Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.
als eine neue Art, das Abendmahl zu nehmen, in die Liturgie. Ich alter Sünder freilich, ich bin nicht stark genug, um die Mode mitzumachen, ich kann die An- dacht nicht, wie einen Maikäfer, auf der Straße ein- fangen, bei mir kann das Gezwitscher der Spatzen und Schwalben die Stelle der Orgel nicht vertreten, wenn ich mein Herz erhoben fühlen soll, so muß ich erst die schweren eisernen Kirchthüren hinter mir zu- schlagen hören, und mir einbilden, es seyen die Thore der Welt gewesen, die düstern hohen Mauern mit den schmalen Fenstern, die das helle freche Welt-Licht nur verdunkelt durchlassen, als ob sie es sichteten, müßten sich um mich zusammen drängen, und in der Ferne muß ich das Beinhaus mit dem eingemauerten Todten- kopf sehen können. Nun -- besser ist besser! Leonhard. Er nimmt's auch zu genau. Meister Anton. Gewiß! Ganz gewiß! Und heute, als ehrlicher Mann muß ich's gestehen, trifft's nicht einmal zu, in der Kirche verlor ich die Andacht, denn der offene Platz neben mir, verdroß mich, und draußen, unter
als eine neue Art, das Abendmahl zu nehmen, in die Liturgie. Ich alter Sünder freilich, ich bin nicht ſtark genug, um die Mode mitzumachen, ich kann die An- dacht nicht, wie einen Maikäfer, auf der Straße ein- fangen, bei mir kann das Gezwitſcher der Spatzen und Schwalben die Stelle der Orgel nicht vertreten, wenn ich mein Herz erhoben fühlen ſoll, ſo muß ich erſt die ſchweren eiſernen Kirchthüren hinter mir zu- ſchlagen hören, und mir einbilden, es ſeyen die Thore der Welt geweſen, die düſtern hohen Mauern mit den ſchmalen Fenſtern, die das helle freche Welt-Licht nur verdunkelt durchlaſſen, als ob ſie es ſichteten, müßten ſich um mich zuſammen drängen, und in der Ferne muß ich das Beinhaus mit dem eingemauerten Todten- kopf ſehen können. Nun — beſſer iſt beſſer! Leonhard. Er nimmt’s auch zu genau. Meiſter Anton. Gewiß! Ganz gewiß! Und heute, als ehrlicher Mann muß ich’s geſtehen, trifft’s nicht einmal zu, in der Kirche verlor ich die Andacht, denn der offene Platz neben mir, verdroß mich, und draußen, unter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#ANTON"> <p><pb facs="#f0100" n="32"/> als eine neue Art, das Abendmahl zu nehmen, in die<lb/> Liturgie. Ich alter Sünder freilich, ich bin nicht ſtark<lb/> genug, um die Mode mitzumachen, ich kann die An-<lb/> dacht nicht, wie einen Maikäfer, auf der Straße ein-<lb/> fangen, bei mir kann das Gezwitſcher der Spatzen<lb/> und Schwalben die Stelle der Orgel nicht vertreten,<lb/> wenn ich mein Herz erhoben fühlen ſoll, ſo muß ich<lb/> erſt die ſchweren eiſernen Kirchthüren hinter mir zu-<lb/> ſchlagen hören, und mir einbilden, es ſeyen die Thore<lb/> der Welt geweſen, die düſtern hohen Mauern mit den<lb/> ſchmalen Fenſtern, die das helle freche Welt-Licht nur<lb/> verdunkelt durchlaſſen, als ob ſie es ſichteten, müßten<lb/> ſich um mich zuſammen drängen, und in der Ferne<lb/> muß ich das Beinhaus mit dem eingemauerten Todten-<lb/> kopf ſehen können. Nun — beſſer iſt beſſer!</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonhard</hi>.</speaker><lb/> <p>Er nimmt’s auch zu genau.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANTON"> <speaker><hi rendition="#g">Meiſter Anton</hi>.</speaker><lb/> <p>Gewiß! Ganz gewiß! Und heute, als ehrlicher<lb/> Mann muß ich’s geſtehen, trifft’s nicht einmal zu, in<lb/> der Kirche verlor ich die Andacht, denn der offene<lb/> Platz neben mir, verdroß mich, und draußen, unter<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0100]
als eine neue Art, das Abendmahl zu nehmen, in die
Liturgie. Ich alter Sünder freilich, ich bin nicht ſtark
genug, um die Mode mitzumachen, ich kann die An-
dacht nicht, wie einen Maikäfer, auf der Straße ein-
fangen, bei mir kann das Gezwitſcher der Spatzen
und Schwalben die Stelle der Orgel nicht vertreten,
wenn ich mein Herz erhoben fühlen ſoll, ſo muß ich
erſt die ſchweren eiſernen Kirchthüren hinter mir zu-
ſchlagen hören, und mir einbilden, es ſeyen die Thore
der Welt geweſen, die düſtern hohen Mauern mit den
ſchmalen Fenſtern, die das helle freche Welt-Licht nur
verdunkelt durchlaſſen, als ob ſie es ſichteten, müßten
ſich um mich zuſammen drängen, und in der Ferne
muß ich das Beinhaus mit dem eingemauerten Todten-
kopf ſehen können. Nun — beſſer iſt beſſer!
Leonhard.
Er nimmt’s auch zu genau.
Meiſter Anton.
Gewiß! Ganz gewiß! Und heute, als ehrlicher
Mann muß ich’s geſtehen, trifft’s nicht einmal zu, in
der Kirche verlor ich die Andacht, denn der offene
Platz neben mir, verdroß mich, und draußen, unter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |