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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans I. Buch.
gete sich endlich der Vorsteher der Teutschen vor
dem Magnifico, und sagte: Es haben zwar die Herren
Jtaliäner/ und andere Mittägige Gelehrten/ Ursach/
uns Teutsche/ wegen dieser aufgebürdeten Schuld/ in
etwas zu tadeln/ doch ist es wol/ und bleibet auch eine
wichtige Frage: Ob es besser sey/ von allem etwas/
oder eine Sache allein/ vollständig wissen/ und verste-
hen? Mit Eurer Magnificentz Vergünstigung ant-
worte ich darauf also: Wann man nur eine Sache
studiren wil/ so bedarff man nur einerley Bücher/
oder wol nur ein einziges Buch/ und ist alles so weit-
läufftig/ daß deß Menschen Leben viel zu kurtz/ viele
Wissenschafften gründlich zu fassen/ und mit Nutzen
zu Werck zu bringen. Wie wir nur eine Sache recht
und eigentlich ansehen/ und betrachten können; Also
mag das Aug unsens Verstandes mehr nicht/ als eine
Sache/ in gleicher Linie anschauen/ und gleichsam
von Punct auf Punct (wie auß der Sehe-Kunst be-
wußt ist/) anstrahlen. Das Geringste in der Na-
tur bringet die gröste Betrachtungen mit sich/ wie
wir sehen/ daß Lucianus über einer Mucken lange Zeit
philosophiret/ und Jener 43. Jahre mit Betrachtung
der Ameiß zugebracht. Messala hat von einem jeden
Buchstaben ein Buch geschrieben/ und hat Heinsius
von dem Esel/ und von der Lauß/ Pirkamer von dem
Zipperlein/ Diocles von der Rüben/ andere von an-
dern geringen Sachen geschrieben. Darauß zu
schliessen/ wann man eine weitschweiffige gantze Wis-
senschafft Stückweiß erkundigen/ und untersuchen
solle/ daß man in den andern nicht viel werde lernen
können/ zumahlen Verulamius erheischet/ daß man
von jeder Sache/ als von dem Schwefel/ dem Saltz/
von jedem Gewürtze/ &c. besondere Bücher schreiben
solle/ damit unser Wissen nicht in allgemeinen/ son-

dern
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Romans I. Buch.
gete ſich endlich der Vorſteher der Teutſchen vor
dem Magnifico, und ſagte: Es haben zwar die Herren
Jtaliaͤner/ und andere Mittaͤgige Gelehrten/ Urſach/
uns Teutſche/ wegen dieſer aufgebuͤrdeten Schuld/ in
etwas zu tadeln/ doch iſt es wol/ und bleibet auch eine
wichtige Frage: Ob es beſſer ſey/ von allem etwas/
oder eine Sache allein/ vollſtaͤndig wiſſen/ und verſte-
hen? Mit Eurer Magnificentz Verguͤnſtigung ant-
worte ich darauf alſo: Wann man nur eine Sache
ſtudiren wil/ ſo bedarff man nur einerley Buͤcher/
oder wol nur ein einziges Buch/ und iſt alles ſo weit-
laͤufftig/ daß deß Menſchen Leben viel zu kurtz/ viele
Wiſſenſchafften gruͤndlich zu faſſen/ und mit Nutzen
zu Werck zu bringen. Wie wir nur eine Sache recht
und eigentlich anſehen/ und betrachten koͤnnen; Alſo
mag das Aug unſens Verſtandes mehr nicht/ als eine
Sache/ in gleicher Linie anſchauen/ und gleichſam
von Punct auf Punct (wie auß der Sehe-Kunſt be-
wußt iſt/) anſtrahlen. Das Geringſte in der Na-
tur bringet die groͤſte Betrachtungen mit ſich/ wie
wir ſehen/ daß Lucianus uͤber einer Mucken lange Zeit
philoſophiret/ und Jener 43. Jahre mit Betrachtung
der Ameiß zugebracht. Meſſala hat von einem jeden
Buchſtaben ein Buch geſchrieben/ und hat Heinſius
von dem Eſel/ und von der Lauß/ Pirkamer von dem
Zipperlein/ Diocles von der Ruͤben/ andere von an-
dern geringen Sachen geſchrieben. Darauß zu
ſchlieſſen/ wann man eine weitſchweiffige gantze Wiſ-
ſenſchafft Stuͤckweiß erkundigen/ und unterſuchen
ſolle/ daß man in den andern nicht viel werde lernen
koͤnnen/ zumahlen Verulamius erheiſchet/ daß man
von jeder Sache/ als von dem Schwefel/ dem Saltz/
von jedem Gewuͤrtze/ &c. beſondere Buͤcher ſchreiben
ſolle/ damit unſer Wiſſen nicht in allgemeinen/ ſon-

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[437/0451] Romans I. Buch. gete ſich endlich der Vorſteher der Teutſchen vor dem Magnifico, und ſagte: Es haben zwar die Herren Jtaliaͤner/ und andere Mittaͤgige Gelehrten/ Urſach/ uns Teutſche/ wegen dieſer aufgebuͤrdeten Schuld/ in etwas zu tadeln/ doch iſt es wol/ und bleibet auch eine wichtige Frage: Ob es beſſer ſey/ von allem etwas/ oder eine Sache allein/ vollſtaͤndig wiſſen/ und verſte- hen? Mit Eurer Magnificentz Verguͤnſtigung ant- worte ich darauf alſo: Wann man nur eine Sache ſtudiren wil/ ſo bedarff man nur einerley Buͤcher/ oder wol nur ein einziges Buch/ und iſt alles ſo weit- laͤufftig/ daß deß Menſchen Leben viel zu kurtz/ viele Wiſſenſchafften gruͤndlich zu faſſen/ und mit Nutzen zu Werck zu bringen. Wie wir nur eine Sache recht und eigentlich anſehen/ und betrachten koͤnnen; Alſo mag das Aug unſens Verſtandes mehr nicht/ als eine Sache/ in gleicher Linie anſchauen/ und gleichſam von Punct auf Punct (wie auß der Sehe-Kunſt be- wußt iſt/) anſtrahlen. Das Geringſte in der Na- tur bringet die groͤſte Betrachtungen mit ſich/ wie wir ſehen/ daß Lucianus uͤber einer Mucken lange Zeit philoſophiret/ und Jener 43. Jahre mit Betrachtung der Ameiß zugebracht. Meſſala hat von einem jeden Buchſtaben ein Buch geſchrieben/ und hat Heinſius von dem Eſel/ und von der Lauß/ Pirkamer von dem Zipperlein/ Diocles von der Ruͤben/ andere von an- dern geringen Sachen geſchrieben. Darauß zu ſchlieſſen/ wann man eine weitſchweiffige gantze Wiſ- ſenſchafft Stuͤckweiß erkundigen/ und unterſuchen ſolle/ daß man in den andern nicht viel werde lernen koͤnnen/ zumahlen Verulamius erheiſchet/ daß man von jeder Sache/ als von dem Schwefel/ dem Saltz/ von jedem Gewuͤrtze/ &c. beſondere Buͤcher ſchreiben ſolle/ damit unſer Wiſſen nicht in allgemeinen/ ſon- dern E e 3

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/451>, abgerufen am 22.11.2024.