Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dieß ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die jedem nüchternen Ohr leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, giebt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was du vornahmst, wenn "der Herr seinen Schalttag feierte". Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du Einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben! Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe? Es ging uns, wie es so manchem Erdensohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaubten zu lieben. Das Wunderbarste und doch Natürlichste an der Sache war, daß die Perioden oder Grade dieser Art Liebe sich nach unserer Lektüre richteten. Haben wir nicht Vergißmeinnicht und Ranunkeln gebrochen und des Doktors Tochter in G. verschämt überreicht und uns der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dieß ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die jedem nüchternen Ohr leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, giebt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was du vornahmst, wenn „der Herr seinen Schalttag feierte“. Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du Einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben! Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe? Es ging uns, wie es so manchem Erdensohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaubten zu lieben. Das Wunderbarste und doch Natürlichste an der Sache war, daß die Perioden oder Grade dieser Art Liebe sich nach unserer Lektüre richteten. Haben wir nicht Vergißmeinnicht und Ranunkeln gebrochen und des Doktors Tochter in G. verschämt überreicht und uns <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0028"/> der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dieß ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die jedem nüchternen Ohr leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, giebt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was du vornahmst, wenn „der Herr seinen Schalttag feierte“. Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du Einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben!</p><lb/> <p>Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe?</p><lb/> <p>Es ging uns, wie es so manchem Erdensohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaubten zu lieben. Das Wunderbarste und doch Natürlichste an der Sache war, daß die Perioden oder Grade dieser Art Liebe sich nach unserer Lektüre richteten. Haben wir nicht Vergißmeinnicht und Ranunkeln gebrochen und des Doktors Tochter in G. verschämt überreicht und uns<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dieß ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die jedem nüchternen Ohr leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, giebt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was du vornahmst, wenn „der Herr seinen Schalttag feierte“. Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du Einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben!
Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe?
Es ging uns, wie es so manchem Erdensohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaubten zu lieben. Das Wunderbarste und doch Natürlichste an der Sache war, daß die Perioden oder Grade dieser Art Liebe sich nach unserer Lektüre richteten. Haben wir nicht Vergißmeinnicht und Ranunkeln gebrochen und des Doktors Tochter in G. verschämt überreicht und uns
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T11:05:53Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T11:05:53Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |