueren Dar-
stellungen ist noch immer die einzige vollständige Biographie die von Fr. Hurter
in 4 Bänden, zuerst 1834 ff., wenn auch unkünstlerisch, so doch gründlich
und lehrreich, aber von so schrankenloser Bewunderung des Papstes, daß sie
den Übertritt des protestantisch-theologischen Verfassers zur Folge hatte, der
dann als Hofhistoriograph des österreichischen Kaiserhauses endete. Das
heute veraltete Werk sucht neuerdings A. Luchaire, teilweise mit gutem Er-
folg, durch eine Reihe von Monographien über den Papst zu ersetzen: Inno-
cent III: Rome et l'Italie (1904), La Croisade des Albigeois (1905), La Pa-
paute et l'Empire (1906); La question d'Orient (1907); Les royautes vassales
du Saint-siege (1908); dazu eine Anzahl vorbereitender Abhandlungen, auf-
gezählt Hist. Zeitschr. 94, 474. Von deutschen Monographien vgl. Schwemer,
J. III u. d. deutsche Kirche (1882).
§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216).

Kaum jemals, selbst nicht beim Ende Heinrichs III., an das
die Lage einigermaßen erinnert, hat an dem Leben eines Mannes
so schlechthin alles gehangen. Schon die zeitgenössischen deutschen
Chronisten zeigten das lebendigste Gefühl des unersetzlichen Ver-
lustes und die Ahnung eines drohenden Umschwungs. Voller Sorge
suchte damals, so erzählte man sich in Köln, der alte Recke Dietrich
von Bern das deutsche Reich auf; an der Mosel hatte man seine
riesenhafte Erscheinung auf kohlschwarzem Rosse gesehen. Er
weissagte künftiges Unheil.

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren.
(1198‒1216).

Während die Verhältnisse im Reiche zu Spaltung und Bürger-
krieg führten, bestieg ein Vierteljahr nach dem Tode Heinrichs VI.
der Mann den Stuhl Petri, der in der ganzen Reihe der großen
politischen Päpste vielleicht als der herrschbegabteste zu bezeichnen
ist. Das erst vollendete den Umschwung. — Schon daß man den
37 jährigen Lothar von Segni, den jüngsten der Kardinäle, zum
Papst wählte, spricht für seine überragende Bedeutung.

Innozenz III. (1198‒1216)1) war von zartem Körperbau und
feinen, schmalen Gesichtszügen, in denen man Klarheit und ge-
sammelte Energie erkennt. Genuß und Muße waren ihm unbekannt.
Er beschränkte sogleich den Aufwand der päpstlichen Hofhaltung,
ohne indes zu kargen, wo es das Ansehen der Kirche galt. Seine
persönliche Bedürfnislosigkeit weckte wohl Klagen der in Mitleiden-

