Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die mittelalterlichen Kirchengrundrisse, ihren Zweck, ihre Entstehung und ihre Benutzung herrschen vielfach unter den heutigen Kunstschriftstellern absonderliche und irrige Anschauungen, was um so unverständlicher ist, als es sich doch um die Gotteshäuser einer Kirche handelt, die noch heute fortbesteht, über deren Einrichtungen und Gebräuche man sich daher jeden Tag durch Augenschein und Nachfrage unterrichten könnte, wenn man sich anschickt, über jene Gotteshäuser gelehrte Abhandlungen zu schreiben. Bei chinesischen Pagoden würde dies ja größere Schwierigkeiten bereiten und eine so große Reihe von Irrthümern leichter erklären und entschuldigen.

Jedem Baumeister, der in seinem Fache thätig war, wird es ohne weiteres klar sein, daß diesen mittelalterlichen Kirchengrundrissen, wie auch heutzutage noch allen Grundrissen, selbstverständlich ganz bestimmte Programme zu Grunde gelegen haben müssen, die selber wiederum der Hauptsache nach durch den Zweck, dem das Gebäude dienen sollte, vorgeschrieben waren. Zu dem Zweck des Gebäudes treten Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten als mitbestimmend hinzu und bilden so das Programm. Soweit bei der einheitlichen Kirche des Mittelalters der Zweck derselbe war, mußten natürlich die gleichen Grundrißlösungen entstehen, und diese unterschieden sich nur insoweit voneinander, als einerseits, wie oben schon angeführt, Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten verschieden waren und anderseits der Baumeister seine Kunst mehr oder weniger beherrschte. Man darf nicht übersehen: soweit der Zweck derselbe war.

Es gab nämlich verschiedenartige Zweckbestimmungen, welchen die mittelalterlichen Kirchen zu dienen hatten. Und zwar nicht etwa der Zeit oder dem Orte nach verschiedene, sondern solche, die zu gleicher Zeit und fast überall in der

Ueber die mittelalterlichen Kirchengrundrisse, ihren Zweck, ihre Entstehung und ihre Benutzung herrschen vielfach unter den heutigen Kunstschriftstellern absonderliche und irrige Anschauungen, was um so unverständlicher ist, als es sich doch um die Gotteshäuser einer Kirche handelt, die noch heute fortbesteht, über deren Einrichtungen und Gebräuche man sich daher jeden Tag durch Augenschein und Nachfrage unterrichten könnte, wenn man sich anschickt, über jene Gotteshäuser gelehrte Abhandlungen zu schreiben. Bei chinesischen Pagoden würde dies ja größere Schwierigkeiten bereiten und eine so große Reihe von Irrthümern leichter erklären und entschuldigen.

Jedem Baumeister, der in seinem Fache thätig war, wird es ohne weiteres klar sein, daß diesen mittelalterlichen Kirchengrundrissen, wie auch heutzutage noch allen Grundrissen, selbstverständlich ganz bestimmte Programme zu Grunde gelegen haben müssen, die selber wiederum der Hauptsache nach durch den Zweck, dem das Gebäude dienen sollte, vorgeschrieben waren. Zu dem Zweck des Gebäudes treten Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten als mitbestimmend hinzu und bilden so das Programm. Soweit bei der einheitlichen Kirche des Mittelalters der Zweck derselbe war, mußten natürlich die gleichen Grundrißlösungen entstehen, und diese unterschieden sich nur insoweit voneinander, als einerseits, wie oben schon angeführt, Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten verschieden waren und anderseits der Baumeister seine Kunst mehr oder weniger beherrschte. Man darf nicht übersehen: soweit der Zweck derselbe war.

Es gab nämlich verschiedenartige Zweckbestimmungen, welchen die mittelalterlichen Kirchen zu dienen hatten. Und zwar nicht etwa der Zeit oder dem Orte nach verschiedene, sondern solche, die zu gleicher Zeit und fast überall in der

