Dämmerung durch das Genie des Architecten ange- bracht worden ist. Ein Jeder, der versucht hat, längere Zeit in der Dämmerung zu lesen, muß empfunden haben, wie schwach und schmerzhaft seine Augen danach waren.
Man verbiete daher dem Kinde das Lesen bei mangelndem Licht und gehe selbst mit gutem Bei- spiele voran. Tritt die Dämmerung ein, so lasse man, wenn man etwas gar Jnteressantes zur Hand hat, die Lampe anzünden, und schließe das Tages- licht aus, oder noch besser, man übe auf einige Zeit Entsagung und lege das Buch weg.
Die Dämmerung fordert ganz vorzüglich zum Nachdenken auf; sie ist die Zeit der Sammlung, der Ruhe, eine natürliche Pause zwischen den Beschäfti- gungen des Tages und des Abends. Das Licht wirft zu dieser Stunde einen sanften malerischen Schein auf alle Gegenstände; und wenn die helle Mittags- sonne die derbe Prosa des Lebens vorstellt, so ver- sinnlicht die Dämmerung eines heitern Sommertages die träumerische Poesie mit ihrem alles verschönernden Schimmer.
Dem Lesen in der Dämmerung oder bei mangeln- dem Lichte müssen wir die unter Schülern so häufige Kurzsichtigkeit zuschreiben. Um alsdann besser sehen zu können, sind sie genöthigt, das Buch dicht vor die Augen zu halten, damit die Buchstaben größer
Daͤmmerung durch das Genie des Architecten ange- bracht worden iſt. Ein Jeder, der verſucht hat, laͤngere Zeit in der Daͤmmerung zu leſen, muß empfunden haben, wie ſchwach und ſchmerzhaft ſeine Augen danach waren.
Man verbiete daher dem Kinde das Leſen bei mangelndem Licht und gehe ſelbſt mit gutem Bei- ſpiele voran. Tritt die Daͤmmerung ein, ſo laſſe man, wenn man etwas gar Jntereſſantes zur Hand hat, die Lampe anzuͤnden, und ſchließe das Tages- licht aus, oder noch beſſer, man uͤbe auf einige Zeit Entſagung und lege das Buch weg.
Die Daͤmmerung fordert ganz vorzuͤglich zum Nachdenken auf; ſie iſt die Zeit der Sammlung, der Ruhe, eine natürliche Pauſe zwiſchen den Beſchaͤfti- gungen des Tages und des Abends. Das Licht wirft zu dieſer Stunde einen ſanften maleriſchen Schein auf alle Gegenſtaͤnde; und wenn die helle Mittags- ſonne die derbe Proſa des Lebens vorſtellt, ſo ver- ſinnlicht die Daͤmmerung eines heitern Sommertages die traͤumeriſche Poeſie mit ihrem alles verſchoͤnernden Schimmer.
Dem Leſen in der Daͤmmerung oder bei mangeln- dem Lichte müſſen wir die unter Schuͤlern ſo haͤufige Kurzſichtigkeit zuſchreiben. Um alsdann beſſer ſehen zu koͤnnen, ſind ſie genoͤthigt, das Buch dicht vor die Augen zu halten, damit die Buchſtaben groͤßer
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Daͤmmerung durch das Genie des Architecten ange-
bracht worden iſt. Ein Jeder, der verſucht hat,
laͤngere Zeit in der Daͤmmerung zu leſen, muß
empfunden haben, wie ſchwach und ſchmerzhaft ſeine
Augen danach waren.
Man verbiete daher dem Kinde das Leſen bei
mangelndem Licht und gehe ſelbſt mit gutem Bei-
ſpiele voran. Tritt die Daͤmmerung ein, ſo laſſe
man, wenn man etwas gar Jntereſſantes zur Hand
hat, die Lampe anzuͤnden, und ſchließe das Tages-
licht aus, oder noch beſſer, man uͤbe auf einige Zeit
Entſagung und lege das Buch weg.
Die Daͤmmerung fordert ganz vorzuͤglich zum
Nachdenken auf; ſie iſt die Zeit der Sammlung, der
Ruhe, eine natürliche Pauſe zwiſchen den Beſchaͤfti-
gungen des Tages und des Abends. Das Licht wirft
zu dieſer Stunde einen ſanften maleriſchen Schein
auf alle Gegenſtaͤnde; und wenn die helle Mittags-
ſonne die derbe Proſa des Lebens vorſtellt, ſo ver-
ſinnlicht die Daͤmmerung eines heitern Sommertages
die traͤumeriſche Poeſie mit ihrem alles verſchoͤnernden
Schimmer.
Dem Leſen in der Daͤmmerung oder bei mangeln-
dem Lichte müſſen wir die unter Schuͤlern ſo haͤufige
Kurzſichtigkeit zuſchreiben. Um alsdann beſſer ſehen
zu koͤnnen, ſind ſie genoͤthigt, das Buch dicht vor
die Augen zu halten, damit die Buchſtaben groͤßer
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/159>, abgerufen am 16.02.2025.
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