Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.Lösungen durchaus nicht so minderwerthig gegenübersteht, obgleich man heute bei weitem besser zu rechnen versteht. Zur Begründung seiner Ansichten über den Entwicklungsgang der Gothik führt Gurlitt nun aber noch so viele andere Mißverständnisse auf, daß ein Eingehen auf dieselben, wenigstens auf die der Abschnitte IV und V, nicht unterlassen werden kann. Professor Josef Neuwirth hat schon im ersten Heft des Jahrgangs 1893 der Zeitschr. f. Bauwesen viele Irrthümer in Bezug auf den zweiten Baumeister des Prager Domes widerlegt. Hier sei noch auf folgende eingegangen. Gurlitt schreibt: "Die Vergleichung der Grundrisse ergiebt zunächst eine auffällige Aehnlichkeit zwischen den Domen in Prag und in Barcelona" (S. 316). Nun ist aber von auffälliger Aehnlichkeit keine Rede. Wie Gurlitt selbst anführt, sind statt sieben Capellen am Polygon in Barcelona deren nur fünf in Prag. Das ist keine auffällige Aehnlichkeit, sondern ein einschneidender Unterschied; denn bei fünf Capellen fallen diese groß und bedeutend gegenüber der Chorapsis aus, während sie bei sieben Capellen sehr zu kurz kommen und die künstlerische Lösung sich viel ungünstiger gestaltet. Nach Gurlitts Auffassung bestände dann auch eine überraschende Aehnlichkeit zwischen Rheims und Prag, zwischen Amiens und Prag, kurz, zwischen allen Capellenkränzen der gothischen Kathedralen. Statt zweier rechteckigen Capellen an der Längsseite des Chors, wie in Barcelona, sind ferner in Prag fünf vieleckige vorhanden. Auch das soll eine Aehnlichkeit sein. Außerdem meint Gurlitt, diese Capellenreihen an den Langseiten der Chöre hätten ihren Ursprung im Languedoc. Den Beweis bleibt er schuldig; aber der Gegenbeweis ist leicht. Diese Capellenreihen an den Langseiten sind schon bei den Chören der Kathedralen von Noyon (nach 1150), Soissons (anfangs 1200), Tours (anfangs 1200) zu finden. Dies sind alles keine Bauten des Languedoc. Diejenigen Kathedralen des Languedoc aber, die diese Capellenreihen am Chor aufweisen, nämlich Clermont en Auvergne (1268), Limoges (um dieselbe Zeit) und Narbonne (1272), sind später als obige nordfranzösischen und vollständig nordfranzösisch Lösungen durchaus nicht so minderwerthig gegenübersteht, obgleich man heute bei weitem besser zu rechnen versteht. Zur Begründung seiner Ansichten über den Entwicklungsgang der Gothik führt Gurlitt nun aber noch so viele andere Mißverständnisse auf, daß ein Eingehen auf dieselben, wenigstens auf die der Abschnitte IV und V, nicht unterlassen werden kann. Professor Josef Neuwirth hat schon im ersten Heft des Jahrgangs 1893 der Zeitschr. f. Bauwesen viele Irrthümer in Bezug auf den zweiten Baumeister des Prager Domes widerlegt. Hier sei noch auf folgende eingegangen. Gurlitt schreibt: „Die Vergleichung der Grundrisse ergiebt zunächst eine auffällige Aehnlichkeit zwischen den Domen in Prag und in Barcelona“ (S. 316). Nun ist aber von auffälliger Aehnlichkeit keine Rede. Wie Gurlitt selbst anführt, sind statt sieben Capellen am Polygon in Barcelona deren nur fünf in Prag. Das ist keine auffällige Aehnlichkeit, sondern ein einschneidender Unterschied; denn bei fünf Capellen fallen diese groß und bedeutend gegenüber der Chorapsis aus, während sie bei sieben Capellen sehr zu kurz kommen und die künstlerische Lösung sich viel ungünstiger gestaltet. Nach Gurlitts Auffassung bestände dann auch eine überraschende Aehnlichkeit zwischen Rheims und Prag, zwischen Amiens und Prag, kurz, zwischen allen Capellenkränzen der gothischen Kathedralen. Statt zweier rechteckigen Capellen an der Längsseite des Chors, wie in Barcelona, sind ferner in Prag fünf vieleckige vorhanden. Auch das soll eine Aehnlichkeit sein. Außerdem meint Gurlitt, diese Capellenreihen an den Langseiten der Chöre hätten ihren Ursprung im Languedoc. Den Beweis bleibt er schuldig; aber der Gegenbeweis ist leicht. Diese Capellenreihen an den Langseiten sind schon bei den Chören der Kathedralen von Noyon (nach 1150), Soissons (anfangs 1200), Tours (anfangs 1200) zu finden. Dies sind alles keine Bauten des Languedoc. Diejenigen Kathedralen des Languedoc aber, die diese Capellenreihen am Chor aufweisen, nämlich Clermont en Auvergne (1268), Limoges (um dieselbe Zeit) und Narbonne (1272), sind später als obige nordfranzösischen und vollständig nordfranzösisch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="22"/> Lösungen durchaus nicht so minderwerthig gegenübersteht, obgleich man heute bei weitem besser zu rechnen versteht.