Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
oft sogar, und dann -- wird einem ganz verzweifelt zu Muth. Loth. Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die mir ganz besonders klar als solche vor Augen trat. Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen Umständen als ein Verbrechen bestraft, danach wurde mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des Mordes ungesetzlich sind. Helene. Wie wäre das wohl.... Loth. Mein Vater war Siedemeister, wir wohnten dicht an der Fabrik, unsere Fenster gingen auf den Fabrikhof. Da sah ich auch noch Manches außerdem: Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge- arbeitet hatte. Er fing an stark zu husten und abzu- magern...ich weiß, wie uns mein Vater bei Tisch erzählte: Burmeister -- so hieß der Arbeiter -- be- kommt die Lungenschwindsucht, wenn er noch länger bei der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm gesagt. -- Der Mann hatte acht Kinder, und ausge- mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit finden. Er mußte also in der Seifenfabrik bleiben, und der Prinzipal that sich viel darauf zu Gute, daß er ihn beibehielt. Er kam sich unbedingt äußerst human vor. -- Eines Nachmittags, im August, es war eine furchtbare Hitze, da quälte er sich mit einer Karre Kalk über den Fabrikhof. -- Ich sah gerade aus dem Fenster, da merke ich, wie er still steht -- wieder still steht und schließlich schlägt er lang auf die Steine. -- Ich lief hinzu -- mein Vater kam, andere Arbeiter kamen, aber er röchelte nur noch, und sein ganzer Mund war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien stinkender Lumpen war er; bevor wir ihn im Hause hatten, war er schon gestorben. Helene. Ach, schrecklich ist das. Loth. Kaum acht Tage später zogen wir seine Frau aus dem Fluß, in den die verbrauchte Lauge
oft ſogar, und dann — wird einem ganz verzweifelt zu Muth. Loth. Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die mir ganz beſonders klar als ſolche vor Augen trat. Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen Umſtänden als ein Verbrechen beſtraft, danach wurde mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des Mordes ungeſetzlich ſind. Helene. Wie wäre das wohl.... Loth. Mein Vater war Siedemeiſter, wir wohnten dicht an der Fabrik, unſere Fenſter gingen auf den Fabrikhof. Da ſah ich auch noch Manches außerdem: Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge- arbeitet hatte. Er fing an ſtark zu huſten und abzu- magern...ich weiß, wie uns mein Vater bei Tiſch erzählte: Burmeiſter — ſo hieß der Arbeiter — be- kommt die Lungenſchwindſucht, wenn er noch länger bei der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm geſagt. — Der Mann hatte acht Kinder, und ausge- mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit finden. Er mußte alſo in der Seifenfabrik bleiben, und der Prinzipal that ſich viel darauf zu Gute, daß er ihn beibehielt. Er kam ſich unbedingt äußerſt human vor. — Eines Nachmittags, im Auguſt, es war eine furchtbare Hitze, da quälte er ſich mit einer Karre Kalk über den Fabrikhof. — Ich ſah gerade aus dem Fenſter, da merke ich, wie er ſtill ſteht — wieder ſtill ſteht und ſchließlich ſchlägt er lang auf die Steine. — Ich lief hinzu — mein Vater kam, andere Arbeiter kamen, aber er röchelte nur noch, und ſein ganzer Mund war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien ſtinkender Lumpen war er; bevor wir ihn im Hauſe hatten, war er ſchon geſtorben. Helene. Ach, ſchrecklich iſt das. Loth. Kaum acht Tage ſpäter zogen wir ſeine Frau aus dem Fluß, in den die verbrauchte Lauge <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#HEL"> <p><pb facs="#f0053" n="47"/> oft ſogar, und dann — wird einem ganz verzweifelt zu<lb/> Muth.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die<lb/> mir ganz beſonders klar als ſolche vor Augen trat.