Hasenclever, Juliette: Und doch: Frauenwahlrecht! In: Die Frauenbewegung, Heft 12, 1913, S. 91–92.[irrelevantes Material - 14 Zeilen fehlen]
[Beginn Spaltensatz] Und doch: Frauenwahlrecht! Die Tagespresse aller Parteischattierungen hat sich mit Es gibt keinen widerlicheren Anblick, als die 7000 Diese Frauen als Erzieherinnen des jungen Geschlechts Kann man noch politische Rechte für die Frau erstreben, Dieses ebenso oberflächliche wie überlegene Aburteilen Nehmen wir den Gedankengang auf, daß die Frauen [irrelevantes Material – 14 Zeilen fehlen]
[Beginn Spaltensatz] Und doch: Frauenwahlrecht! Die Tagespresse aller Parteischattierungen hat sich mit Es gibt keinen widerlicheren Anblick, als die 7000 Diese Frauen als Erzieherinnen des jungen Geschlechts Kann man noch politische Rechte für die Frau erstreben, Dieses ebenso oberflächliche wie überlegene Aburteilen Nehmen wir den Gedankengang auf, daß die Frauen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="[91]"/> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="14"/><lb/> <cb type="start"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#c">Und doch: Frauenwahlrecht!</hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#c">Von <hi rendition="#g"><persName>Juliette Hasenclever</persName></hi></hi> </byline><lb/> <p>Die Tagespresse aller Parteischattierungen hat sich mit<lb/> den Frauen beschäftigt, die an zwei Tagen viele Stunden<lb/> hindurch das Kunstgewerbemuseum zu Berlin belagerten, um<lb/> etwas von den Hochzeitsgeschenken der Prinzessin Viktoria<lb/> Luise zu sehen. Mit vollem Recht hat man Vergleiche ge-<lb/> zogen zwischen diesen „Gafferinnen“ und den Arbeiter-<lb/> massen, die im Jahre vor dem preußischen Abgeordneten-<lb/> hause für das gleiche Wahlrecht demonstrierten.</p><lb/> <p>Es gibt keinen widerlicheren Anblick, als die 7000<lb/> meist „den besseren Ständen angehörenden“ Frauen, die aus<lb/> purer Neugier, vermischt mit einer guten Portion Servilität,<lb/> Stunde um Stunde warten, drängend, raufend, um zu<lb/> wissen, was eine Prinzessin geschenkt bekommt und wie ihr<lb/> Brautkleid gemacht ist. Dieselben Frauen finden schwerlich<lb/> eine Stunde Zeit zu ernster sozialer Arbeit, dann berufen<lb/> sie sich auf ihre häuslichen Pflichten, oder sie wehren die<lb/> Zumutung, etwas für die Allgemeinheit zu leisten, mit der<lb/> Begründung ab, daß <hi rendition="#g">diese</hi> Art der Betätigung „unweib-<lb/> lich“ sei. Soziale Pflichten kennen sie auch, oh ja: sie tanzen<lb/> in jedem Winter auf soundsoviel Bällen zu Wohltätig-<lb/> keitszwecken, sie verkaufen Blumen, Zigaretten und Sekt<lb/> an Blumentagen und auf Bazars. Sie denken nur an<lb/> Aeußerlichkeiten, sie wollen sich amüsieren, auch wenn sie<lb/> vorgeben zu arbeiten, und da sie selbst keine Kultur und<lb/> keinen Geschmack besitzen, drängen sie sich, um einen Ein-<lb/> blick in das Leben „der da oben,“ zu erhaschen, um sich<lb/> daran zu berauschen und es womöglich nachzuäffen.</p><lb/> <p>Diese Frauen als Erzieherinnen des jungen Geschlechts<lb/> sind eine direkte Gefahr. Jhre Töchter werden ebenso<lb/> oberflächlich wie die Mütter, wenn nicht starke Einflüsse<lb/> von außen her auf sie wirken. Den Söhnen muß der<lb/> letzte Rest von Achtung vor dem weiblichen Geschlecht ver-<lb/> loren gehen.</p><lb/> <p>Kann man noch politische Rechte für die Frau erstreben,<lb/> nachdem sie solche Beweise ihrer Jnferiorität gegeben hat?<lb/> Die Frage liegt nahe, sie wird in der letzten Nummer der<lb/> Münchener Zeitschrift „März“ aufgeworfen, und man kann<lb/> es begreifen, daß viele versucht sind zu antworten: Nein,<lb/> tausendmal nein. Der Staat würde zugrunde gehen, wenn<lb/> diese Elemente Einfluß auf das politische Leben erhielten.