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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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prangen kannibalisch Tiercadaver. Laßt ab vom
Schlemmen! Laßt ab vom ruchlosen Morde
der Creaturen! Früchte des Feldes seien eure
Nahrung! Eure seidnen Betten, eure Polster,
eure kostbaren Möbel und Kleider, tragt alles
zusammen, werft die Fackeln hinein, daß die
Flamme himmelanschlage und es verzehre! Habt
ihr das gethan, dann kommt -- kommt alle,
die ihr mühselig und beladen seid und folgt
mir nach! In ein Land will ich euch führen,
wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden,
wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen
ohne Stachel sind. Dort wird der Haß in euch
sterben und die ewige Liebe lebendig werden.

Ihm schwoll das Herz. Wie ein reißender
Strom stürzte der Schwall strafender, tröstender
und ermahnender Worte. Sein ganzer Körper
bebte in Leidenschaft. Mit hinreißender Stärke
überkam ihn der Drang, seine ganze Liebe und
Sehnsucht auszuströmen. Als müsse er den
Bäumen und Vögeln predigen, war ihm zu
Mut. Die Kraft seiner Rede mußte unwider¬
stehlich sein. Er hätte das Eichhorn, welches
in Bogensprüngen zwischen den Stämmen hin¬
huschte, mit einem einzigen Worte bannen und
zu sich rufen können. Er wußte es, wußte es

prangen kannibaliſch Tiercadaver. Laßt ab vom
Schlemmen! Laßt ab vom ruchloſen Morde
der Creaturen! Früchte des Feldes ſeien eure
Nahrung! Eure ſeidnen Betten, eure Polſter,
eure koſtbaren Möbel und Kleider, tragt alles
zuſammen, werft die Fackeln hinein, daß die
Flamme himmelanſchlage und es verzehre! Habt
ihr das gethan, dann kommt — kommt alle,
die ihr mühſelig und beladen ſeid und folgt
mir nach! In ein Land will ich euch führen,
wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden,
wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen
ohne Stachel ſind. Dort wird der Haß in euch
ſterben und die ewige Liebe lebendig werden.

Ihm ſchwoll das Herz. Wie ein reißender
Strom ſtürzte der Schwall ſtrafender, tröſtender
und ermahnender Worte. Sein ganzer Körper
bebte in Leidenſchaft. Mit hinreißender Stärke
überkam ihn der Drang, ſeine ganze Liebe und
Sehnſucht auszuſtrömen. Als müſſe er den
Bäumen und Vögeln predigen, war ihm zu
Mut. Die Kraft ſeiner Rede mußte unwider¬
ſtehlich ſein. Er hätte das Eichhorn, welches
in Bogenſprüngen zwiſchen den Stämmen hin¬
huſchte, mit einem einzigen Worte bannen und
zu ſich rufen können. Er wußte es, wußte es

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[76/0090] prangen kannibaliſch Tiercadaver. Laßt ab vom Schlemmen! Laßt ab vom ruchloſen Morde der Creaturen! Früchte des Feldes ſeien eure Nahrung! Eure ſeidnen Betten, eure Polſter, eure koſtbaren Möbel und Kleider, tragt alles zuſammen, werft die Fackeln hinein, daß die Flamme himmelanſchlage und es verzehre! Habt ihr das gethan, dann kommt — kommt alle, die ihr mühſelig und beladen ſeid und folgt mir nach! In ein Land will ich euch führen, wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden, wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen ohne Stachel ſind. Dort wird der Haß in euch ſterben und die ewige Liebe lebendig werden. Ihm ſchwoll das Herz. Wie ein reißender Strom ſtürzte der Schwall ſtrafender, tröſtender und ermahnender Worte. Sein ganzer Körper bebte in Leidenſchaft. Mit hinreißender Stärke überkam ihn der Drang, ſeine ganze Liebe und Sehnſucht auszuſtrömen. Als müſſe er den Bäumen und Vögeln predigen, war ihm zu Mut. Die Kraft ſeiner Rede mußte unwider¬ ſtehlich ſein. Er hätte das Eichhorn, welches in Bogenſprüngen zwiſchen den Stämmen hin¬ huſchte, mit einem einzigen Worte bannen und zu ſich rufen können. Er wußte es, wußte es

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/90>, abgerufen am 09.05.2024.