Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
bedauert immer, von seinen Jugendfreunden so ganz ver- gessen zu sein. Loth. Ja, es hat sich zufällig so getroffen. -- Ich war immer in Berlin und daherum -- wußte eigentlich nicht wo Hoffmann steckte. Seit meiner Breslauer Studienzeit war ich nicht mehr in Schlesien. Helene. Also nur so zufällig sind Sie auf ihn gestoßen? Loth. Nur ganz zufällig -- und zwar gerade an dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe. Helene. Ach, Spaß! -- Witzdorf und Studien machen, nicht möglich! in diesem armseligen Neste?! Loth. Armselig nennen Sie es? -- Aber es liegt doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum. Helene. Ja doch! in der Hinsicht... Loth. Ich habe nur immer gestaunt. Ich kann Sie versichern, solche Bauernhöfe giebt es nirgend wo anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren und Fenstern. Helene. Da haben Sie recht: in mehr als einem Stalle hier fressen Kühe und Pferde aus marmornen Krippen und neusilbernen Raufen! das hat die Kohle gemacht, die unter unseren Feldern gemuthet worden ist, die hat die armen Bauern im Handumdrehen stein- reich gemacht (sie weist auf das Bild an der Hinterwand). Sehen Sie da -- mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht, da mußte er Fuhren machen. -- Das dort ist er selbst in der blauen Blouse -- man trug damals noch solche blaue Blousen. -- Auch mein Vater als junger Mensch ist darin gegangen. -- Nein! -- so meinte ich es nicht -- mit dem "armselig"; nur ist es so öde hier. So... gar nichts für den Geist giebt es. Zum Sterben lang- weilig ist es. (Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tisch rechts im Hintergrunde.) Loth. Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder Kränzchen?
bedauert immer, von ſeinen Jugendfreunden ſo ganz ver- geſſen zu ſein. Loth. Ja, es hat ſich zufällig ſo getroffen. — Ich war immer in Berlin und daherum — wußte eigentlich nicht wo Hoffmann ſteckte. Seit meiner Breslauer Studienzeit war ich nicht mehr in Schleſien. Helene. Alſo nur ſo zufällig ſind Sie auf ihn geſtoßen? Loth. Nur ganz zufällig — und zwar gerade an dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe. Helene. Ach, Spaß! — Witzdorf und Studien machen, nicht möglich! in dieſem armſeligen Neſte?! Loth. Armſelig nennen Sie es? — Aber es liegt doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum. Helene. Ja doch! in der Hinſicht... Loth. Ich habe nur immer geſtaunt. Ich kann Sie verſichern, ſolche Bauernhöfe giebt es nirgend wo anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren und Fenſtern. Helene. Da haben Sie recht: in mehr als einem Stalle hier freſſen Kühe und Pferde aus marmornen Krippen und neuſilbernen Raufen! das hat die Kohle gemacht, die unter unſeren Feldern gemuthet worden iſt, die hat die armen Bauern im Handumdrehen ſtein- reich gemacht (ſie weiſt auf das Bild an der Hinterwand). Sehen Sie da — mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht, da mußte er Fuhren machen. — Das dort iſt er ſelbſt in der blauen Blouſe — man trug damals noch ſolche blaue Blouſen. — Auch mein Vater als junger Menſch iſt darin gegangen. — Nein! — ſo meinte ich es nicht — mit dem „armſelig“; nur iſt es ſo öde hier. So... gar nichts für den Geiſt giebt es. Zum Sterben lang- weilig iſt es. (Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tiſch rechts im Hintergrunde.) Loth. Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder Kränzchen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#HEL"> <p><pb facs="#f0027" n="21"/> bedauert immer, von ſeinen Jugendfreunden ſo ganz ver-<lb/> geſſen zu ſein.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ja, es hat ſich zufällig ſo getroffen. — Ich<lb/> war immer in Berlin und daherum — wußte eigentlich<lb/> nicht wo Hoffmann ſteckte. Seit meiner Breslauer<lb/> Studienzeit war ich nicht mehr in Schleſien.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Alſo nur ſo zufällig ſind Sie auf ihn<lb/> geſtoßen?</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Nur ganz zufällig — und zwar gerade an<lb/> dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ach, Spaß! — Witzdorf und Studien<lb/> machen, nicht möglich! in dieſem armſeligen Neſte?!</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Armſelig nennen Sie es? — Aber es liegt<lb/> doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ja doch! in der Hinſicht...</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ich habe nur immer geſtaunt. Ich kann<lb/> Sie verſichern, ſolche Bauernhöfe giebt es nirgend wo<lb/> anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren<lb/> und Fenſtern.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Da haben Sie recht: in mehr als einem<lb/> Stalle hier freſſen Kühe und Pferde aus marmornen<lb/> Krippen und neuſilbernen Raufen! das hat die Kohle<lb/> gemacht, die unter unſeren Feldern gemuthet worden<lb/> iſt, die hat die armen Bauern im Handumdrehen ſtein-<lb/> reich gemacht <stage>(ſie weiſt auf das Bild an der Hinterwand).</stage> Sehen Sie<lb/> da — mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen<lb/> gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht,<lb/> da mußte er Fuhren machen. — Das dort iſt er ſelbſt<lb/> in der blauen Blouſe — man trug damals noch ſolche<lb/> blaue Blouſen. — Auch mein Vater als junger Menſch<lb/> iſt darin gegangen. — Nein! — ſo meinte ich es nicht —<lb/> mit dem „armſelig“; nur iſt es ſo öde hier. So...<lb/> gar nichts für den Geiſt giebt es. Zum Sterben lang-<lb/> weilig iſt es.</p><lb/> <p> <stage>(Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tiſch rechts im Hintergrunde.)</stage> </p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder<lb/> Kränzchen?</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [21/0027]
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geſſen zu ſein.
Loth. Ja, es hat ſich zufällig ſo getroffen. — Ich
war immer in Berlin und daherum — wußte eigentlich
nicht wo Hoffmann ſteckte. Seit meiner Breslauer
Studienzeit war ich nicht mehr in Schleſien.
Helene. Alſo nur ſo zufällig ſind Sie auf ihn
geſtoßen?
Loth. Nur ganz zufällig — und zwar gerade an
dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.
Helene. Ach, Spaß! — Witzdorf und Studien
machen, nicht möglich! in dieſem armſeligen Neſte?!
Loth. Armſelig nennen Sie es? — Aber es liegt
doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum.
Helene. Ja doch! in der Hinſicht...
Loth. Ich habe nur immer geſtaunt. Ich kann
Sie verſichern, ſolche Bauernhöfe giebt es nirgend wo
anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren
und Fenſtern.
Helene. Da haben Sie recht: in mehr als einem
Stalle hier freſſen Kühe und Pferde aus marmornen
Krippen und neuſilbernen Raufen! das hat die Kohle
gemacht, die unter unſeren Feldern gemuthet worden
iſt, die hat die armen Bauern im Handumdrehen ſtein-
reich gemacht (ſie weiſt auf das Bild an der Hinterwand). Sehen Sie
da — mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen
gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht,
da mußte er Fuhren machen. — Das dort iſt er ſelbſt
in der blauen Blouſe — man trug damals noch ſolche
blaue Blouſen. — Auch mein Vater als junger Menſch
iſt darin gegangen. — Nein! — ſo meinte ich es nicht —
mit dem „armſelig“; nur iſt es ſo öde hier. So...
gar nichts für den Geiſt giebt es. Zum Sterben lang-
weilig iſt es.
(Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tiſch rechts im Hintergrunde.)
Loth. Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder
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