<lb/> Aber mit einer glatten Verneinung ist es nicht getan. Ulrich<lb/> Rauscher meint im „März“, „daß menschlich und geistig mit<cb/> diesem Frauenmaterial gar nicht zu rechnen ist, daß die<lb/> wundervolle Phrase vom innigen, auf gegenseitigem Ver-<lb/> ständnis aufgebauten, deutschen Familienleben die Kulisse<lb/> vor einer nationalen Schmach ist“. Und er fährt dann<lb/> fort: „Wenn Männer ihre Frauen nicht besser erziehen<lb/> können, als daß sie sich vor einem prinzeßlichen Gaben-<lb/> tempel die Kleider vom Leibe reißen, dann gibt’s nur eine<lb/> Erklärung: daß die Sklaverei wenigstens für Weiber in<lb/> Deutschland noch überall besteht und daß die Mehrzahl der<lb/> Männer diesen ihren hörigen Haushälterinnen nicht den<lb/> Bruchteil eines Gedankens zukommen lassen. Das will noch<lb/> als Dame behandelt werden und über Erziehung und An-<lb/> stand mitreden? Es soll sich, erst die Blusen flicken, durch<lb/> deren Risse alle Blößen der deutschen Frau – nicht<lb/> schimmerten.“</p><lb/> <p>Dieses ebenso oberflächliche wie überlegene Aburteilen<lb/> bringt uns keinen Schritt weiter, und wir bedauern, daß<lb/> Ulrich Rauscher mit ein paar nonchalant hingeworfenen<lb/> Derbheiten die Sache zu erschöpfen meint. Man soll nicht<lb/> etwa annehmen, daß wir zimperlich seien und gerade Worte<lb/> nicht vertragen können; wir halten den Hohn und die<lb/> bitteren Anklagen, mit denen die Berliner Damen bedacht<lb/> worden sind, für sehr berechtigt. Aber die Weisheit<lb/> Rauschers, die tief sein soll und doch so flach ist, als Be-<lb/> gründung für ihre Gegnerschaft gegen das politische Wahlrecht<lb/> der Frau – das will uns nicht gefallen.</p><lb/> <p>Nehmen wir den Gedankengang auf, daß die Frauen<lb/> von ihren Männern schlecht erzogen seien, daß sie mit<lb/> „hörigen Haushälterinnen“ auf einer Stufe stehen, so kann<lb/> man doch nicht eine Wendung zum Besseren dadurch her-<lb/> beiführen wollen, daß man sie noch tiefer in die ihr vom<lb/> Manne gezogenen Schranken zurückweist. 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Und doch: Frauenwahlrecht!
Von Juliette Hasenclever
Die Tagespresse aller Parteischattierungen hat sich mit
den Frauen beschäftigt, die an zwei Tagen viele Stunden
hindurch das Kunstgewerbemuseum zu Berlin belagerten, um
etwas von den Hochzeitsgeschenken der Prinzessin Viktoria
Luise zu sehen. Mit vollem Recht hat man Vergleiche ge-
zogen zwischen diesen „Gafferinnen“ und den Arbeiter-
massen, die im Jahre vor dem preußischen Abgeordneten-
hause für das gleiche Wahlrecht demonstrierten.
Es gibt keinen widerlicheren Anblick, als die 7000
meist „den besseren Ständen angehörenden“ Frauen, die aus
purer Neugier, vermischt mit einer guten Portion Servilität,
Stunde um Stunde warten, drängend, raufend, um zu
wissen, was eine Prinzessin geschenkt bekommt und wie ihr
Brautkleid gemacht ist. Dieselben Frauen finden schwerlich
eine Stunde Zeit zu ernster sozialer Arbeit, dann berufen
sie sich auf ihre häuslichen Pflichten, oder sie wehren die
Zumutung, etwas für die Allgemeinheit zu leisten, mit der
Begründung ab, daß diese Art der Betätigung „unweib-
lich“ sei. Soziale Pflichten kennen sie auch, oh ja: sie tanzen
in jedem Winter auf soundsoviel Bällen zu Wohltätig-
keitszwecken, sie verkaufen Blumen, Zigaretten und Sekt
an Blumentagen und auf Bazars. Sie denken nur an
Aeußerlichkeiten, sie wollen sich amüsieren, auch wenn sie
vorgeben zu arbeiten, und da sie selbst keine Kultur und
keinen Geschmack besitzen, drängen sie sich, um einen Ein-
blick in das Leben „der da oben,“ zu erhaschen, um sich
daran zu berauschen und es womöglich nachzuäffen.
