Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.Von den Reimgebänden. Meinung endigen: Dann wann ein Wort in derzweyten/ oder dritten Reimzeil oder nach der re- petion die Meinung schleusst/ dazwischen aber ein Mittelschluß (Clausula intermedia von den Musicis genennt) so wird die Meinung unver- nemlich/ die Rede gehemmt/ und die Reimzeilen gantz mißlautend fallen/ diesen Fehler habe ich in vielen Liedern beobachtet/ will aber mich durch folgendes Exempel besser verstehen machen. Jch setze in dem Ton: Wol dem der weit von ho- hen Dingen etc. also: Die alten hochbelaubten Eichen begipselt gleichsam Wolken an:/ : Schau' ich biß an den Himmel reichen/ ihr Schatten deckt der Erden Plan etc. Viel deutlicher ist/ wann das Schluß-Wort Jch schaue die belaubten Eichen begipfelt gleichsam Wolken an: Jn dem sie an den Himmel reichen beschatten sie den Erden Plan. Wiewol dieses nicht eigentlich zu dem Reimge- Liedern
Von den Reimgebaͤnden. Meinung endigen: Dann wann ein Wort in derzweyten/ oder dritten Reimzeil oder nach der re- petion die Meinung ſchleuſſt/ dazwiſchen aber ein Mittelſchluß (Clauſula intermedia von den Muſicis genennt) ſo wird die Meinung unver- nemlich/ die Rede gehemmt/ und die Reimzeilen gantz mißlautend fallen/ dieſen Fehler habe ich in vielen Liedern beobachtet/ will aber mich durch folgendes Exempel beſſer verſtehen machen. Jch ſetze in dem Ton: Wol dem der weit von ho- hen Dingen ꝛc. alſo: Die alten hochbelaubten Eichen begipſelt gleichſam Wolken an:/ : Schau’ ich biß an den Himmel reichen/ ihr Schatten deckt der Erden Plan ꝛc. Viel deutlicher iſt/ wann das Schluß-Wort Jch ſchaue die belaubten Eichen begipfelt gleichſam Wolken an: Jn dem ſie an den Himmel reichen beſchatten ſie den Erden Plan. Wiewol dieſes nicht eigentlich zu dem Reimge- Liedern
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Von den Reimgebaͤnden.
Meinung endigen: Dann wann ein Wort in der
zweyten/ oder dritten Reimzeil oder nach der re-
petion die Meinung ſchleuſſt/ dazwiſchen aber
ein Mittelſchluß (Clauſula intermedia von den
Muſicis genennt) ſo wird die Meinung unver-
nemlich/ die Rede gehemmt/ und die Reimzeilen
gantz mißlautend fallen/ dieſen Fehler habe ich in
vielen Liedern beobachtet/ will aber mich durch
folgendes Exempel beſſer verſtehen machen. Jch
ſetze in dem Ton: Wol dem der weit von ho-
hen Dingen ꝛc. alſo:
Die alten hochbelaubten Eichen
begipſelt gleichſam Wolken an:/ :
Schau’ ich biß an den Himmel reichen/
ihr Schatten deckt der Erden Plan ꝛc.
Viel deutlicher iſt/ wann das Schluß-Wort
ſchau in dem erſten Vers/ als nach der repeti-
tion kommet/ alſo:
Jch ſchaue die belaubten Eichen
begipfelt gleichſam Wolken an:
Jn dem ſie an den Himmel reichen
beſchatten ſie den Erden Plan.
Wiewol dieſes nicht eigentlich zu dem Reimge-
baͤnde ſondern vielmehr zu der Zierlichkeit und deꝛ
leicht fllieſſenden ungezwungenen Redart gehoͤ-
ret/ welche ſo viel lieblicher ſo viel kuͤrtzer ſich die
Meinung ſchlieſſet/ und iſt der Einſchluß ( )/ als
welcher ein Sache darzwiſchen einflichtet/ in den
Liedern
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Zitationshilfe: | Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/127>, abgerufen am 16.02.2025. |