Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Die jetzige Erziehung der Mädchen ist wo möglich
noch fehlerhafter als die der Knaben, da man sie
zu nichts weniger als zu künftigen Hausfrauen und
Müttern bildet, und die gesunde Entwickelung ihres
Körpers noch mehr vernachlässigt. Wenn die Frau
vom Hause beständig kränkelt, kehrt der Unfriede bald
ein. Sorgt daher vor allen Dingen, ihr Mütter,
daß eure Töchter blühend und stark werden, und be-
lästigt sie nicht mit dem Erlernen so vieler Quisqui-
lien, vorzüglich wenn die Natur sie weder zu Virtuosen
noch zu Bel-esprits bestimmte.

Wie viele Mädchen verlieren nicht unendlich viel
Zeit mit Musikübungen, welche sie später fast immer
liegen lassen? Die ganze Erziehung scheint nur darauf
gerichtet, eine ganz kurze Epoche des Lebens möglichst
glänzend zu machen.

Auf diesem Wege werden aber weder Herz noch
Verstand ausgebildet, sondern höchstens Eitelkeit und
Flachheit. Sucht lieber für eure Töchter einen wahr-
haft gebildeten Lehrer, der ihr Auge für die Natur
öffne und das für alles Gute und Schöne empfäng-
liche Frauenherz mit den Thaten großer Männer
rühre, oder an den Gedanken großer Schriftsteller er-
wärme. Noch besser, wenn ihr selbst diese schöne
Rolle übernehmen könnt, wenn euer Kind euch nicht
allein das Leben verdanken wird, sondern mehr noch
als das Leben, eine Erziehung, welche dem Körper

Die jetzige Erziehung der Maͤdchen iſt wo moͤglich
noch fehlerhafter als die der Knaben, da man ſie
zu nichts weniger als zu kuͤnftigen Hausfrauen und
Müttern bildet, und die geſunde Entwickelung ihres
Koͤrpers noch mehr vernachlaͤſſigt. Wenn die Frau
vom Hauſe beſtaͤndig kraͤnkelt, kehrt der Unfriede bald
ein. Sorgt daher vor allen Dingen, ihr Muͤtter,
daß eure Toͤchter bluͤhend und ſtark werden, und be-
laͤſtigt ſie nicht mit dem Erlernen ſo vieler Quisqui-
lien, vorzuͤglich wenn die Natur ſie weder zu Virtuoſen
noch zu Bel‒esprits beſtimmte.

Wie viele Maͤdchen verlieren nicht unendlich viel
Zeit mit Muſikuͤbungen, welche ſie ſpaͤter faſt immer
liegen laſſen? Die ganze Erziehung ſcheint nur darauf
gerichtet, eine ganz kurze Epoche des Lebens moͤglichſt
glaͤnzend zu machen.

Auf dieſem Wege werden aber weder Herz noch
Verſtand ausgebildet, ſondern hoͤchſtens Eitelkeit und
Flachheit. Sucht lieber fuͤr eure Toͤchter einen wahr-
haft gebildeten Lehrer, der ihr Auge fuͤr die Natur
oͤffne und das fuͤr alles Gute und Schoͤne empfaͤng-
liche Frauenherz mit den Thaten großer Maͤnner
ruͤhre, oder an den Gedanken großer Schriftſteller er-
waͤrme. Noch beſſer, wenn ihr ſelbſt dieſe ſchoͤne
Rolle uͤbernehmen koͤnnt, wenn euer Kind euch nicht
allein das Leben verdanken wird, ſondern mehr noch
als das Leben, eine Erziehung, welche dem Koͤrper