Diese Frauen als Erzieherinnen des jungen Geschlechts
sind eine direkte Gefahr. Jhre Töchter werden ebenso
oberflächlich wie die Mütter, wenn nicht starke Einflüsse
von außen her auf sie wirken. Den Söhnen muß der
letzte Rest von Achtung vor dem weiblichen Geschlecht ver-
loren gehen.
Kann man noch politische Rechte für die Frau erstreben,
nachdem sie solche Beweise ihrer Jnferiorität gegeben hat?
Die Frage liegt nahe, sie wird in der letzten Nummer der
Münchener Zeitschrift „März“ aufgeworfen, und man kann
es begreifen, daß viele versucht sind zu antworten: Nein,
tausendmal nein. Der Staat würde zugrunde gehen, wenn
diese Elemente Einfluß auf das politische Leben erhielten.
Aber mit einer glatten Verneinung ist es nicht getan. Ulrich
Rauscher meint im „März“, „daß menschlich und geistig mit
diesem Frauenmaterial gar nicht zu rechnen ist, daß die
wundervolle Phrase vom innigen, auf gegenseitigem Ver-
ständnis aufgebauten, deutschen Familienleben die Kulisse
vor einer nationalen Schmach ist“. Und er fährt dann
fort: „Wenn Männer ihre Frauen nicht besser erziehen
können, als daß sie sich vor einem prinzeßlichen Gaben-
tempel die Kleider vom Leibe reißen, dann gibt’s nur eine
Erklärung: daß die Sklaverei wenigstens für Weiber in
Deutschland noch überall besteht und daß die Mehrzahl der
Männer diesen ihren hörigen Haushälterinnen nicht den
Bruchteil eines Gedankens zukommen lassen. Das will noch
als Dame behandelt werden und über Erziehung und An-
stand mitreden? Es soll sich, erst die Blusen flicken, durch
deren Risse alle Blößen der deutschen Frau – nicht
schimmerten.“
Dieses ebenso oberflächliche wie überlegene Aburteilen
bringt uns keinen Schritt weiter, und wir bedauern, daß
Ulrich Rauscher mit ein paar nonchalant hingeworfenen
Derbheiten die Sache zu erschöpfen meint. Man soll nicht
etwa annehmen, daß wir zimperlich seien und gerade Worte
nicht vertragen können; wir halten den Hohn und die
bitteren Anklagen, mit denen die Berliner Damen bedacht
worden sind, für sehr berechtigt. Aber die Weisheit
Rauschers, die tief sein soll und doch so flach ist, als Be-
gründung für ihre Gegnerschaft gegen das politische Wahlrecht
der Frau – das will uns nicht gefallen.
Nehmen wir den Gedankengang auf, daß die Frauen
von ihren Männern schlecht erzogen seien, daß sie mit
„hörigen Haushälterinnen“ auf einer Stufe stehen, so kann
man doch nicht eine Wendung zum Besseren dadurch her-
beiführen wollen, daß man sie noch tiefer in die ihr vom
Manne gezogenen Schranken zurückweist. Es ist ver-
fehlte Erziehungsarbeit geleistet worden, doch es ist nicht
bewiesen, daß die Frauen überhaupt nicht zu erziehen
sind. – Jn andern Ländern, besonders in den nordischen
und in Amerika, werden die Mädchen zur Selbständigkeit
erzogen. Es sind gleichsam straffere Gestalten, mit logischem
Denken und festen Willen. Sie schaffen sich ihr Leben
selbst, lassen sich nicht durch die Ehe versorgen und laufen
nicht jeder Torheit nach. Aber ihr ganzes Leben steht von
vornherein auf einer andern Basis, ist von Grund auf
anders aufgebaut: es beruht auf dem ausgeprägten Gefühl
des gleichen Könnens und des gleichen Wertes gegenüber
dem Knaben und jungen Manne. Das fehlt den deutschen
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(2016-02-12T14:21:14Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
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