Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.Grundriß der Kathedrale von Alby bestens. In ihr ist der Raum für die Domherren, der Chor, vorhanden, auch die Capellen finden sich ringsum, und vor dem Lettner sind gerade noch 40 m für die Laienkirche übrig, dieser letzte Theil also äußerst zweckmäßig für den Pfarrgottesdienst mit seiner Predigt. Herr Gurlitt hält auf Grund der geschilderten Mißverständnisse bezüglich der Einrichtungen der Kirche des Mittelalters für evangelisch, was thatsächlich katholisch ist -- in Theorie und Praxis, im Mittelalter wie in der Jetztzeit. Uebrigens lohnt es sich noch, einen Blick auf das zu werfen, was denn der Genannte unter evangelisch versteht. Er versteht darunter "jene allgemeine kirchliche Richtung, die den katholischen Autoritäts- und Traditionsgrundsätzen, dem Meß- und Heiligendienste die gläubige Prüfung der Evangelien als religiöse Grundlage entgegensetzt." Also Episteln, Apostelgeschichte, altes Testament sind schon ausgeschieden. Herr Gurlitt muß sie auch aufgeben, da er sonst die Albigenser nicht unter den Begriff "evangelisch" bringen könnte. Denn diese hielten das alte Testament für eine Kundgebung des bösen Geistes und verwarfen auch im neuen Testament alles außer den Evangelien. Ihre Ansichten über die Ehe und die "letzte Tröstung" gingen zudem so schnurstracks den Ansichten der heutigen Protestanten entgegen, daß man behaupten und erweisen kann, Albigenser und Evangelische haben auch nicht den zehnten Theil dessen gemeinsam, was Protestanten und Katholiken glücklicherweise eint. Doch kehren wir zu unseren Pfarrkirchen und Kathedralen zurück. Wenn auch der Grundriß von Alby dem Kathedralprogramme bestens entspricht, ob in künstlerischer Beziehung diese einschiffige Halle gerade eine vollkommene Lösung des Kathedralprogramms darstellt, ist die Frage. Die Kunst mußte hierbei auch zu kurz kommen, da Sparsamkeit und Vertheidigung den Aufriß vorschrieben. Sparsamkeit, denn das Land war durch die Albigenser Kriege ausgeplündert und ausgeraubt wie später Böhmen und die Nachbarländer durch die Hussitenkriege und wie das unglückliche Deutschland durch den 30jährigen Krieg. Auch folgten darauf die langen Kämpfe mit Aragon. Daß ein einschiffiger Bau erheblich billiger ist als eine drei- und Grundriß der Kathedrale von Alby bestens. In ihr ist der Raum für die Domherren, der Chor, vorhanden, auch die Capellen finden sich ringsum, und vor dem Lettner sind gerade noch 40 m für die Laienkirche übrig, dieser letzte Theil also äußerst zweckmäßig für den Pfarrgottesdienst mit seiner Predigt. Herr Gurlitt hält auf Grund der geschilderten Mißverständnisse bezüglich der Einrichtungen der Kirche des Mittelalters für evangelisch, was thatsächlich katholisch ist — in Theorie und Praxis, im Mittelalter wie in der Jetztzeit. Uebrigens lohnt es sich noch, einen Blick auf das zu werfen, was denn der Genannte unter evangelisch versteht. Er versteht darunter „jene allgemeine kirchliche Richtung, die den katholischen Autoritäts- und Traditionsgrundsätzen, dem Meß- und Heiligendienste die gläubige Prüfung der Evangelien als religiöse Grundlage entgegensetzt.“ Also Episteln, Apostelgeschichte, altes Testament sind schon ausgeschieden. Herr Gurlitt muß sie auch aufgeben, da er sonst die Albigenser nicht unter den Begriff „evangelisch“ bringen könnte. Denn diese hielten das alte Testament für eine Kundgebung des bösen Geistes und verwarfen auch im neuen Testament alles außer den Evangelien. Ihre Ansichten über die Ehe und die „letzte Tröstung“ gingen zudem so schnurstracks den Ansichten der heutigen Protestanten entgegen, daß man behaupten und erweisen kann, Albigenser und Evangelische haben auch nicht den zehnten Theil dessen gemeinsam, was Protestanten und Katholiken glücklicherweise eint. Doch kehren wir zu unseren Pfarrkirchen und Kathedralen zurück. Wenn auch der Grundriß von Alby dem Kathedralprogramme bestens entspricht, ob in künstlerischer Beziehung diese einschiffige Halle gerade eine vollkommene Lösung des Kathedralprogramms darstellt, ist die Frage. Die Kunst mußte hierbei auch zu kurz kommen, da Sparsamkeit und Vertheidigung den Aufriß vorschrieben. Sparsamkeit, denn das Land war durch die Albigenser Kriege ausgeplündert und ausgeraubt wie später Böhmen und die Nachbarländer durch die Hussitenkriege und wie das unglückliche Deutschland durch den 30jährigen Krieg. Auch folgten darauf die langen Kämpfe mit Aragon. Daß ein einschiffiger Bau erheblich billiger ist als eine drei- und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="16"/> Grundriß der Kathedrale von Alby bestens. In ihr ist der Raum für die Domherren, der Chor, vorhanden, auch die Capellen finden sich ringsum, und vor dem Lettner sind gerade noch 40 m für die Laienkirche übrig, dieser letzte Theil also äußerst zweckmäßig für den Pfarrgottesdienst mit seiner Predigt.