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0142" n="132"/>
        <p>Die jetzige Erziehung der Ma&#x0364;dchen i&#x017F;t wo mo&#x0364;glich<lb/>
noch fehlerhafter als die der Knaben, da man &#x017F;ie<lb/>
zu nichts weniger als zu ku&#x0364;nftigen Hausfrauen und<lb/>
Müttern bildet, und die ge&#x017F;unde Entwickelung ihres<lb/>
Ko&#x0364;rpers noch mehr vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt. Wenn die Frau<lb/>
vom Hau&#x017F;e be&#x017F;ta&#x0364;ndig kra&#x0364;nkelt, kehrt der Unfriede bald<lb/>
ein. Sorgt daher vor allen Dingen, ihr Mu&#x0364;tter,<lb/>
daß eure To&#x0364;chter blu&#x0364;hend und &#x017F;tark werden, und be-<lb/>
la&#x0364;&#x017F;tigt &#x017F;ie nicht mit dem Erlernen &#x017F;o vieler Quisqui-<lb/>
lien, vorzu&#x0364;glich wenn die Natur &#x017F;ie weder zu Virtuo&#x017F;en<lb/>
noch zu <hi rendition="#aq">Bel&#x2012;esprits</hi> be&#x017F;timmte.</p><lb/>
        <p>Wie viele Ma&#x0364;dchen verlieren nicht unendlich viel<lb/>
Zeit mit Mu&#x017F;iku&#x0364;bungen, welche &#x017F;ie &#x017F;pa&#x0364;ter fa&#x017F;t immer<lb/>
liegen la&#x017F;&#x017F;en? Die ganze Erziehung &#x017F;cheint nur darauf<lb/>
gerichtet, eine ganz kurze Epoche des Lebens mo&#x0364;glich&#x017F;t<lb/>
gla&#x0364;nzend zu machen.</p><lb/>
        <p>Auf die&#x017F;em Wege werden aber weder Herz noch<lb/>
Ver&#x017F;tand ausgebildet, &#x017F;ondern ho&#x0364;ch&#x017F;tens Eitelkeit und<lb/>
Flachheit. Sucht lieber fu&#x0364;r eure To&#x0364;chter einen wahr-<lb/>
haft gebildeten Lehrer, der ihr Auge fu&#x0364;r die Natur<lb/>
o&#x0364;ffne und das fu&#x0364;r alles Gute und Scho&#x0364;ne empfa&#x0364;ng-<lb/>
liche Frauenherz mit den Thaten großer Ma&#x0364;nner<lb/>
ru&#x0364;hre, oder an den Gedanken großer Schrift&#x017F;teller er-<lb/>
wa&#x0364;rme. Noch be&#x017F;&#x017F;er, wenn ihr &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Rolle u&#x0364;bernehmen ko&#x0364;nnt, wenn euer Kind euch nicht<lb/>
allein das Leben verdanken wird, &#x017F;ondern mehr noch<lb/>
als das Leben, eine Erziehung, welche dem Ko&#x0364;rper<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0142] Die jetzige Erziehung der Maͤdchen iſt wo moͤglich noch fehlerhafter als die der Knaben, da man ſie zu nichts weniger als zu kuͤnftigen Hausfrauen und Müttern bildet, und die geſunde Entwickelung ihres Koͤrpers noch mehr vernachlaͤſſigt. Wenn die Frau vom Hauſe beſtaͤndig kraͤnkelt, kehrt der Unfriede bald ein. Sorgt daher vor allen Dingen, ihr Muͤtter, daß eure Toͤchter bluͤhend und ſtark werden, und be- laͤſtigt ſie nicht mit dem Erlernen ſo vieler Quisqui- lien, vorzuͤglich wenn die Natur ſie weder zu Virtuoſen noch zu Bel‒esprits beſtimmte. Wie viele Maͤdchen verlieren nicht unendlich viel Zeit mit Muſikuͤbungen, welche ſie ſpaͤter faſt immer liegen laſſen? Die ganze Erziehung ſcheint nur darauf gerichtet, eine ganz kurze Epoche des Lebens moͤglichſt glaͤnzend zu machen. Auf dieſem Wege werden aber weder Herz noch Verſtand ausgebildet, ſondern hoͤchſtens Eitelkeit und Flachheit. Sucht lieber fuͤr eure Toͤchter einen wahr- haft gebildeten Lehrer, der ihr Auge fuͤr die Natur oͤffne und das fuͤr alles Gute und Schoͤne empfaͤng- liche Frauenherz mit den Thaten großer Maͤnner ruͤhre, oder an den Gedanken großer Schriftſteller er- waͤrme. Noch beſſer, wenn ihr ſelbſt dieſe ſchoͤne Rolle uͤbernehmen koͤnnt, wenn euer Kind euch nicht allein das Leben verdanken wird, ſondern mehr noch als das Leben, eine Erziehung, welche dem Koͤrper

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/142
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/142>, abgerufen am 21.11.2024.