1) Hauptquelle sind seine bewunderungswürdigen Registerbände (hrsg.
von Baluze (1682) und von Brequigny u. La Porte du Theil (1791); danach,
zusammen mit den sonstigen Schriften des Papstes, bei Migne, Patrol. lat.
Bd. 214—217). Von besonderer Wichtigkeit für die Reichsgeschichte ist das
leider unvollständige „Registrum de negotio imperii“. Die „Gesta Innocentii III.
papae“ von einem unbekannten Zeitgenossen aus der Umgebung des Papstes sind
ganz tendenziös, aber stofflich sehr wertvoll (Migne 214). Von neueren Dar-
stellungen ist noch immer die einzige vollständige Biographie die von Fr. Hurter
in 4 Bänden, zuerst 1834 ff., wenn auch unkünstlerisch, so doch gründlich
und lehrreich, aber von so schrankenloser Bewunderung des Papstes, daß sie
den Übertritt des protestantisch-theologischen Verfassers zur Folge hatte, der
dann als Hofhistoriograph des österreichischen Kaiserhauses endete. Das
heute veraltete Werk sucht neuerdings A. Luchaire, teilweise mit gutem Er-
folg, durch eine Reihe von Monographien über den Papst zu ersetzen: Inno-
cent III: Rome et l'Italie (1904), La Croisade des Albigeois (1905), La Pa-
pauté et l'Empire (1906); La question d'Orient (1907); Les royautés vassales
du Saint-siège (1908); dazu eine Anzahl vorbereitender Abhandlungen, auf-
gezählt Hist. Zeitschr. 94, 474. Von deutschen Monographien vgl. Schwemer,
J. III u. d. deutsche Kirche (1882).
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[183/0191] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). Kaum jemals, selbst nicht beim Ende Heinrichs III., an das die Lage einigermaßen erinnert, hat an dem Leben eines Mannes so schlechthin alles gehangen. Schon die zeitgenössischen deutschen Chronisten zeigten das lebendigste Gefühl des unersetzlichen Ver- lustes und die Ahnung eines drohenden Umschwungs. Voller Sorge suchte damals, so erzählte man sich in Köln, der alte Recke Dietrich von Bern das deutsche Reich auf; an der Mosel hatte man seine riesenhafte Erscheinung auf kohlschwarzem Rosse gesehen. Er weissagte künftiges Unheil. § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). Während die Verhältnisse im Reiche zu Spaltung und Bürger- krieg führten, bestieg ein Vierteljahr nach dem Tode Heinrichs VI. der Mann den Stuhl Petri, der in der ganzen Reihe der großen politischen Päpste vielleicht als der herrschbegabteste zu bezeichnen ist. Das erst vollendete den Umschwung. — Schon daß man den 37 jährigen Lothar von Segni, den jüngsten der Kardinäle, zum Papst wählte, spricht für seine überragende Bedeutung. Innozenz III. (1198‒1216) 1) war von zartem Körperbau und feinen, schmalen Gesichtszügen, in denen man Klarheit und ge- sammelte Energie erkennt. Genuß und Muße waren ihm unbekannt. Er beschränkte sogleich den Aufwand der päpstlichen Hofhaltung, ohne indes zu kargen, wo es das Ansehen der Kirche galt. Seine persönliche Bedürfnislosigkeit weckte wohl Klagen der in Mitleiden- 1) Hauptquelle sind seine bewunderungswürdigen Registerbände (hrsg. von Baluze (1682) und von Brequigny u. La Porte du Theil (1791); danach, zusammen mit den sonstigen Schriften des Papstes, bei Migne, Patrol. lat. Bd. 214—217). Von besonderer Wichtigkeit für die Reichsgeschichte ist das leider unvollständige „Registrum de negotio imperii“. Die „Gesta Innocentii III. papae“ von einem unbekannten Zeitgenossen aus der Umgebung des Papstes sind ganz tendenziös, aber stofflich sehr wertvoll (Migne 214). Von neueren Dar- stellungen ist noch immer die einzige vollständige Biographie die von Fr. Hurter in 4 Bänden, zuerst 1834 ff., wenn auch unkünstlerisch, so doch gründlich und lehrreich, aber von so schrankenloser Bewunderung des Papstes, daß sie den Übertritt des protestantisch-theologischen Verfassers zur Folge hatte, der dann als Hofhistoriograph des österreichischen Kaiserhauses endete. Das heute veraltete Werk sucht neuerdings A. Luchaire, teilweise mit gutem Er- folg, durch eine Reihe von Monographien über den Papst zu ersetzen: Inno- cent III: Rome et l'Italie (1904), La Croisade des Albigeois (1905), La Pa- pauté et l'Empire (1906); La question d'Orient (1907); Les royautés vassales du Saint-siège (1908); dazu eine Anzahl vorbereitender Abhandlungen, auf- gezählt Hist. Zeitschr. 94, 474. Von deutschen Monographien vgl. Schwemer, J. III u. d. deutsche Kirche (1882).

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/191>, abgerufen am 25.11.2024.