</p> <p>Herr Gurlitt hält auf Grund der geschilderten Mißverständnisse bezüglich der Einrichtungen der Kirche des Mittelalters für evangelisch, was thatsächlich katholisch ist — in Theorie und Praxis, im Mittelalter wie in der Jetztzeit. Uebrigens lohnt es sich noch, einen Blick auf das zu werfen, was denn der Genannte unter evangelisch versteht. Er versteht darunter „jene allgemeine kirchliche Richtung, die den katholischen Autoritäts- und Traditionsgrundsätzen, dem Meß- und Heiligendienste die gläubige Prüfung der Evangelien als religiöse Grundlage entgegensetzt.“ Also Episteln, Apostelgeschichte, altes Testament sind schon ausgeschieden. Herr Gurlitt muß sie auch aufgeben, da er sonst die Albigenser nicht unter den Begriff „evangelisch“ bringen könnte. Denn diese hielten das alte Testament für eine Kundgebung des bösen Geistes und verwarfen auch im neuen Testament alles außer den Evangelien. Ihre Ansichten über die Ehe und die „letzte Tröstung“ gingen zudem so schnurstracks den Ansichten der heutigen Protestanten entgegen, daß man behaupten und erweisen kann, Albigenser und Evangelische haben auch nicht den zehnten Theil dessen gemeinsam, was Protestanten und Katholiken glücklicherweise eint.</p> <p>Doch kehren wir zu unseren Pfarrkirchen und Kathedralen zurück. Wenn auch der Grundriß von Alby dem Kathedralprogramme bestens entspricht, ob in künstlerischer Beziehung diese einschiffige Halle gerade eine vollkommene Lösung des Kathedralprogramms darstellt, ist die Frage. Die Kunst mußte hierbei auch zu kurz kommen, da Sparsamkeit und Vertheidigung den Aufriß vorschrieben. Sparsamkeit, denn das Land war durch die Albigenser Kriege ausgeplündert und ausgeraubt wie später Böhmen und die Nachbarländer durch die Hussitenkriege und wie das unglückliche Deutschland durch den 30jährigen Krieg. Auch folgten darauf die langen Kämpfe mit Aragon. Daß ein einschiffiger Bau erheblich billiger ist als eine drei- und </p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0022]
Grundriß der Kathedrale von Alby bestens. In ihr ist der Raum für die Domherren, der Chor, vorhanden, auch die Capellen finden sich ringsum, und vor dem Lettner sind gerade noch 40 m für die Laienkirche übrig, dieser letzte Theil also äußerst zweckmäßig für den Pfarrgottesdienst mit seiner Predigt.
Herr Gurlitt hält auf Grund der geschilderten Mißverständnisse bezüglich der Einrichtungen der Kirche des Mittelalters für evangelisch, was thatsächlich katholisch ist — in Theorie und Praxis, im Mittelalter wie in der Jetztzeit. Uebrigens lohnt es sich noch, einen Blick auf das zu werfen, was denn der Genannte unter evangelisch versteht. Er versteht darunter „jene allgemeine kirchliche Richtung, die den katholischen Autoritäts- und Traditionsgrundsätzen, dem Meß- und Heiligendienste die gläubige Prüfung der Evangelien als religiöse Grundlage entgegensetzt.“ Also Episteln, Apostelgeschichte, altes Testament sind schon ausgeschieden. Herr Gurlitt muß sie auch aufgeben, da er sonst die Albigenser nicht unter den Begriff „evangelisch“ bringen könnte. Denn diese hielten das alte Testament für eine Kundgebung des bösen Geistes und verwarfen auch im neuen Testament alles außer den Evangelien. Ihre Ansichten über die Ehe und die „letzte Tröstung“ gingen zudem so schnurstracks den Ansichten der heutigen Protestanten entgegen, daß man behaupten und erweisen kann, Albigenser und Evangelische haben auch nicht den zehnten Theil dessen gemeinsam, was Protestanten und Katholiken glücklicherweise eint.
Doch kehren wir zu unseren Pfarrkirchen und Kathedralen zurück. Wenn auch der Grundriß von Alby dem Kathedralprogramme bestens entspricht, ob in künstlerischer Beziehung diese einschiffige Halle gerade eine vollkommene Lösung des Kathedralprogramms darstellt, ist die Frage. Die Kunst mußte hierbei auch zu kurz kommen, da Sparsamkeit und Vertheidigung den Aufriß vorschrieben. Sparsamkeit, denn das Land war durch die Albigenser Kriege ausgeplündert und ausgeraubt wie später Böhmen und die Nachbarländer durch die Hussitenkriege und wie das unglückliche Deutschland durch den 30jährigen Krieg. Auch folgten darauf die langen Kämpfe mit Aragon. Daß ein einschiffiger Bau erheblich billiger ist als eine drei- und
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