<lb/> Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen<lb/> Umſtänden als ein Verbrechen beſtraft, danach wurde<lb/> mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des<lb/> Mordes ungeſetzlich ſind.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Wie wäre das wohl....</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Mein Vater war Siedemeiſter, wir wohnten<lb/> dicht an der Fabrik, unſere Fenſter gingen auf den<lb/> Fabrikhof. Da ſah ich auch noch Manches außerdem:<lb/> Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge-<lb/> arbeitet hatte. Er fing an ſtark zu huſten und abzu-<lb/> magern...ich weiß, wie uns mein Vater bei Tiſch<lb/> erzählte: Burmeiſter — ſo hieß der Arbeiter — be-<lb/> kommt die Lungenſchwindſucht, wenn er noch länger bei<lb/> der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm<lb/> geſagt. — Der Mann hatte acht Kinder, und ausge-<lb/> mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit<lb/> finden. Er <hi rendition="#g">mußte</hi> alſo in der Seifenfabrik bleiben,<lb/> und der Prinzipal that ſich viel darauf zu Gute, daß<lb/> er ihn beibehielt. Er kam ſich unbedingt äußerſt<lb/> human vor. — Eines Nachmittags, im Auguſt, es war<lb/> eine furchtbare Hitze, da quälte er ſich mit einer Karre<lb/> Kalk über den Fabrikhof. — Ich ſah gerade aus dem<lb/> Fenſter, da merke ich, wie er ſtill ſteht — wieder ſtill<lb/> ſteht und ſchließlich ſchlägt er lang auf die Steine. —<lb/> Ich lief hinzu — mein Vater kam, andere Arbeiter<lb/> kamen, aber er röchelte nur noch, und ſein ganzer Mund<lb/> war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein<lb/> Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien ſtinkender<lb/> Lumpen war er; bevor wir ihn im Hauſe hatten, war<lb/> er ſchon geſtorben.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ach, ſchrecklich iſt das.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Kaum acht Tage ſpäter zogen wir ſeine<lb/> Frau aus dem Fluß, in den die verbrauchte Lauge<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [47/0053]
oft ſogar, und dann — wird einem ganz verzweifelt zu
Muth.
Loth. Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die
mir ganz beſonders klar als ſolche vor Augen trat.
Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen
Umſtänden als ein Verbrechen beſtraft, danach wurde
mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des
Mordes ungeſetzlich ſind.
Helene. Wie wäre das wohl....
Loth. Mein Vater war Siedemeiſter, wir wohnten
dicht an der Fabrik, unſere Fenſter gingen auf den
Fabrikhof. Da ſah ich auch noch Manches außerdem:
Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge-
arbeitet hatte. Er fing an ſtark zu huſten und abzu-
magern...ich weiß, wie uns mein Vater bei Tiſch
erzählte: Burmeiſter — ſo hieß der Arbeiter — be-
kommt die Lungenſchwindſucht, wenn er noch länger bei
der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm
geſagt. — Der Mann hatte acht Kinder, und ausge-
mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit
finden. Er mußte alſo in der Seifenfabrik bleiben,
und der Prinzipal that ſich viel darauf zu Gute, daß
er ihn beibehielt. Er kam ſich unbedingt äußerſt
human vor. — Eines Nachmittags, im Auguſt, es war
eine furchtbare Hitze, da quälte er ſich mit einer Karre
Kalk über den Fabrikhof. — Ich ſah gerade aus dem
Fenſter, da merke ich, wie er ſtill ſteht — wieder ſtill
ſteht und ſchließlich ſchlägt er lang auf die Steine. —
Ich lief hinzu — mein Vater kam, andere Arbeiter
kamen, aber er röchelte nur noch, und ſein ganzer Mund
war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein
Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien ſtinkender
Lumpen war er; bevor wir ihn im Hauſe hatten, war
er ſchon geſtorben.
Helene. Ach, ſchrecklich iſt das.
Loth. Kaum acht Tage ſpäter zogen wir ſeine
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