Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast? Nun ja, und wen kümmert es denn? Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten; du seist ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle. So? erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören; ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl! Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüber kam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mildem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasieen dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten. daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast? Nun ja, und wen kümmert es denn? Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten; du seist ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle. So? erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören; ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl! Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüber kam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mildem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasieen dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0083"/> daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast?</p><lb/> <p>Nun ja, und wen kümmert es denn?</p><lb/> <p>Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten; du seist ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle.</p><lb/> <p>So? erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören; ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl!</p><lb/> <p>Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüber kam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mildem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasieen dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast?
Nun ja, und wen kümmert es denn?
Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten; du seist ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle.
So? erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören; ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl!
Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüber kam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mildem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasieen dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten.
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Zitationshilfe: | Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/83>, abgerufen am 16.07.2024. |