</p> <p>Zur Begründung seiner Ansichten über den Entwicklungsgang der Gothik führt Gurlitt nun aber noch so viele andere Mißverständnisse auf, daß ein Eingehen auf dieselben, wenigstens auf die der Abschnitte IV und V, nicht unterlassen werden kann.</p> <p>Professor <hi rendition="#g">Josef Neuwirth</hi> hat schon im ersten Heft des Jahrgangs 1893 der Zeitschr. f. Bauwesen viele Irrthümer in Bezug auf den zweiten Baumeister des Prager Domes widerlegt. Hier sei noch auf folgende eingegangen. Gurlitt schreibt: „Die Vergleichung der Grundrisse ergiebt zunächst eine auffällige Aehnlichkeit zwischen den Domen in Prag und in Barcelona“ (S. 316). Nun ist aber von auffälliger Aehnlichkeit keine Rede. Wie Gurlitt selbst anführt, sind statt sieben Capellen am Polygon in Barcelona deren nur fünf in Prag. Das ist keine auffällige Aehnlichkeit, sondern ein einschneidender Unterschied; denn bei fünf Capellen fallen diese groß und bedeutend gegenüber der Chorapsis aus, während sie bei sieben Capellen sehr zu kurz kommen und die künstlerische Lösung sich viel ungünstiger gestaltet. Nach Gurlitts Auffassung bestände dann auch eine überraschende Aehnlichkeit zwischen Rheims und Prag, zwischen Amiens und Prag, kurz, zwischen allen Capellenkränzen der gothischen Kathedralen. Statt zweier rechteckigen Capellen an der Längsseite des Chors, wie in Barcelona, sind ferner in Prag fünf vieleckige vorhanden. Auch das soll eine Aehnlichkeit sein. Außerdem meint Gurlitt, diese Capellenreihen an den Langseiten der Chöre hätten ihren Ursprung im Languedoc. Den Beweis bleibt er schuldig; aber der Gegenbeweis ist leicht. Diese Capellenreihen an den Langseiten sind schon bei den Chören der Kathedralen von Noyon (nach 1150), Soissons (anfangs 1200), Tours (anfangs 1200) zu finden. Dies sind alles keine Bauten des Languedoc. Diejenigen Kathedralen des Languedoc aber, die diese Capellenreihen am Chor aufweisen, nämlich Clermont en Auvergne (1268), Limoges (um dieselbe Zeit) und Narbonne (1272), sind später als obige nordfranzösischen und vollständig nordfranzösisch </p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0028]
Lösungen durchaus nicht so minderwerthig gegenübersteht, obgleich man heute bei weitem besser zu rechnen versteht.
Zur Begründung seiner Ansichten über den Entwicklungsgang der Gothik führt Gurlitt nun aber noch so viele andere Mißverständnisse auf, daß ein Eingehen auf dieselben, wenigstens auf die der Abschnitte IV und V, nicht unterlassen werden kann.
Professor Josef Neuwirth hat schon im ersten Heft des Jahrgangs 1893 der Zeitschr. f. Bauwesen viele Irrthümer in Bezug auf den zweiten Baumeister des Prager Domes widerlegt. Hier sei noch auf folgende eingegangen. Gurlitt schreibt: „Die Vergleichung der Grundrisse ergiebt zunächst eine auffällige Aehnlichkeit zwischen den Domen in Prag und in Barcelona“ (S. 316). Nun ist aber von auffälliger Aehnlichkeit keine Rede. Wie Gurlitt selbst anführt, sind statt sieben Capellen am Polygon in Barcelona deren nur fünf in Prag. Das ist keine auffällige Aehnlichkeit, sondern ein einschneidender Unterschied; denn bei fünf Capellen fallen diese groß und bedeutend gegenüber der Chorapsis aus, während sie bei sieben Capellen sehr zu kurz kommen und die künstlerische Lösung sich viel ungünstiger gestaltet. Nach Gurlitts Auffassung bestände dann auch eine überraschende Aehnlichkeit zwischen Rheims und Prag, zwischen Amiens und Prag, kurz, zwischen allen Capellenkränzen der gothischen Kathedralen. Statt zweier rechteckigen Capellen an der Längsseite des Chors, wie in Barcelona, sind ferner in Prag fünf vieleckige vorhanden. Auch das soll eine Aehnlichkeit sein. Außerdem meint Gurlitt, diese Capellenreihen an den Langseiten der Chöre hätten ihren Ursprung im Languedoc. Den Beweis bleibt er schuldig; aber der Gegenbeweis ist leicht. Diese Capellenreihen an den Langseiten sind schon bei den Chören der Kathedralen von Noyon (nach 1150), Soissons (anfangs 1200), Tours (anfangs 1200) zu finden. Dies sind alles keine Bauten des Languedoc. Diejenigen Kathedralen des Languedoc aber, die diese Capellenreihen am Chor aufweisen, nämlich Clermont en Auvergne (1268), Limoges (um dieselbe Zeit) und Narbonne (1272), sind später als obige nordfranzösischen und vollständig nordfranzösisch
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