Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844. Meister Anton. (faßt sie bei der Hand, sehr sanft) Liebe Tochter, der Karl ist doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umge- bracht, was will's heißen? Der Vater blieb am Leben! Komm ihm zu Hülfe, Du kannst nicht ver- langen, daß er Alles allein thun soll, gieb Du mir den Rest, der alte Stamm sieht noch so knorrig aus, nicht wahr, aber er wackelt schon, es wird Dir nicht zu viel Mühe kosten, ihn zu fällen! Du brauchst nicht nach der Axt zu greifen, Du hast ein hübsches Gesicht, ich hab' Dich noch nie gelobt, aber heute will ich's Dir sagen, damit Du Muth und Vertrauen bekommst, Augen, Nase und Mund finden gewiß Bei- fall, werde -- Du verstehst mich wohl, oder sag' mir, es kommt mir so vor, daß Du's schon bist! Klara. (fast wahnsinnig, stürzt der Todten mit aufgehobenen Armen zu Füßen und ruft wie ein Kind) Mutter! Mutter! Meister Anton. Faß' die Hand der Todten und schwöre mir, daß Du bist, was Du sein sollst! Meiſter Anton. (faßt ſie bei der Hand, ſehr ſanft) Liebe Tochter, der Karl iſt doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umge- bracht, was will’s heißen? Der Vater blieb am Leben! Komm ihm zu Hülfe, Du kannſt nicht ver- langen, daß er Alles allein thun ſoll, gieb Du mir den Reſt, der alte Stamm ſieht noch ſo knorrig aus, nicht wahr, aber er wackelt ſchon, es wird Dir nicht zu viel Mühe koſten, ihn zu fällen! Du brauchſt nicht nach der Axt zu greifen, Du haſt ein hübſches Geſicht, ich hab’ Dich noch nie gelobt, aber heute will ich’s Dir ſagen, damit Du Muth und Vertrauen bekommſt, Augen, Naſe und Mund finden gewiß Bei- fall, werde — Du verſtehſt mich wohl, oder ſag’ mir, es kommt mir ſo vor, daß Du’s ſchon biſt! Klara. (faſt wahnſinnig, ſtürzt der Todten mit aufgehobenen Armen zu Füßen und ruft wie ein Kind) Mutter! Mutter! Meiſter Anton. Faß’ die Hand der Todten und ſchwöre mir, daß Du biſt, was Du ſein ſollſt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0123" n="55"/> <sp who="#ANTON"> <speaker><hi rendition="#g">Meiſter Anton</hi>.</speaker><lb/> <stage>(faßt ſie bei der Hand, ſehr ſanft)</stage> <p>Liebe Tochter, der Karl<lb/> iſt doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umge-<lb/> bracht, was will’s heißen? Der Vater blieb am<lb/> Leben! Komm ihm zu Hülfe, Du kannſt nicht ver-<lb/> langen, daß er Alles allein thun ſoll, gieb Du mir<lb/> den Reſt, der alte Stamm ſieht noch ſo knorrig aus,<lb/> nicht wahr, aber er wackelt ſchon, es wird Dir nicht<lb/> zu viel Mühe koſten, ihn zu fällen! Du brauchſt<lb/> nicht nach der Axt zu greifen, Du haſt ein hübſches<lb/> Geſicht, ich hab’ Dich noch nie gelobt, aber heute<lb/> will ich’s Dir ſagen, damit Du Muth und Vertrauen<lb/> bekommſt, Augen, Naſe und Mund finden gewiß Bei-<lb/> fall, werde — Du verſtehſt mich wohl, oder ſag’<lb/> mir, es kommt mir ſo vor, daß Du’s ſchon biſt!</p> </sp><lb/> <sp who="#KLARA"> <speaker><hi rendition="#g">Klara</hi>.</speaker><lb/> <stage>(faſt wahnſinnig, ſtürzt der Todten mit aufgehobenen Armen zu<lb/> Füßen und ruft wie ein Kind)</stage> <p>Mutter! Mutter!</p> </sp><lb/> <sp who="#ANTON"> <speaker><hi rendition="#g">Meiſter Anton</hi>.</speaker><lb/> <p>Faß’ die Hand der Todten und ſchwöre mir, daß<lb/> Du biſt, was Du ſein ſollſt!</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0123]
Meiſter Anton.
(faßt ſie bei der Hand, ſehr ſanft) Liebe Tochter, der Karl
iſt doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umge-
bracht, was will’s heißen? Der Vater blieb am
Leben! Komm ihm zu Hülfe, Du kannſt nicht ver-
langen, daß er Alles allein thun ſoll, gieb Du mir
den Reſt, der alte Stamm ſieht noch ſo knorrig aus,
nicht wahr, aber er wackelt ſchon, es wird Dir nicht
zu viel Mühe koſten, ihn zu fällen! Du brauchſt
nicht nach der Axt zu greifen, Du haſt ein hübſches
Geſicht, ich hab’ Dich noch nie gelobt, aber heute
will ich’s Dir ſagen, damit Du Muth und Vertrauen
bekommſt, Augen, Naſe und Mund finden gewiß Bei-
fall, werde — Du verſtehſt mich wohl, oder ſag’
mir, es kommt mir ſo vor, daß Du’s ſchon biſt!
Klara.
(faſt wahnſinnig, ſtürzt der Todten mit aufgehobenen Armen zu
Füßen und ruft wie ein Kind) Mutter! Mutter!
Meiſter Anton.
Faß’ die Hand der Todten und ſchwöre mir, daß
Du biſt, was Du ſein ſollſt!
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Zitationshilfe: | Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/123>, abgerufen am 16.02.2025. |