<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0007"/>
    <body>
      <div n="1">
        <p>Ueber die mittelalterlichen Kirchengrundrisse, ihren Zweck, ihre Entstehung und ihre Benutzung herrschen vielfach unter den heutigen Kunstschriftstellern absonderliche und irrige Anschauungen, was um so unverständlicher ist, als es sich doch um die Gotteshäuser einer Kirche handelt, die noch heute fortbesteht, über deren Einrichtungen und Gebräuche man sich daher jeden Tag durch Augenschein und Nachfrage unterrichten könnte, wenn man sich anschickt, über jene Gotteshäuser gelehrte Abhandlungen zu schreiben. Bei chinesischen Pagoden würde dies ja größere Schwierigkeiten bereiten und eine so große Reihe von Irrthümern leichter erklären und entschuldigen.</p>
        <p>Jedem Baumeister, der in seinem Fache thätig war, wird es ohne weiteres klar sein, daß diesen mittelalterlichen Kirchengrundrissen, wie auch heutzutage noch allen Grundrissen, selbstverständlich ganz bestimmte <hi rendition="#g">Programme</hi> zu Grunde gelegen haben müssen, die selber wiederum der Hauptsache nach durch den <hi rendition="#g">Zweck</hi>, dem das Gebäude dienen sollte, vorgeschrieben waren. Zu dem Zweck des Gebäudes treten Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten als mitbestimmend hinzu und bilden so das Programm. Soweit bei der einheitlichen Kirche des Mittelalters der Zweck derselbe war, mußten natürlich die gleichen Grundrißlösungen entstehen, und diese unterschieden sich nur insoweit voneinander, als einerseits, wie oben schon angeführt, Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten verschieden waren und anderseits der Baumeister seine Kunst mehr oder weniger beherrschte. Man darf nicht übersehen: soweit der Zweck derselbe war.</p>
        <p>Es gab nämlich verschiedenartige Zweckbestimmungen, welchen die mittelalterlichen Kirchen zu dienen hatten. Und zwar nicht etwa der Zeit oder dem Orte nach verschiedene, sondern solche, die zu gleicher Zeit und fast überall in der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0007] Ueber die mittelalterlichen Kirchengrundrisse, ihren Zweck, ihre Entstehung und ihre Benutzung herrschen vielfach unter den heutigen Kunstschriftstellern absonderliche und irrige Anschauungen, was um so unverständlicher ist, als es sich doch um die Gotteshäuser einer Kirche handelt, die noch heute fortbesteht, über deren Einrichtungen und Gebräuche man sich daher jeden Tag durch Augenschein und Nachfrage unterrichten könnte, wenn man sich anschickt, über jene Gotteshäuser gelehrte Abhandlungen zu schreiben. Bei chinesischen Pagoden würde dies ja größere Schwierigkeiten bereiten und eine so große Reihe von Irrthümern leichter erklären und entschuldigen. Jedem Baumeister, der in seinem Fache thätig war, wird es ohne weiteres klar sein, daß diesen mittelalterlichen Kirchengrundrissen, wie auch heutzutage noch allen Grundrissen, selbstverständlich ganz bestimmte Programme zu Grunde gelegen haben müssen, die selber wiederum der Hauptsache nach durch den Zweck, dem das Gebäude dienen sollte, vorgeschrieben waren. Zu dem Zweck des Gebäudes treten Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten als mitbestimmend hinzu und bilden so das Programm. Soweit bei der einheitlichen Kirche des Mittelalters der Zweck derselbe war, mußten natürlich die gleichen Grundrißlösungen entstehen, und diese unterschieden sich nur insoweit voneinander, als einerseits, wie oben schon angeführt, Platz, Mittel, Zeitalter, Material, Klima und Gewohnheiten verschieden waren und anderseits der Baumeister seine Kunst mehr oder weniger beherrschte. Man darf nicht übersehen: soweit der Zweck derselbe war. Es gab nämlich verschiedenartige Zweckbestimmungen, welchen die mittelalterlichen Kirchen zu dienen hatten. Und zwar nicht etwa der Zeit oder dem Orte nach verschiedene, sondern solche, die zu gleicher Zeit und fast überall in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • „ſs“ (meist als „fs“ im unkorrigierten Text) wird durch „ß“ transkribiert.
  • „ſ“ (meist als „f“ im unkorrigierten Text) wird zu „s“ transkribiert.
  • Ligaturen wie z. B. „Æ“ und „Œ“, werden zu zwei getrennten Zeichen transkribiert, im Beispiel also zu „Ae“ und „Oe“.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/7
Zitationshilfe: Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hasak_predigtkirche_1893/7>, abgerufen am 03.12.2024.