Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.mit zusammenhing. Er unterbrach sich, ein Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kinder¬ "Der liebe Gott springt über den Weg," mit zuſammenhing. Er unterbrach ſich, ein Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kinder¬ „Der liebe Gott ſpringt über den Weg,“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0067" n="55"/> mit zuſammenhing. Er unterbrach ſich, ein<lb/> Lichtſchein fiel in ſein Hirn, „aber mein Gott,<lb/> das iſt ja Wahnſinn.“ Er vergaß alles und<lb/> wandte ſich gegen dieſen neuen Feind, er ſuchte<lb/> Ordnung in ſeine Gedanken zu bringen, ver¬<lb/> gebens! es war ein haltloſes Streifen und<lb/> Schweifen. Er ertappte ſich auf den unſinnigſten<lb/> Vorſtellungen und ſchauderte zuſammen im Be¬<lb/> wußtſein ſeiner Machtloſigkeit.</p><lb/> <p>Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kinder¬<lb/> geſchrei. Es war das Signal zur Raſerei.<lb/> Faſt gegen ſeinen Willen mußte er darauf zu¬<lb/> eilen und fand das Kleine, um welches ſich<lb/> niemand mehr gekümmert hatte, weinend und<lb/> ſtrampelnd ohne Bettchen im Wagen liegen.<lb/> Was wollte er thun? Was trieb ihn hierher?<lb/> Ein wirbelnder Strom von Gefühlen und Ge¬<lb/> danken verſchlang dieſe Fragen.</p><lb/> <p>„Der liebe Gott ſpringt über den Weg,“<lb/> jetzt wußte er, was das bedeuten wollte. „To¬<lb/> bias“ — ſie hatte ihn gemordet — Lene —<lb/> ihr war er anvertraut — Stiefmutter, Raben¬<lb/> mutter, knirſchte er, „und ihr Balg lebt.“ Ein<lb/> roter Nebel umwölkte ſeine Sinne, zwei Kinder¬<lb/> augen durchdrängen ihn; er fühlte etwas Weiches,<lb/> Fleiſchiges zwiſchen ſeinen Fingern. Gurgelnde<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0067]
mit zuſammenhing. Er unterbrach ſich, ein
Lichtſchein fiel in ſein Hirn, „aber mein Gott,
das iſt ja Wahnſinn.“ Er vergaß alles und
wandte ſich gegen dieſen neuen Feind, er ſuchte
Ordnung in ſeine Gedanken zu bringen, ver¬
gebens! es war ein haltloſes Streifen und
Schweifen. Er ertappte ſich auf den unſinnigſten
Vorſtellungen und ſchauderte zuſammen im Be¬
wußtſein ſeiner Machtloſigkeit.
Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kinder¬
geſchrei. Es war das Signal zur Raſerei.
Faſt gegen ſeinen Willen mußte er darauf zu¬
eilen und fand das Kleine, um welches ſich
niemand mehr gekümmert hatte, weinend und
ſtrampelnd ohne Bettchen im Wagen liegen.
Was wollte er thun? Was trieb ihn hierher?
Ein wirbelnder Strom von Gefühlen und Ge¬
danken verſchlang dieſe Fragen.
„Der liebe Gott ſpringt über den Weg,“
jetzt wußte er, was das bedeuten wollte. „To¬
bias“ — ſie hatte ihn gemordet — Lene —
ihr war er anvertraut — Stiefmutter, Raben¬
mutter, knirſchte er, „und ihr Balg lebt.“ Ein
roter Nebel umwölkte ſeine Sinne, zwei Kinder¬
augen durchdrängen ihn; er fühlte etwas Weiches,
Fleiſchiges zwiſchen ſeinen Fingern. Gurgelnde
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/67>, abgerufen am 17.07.2024. |