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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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Zweite Scene.
Klara.
(allein) O Gott, o Gott! Erbarme Dich! Erbarme Dich
über den alten Mann! Nimm mich zu Dir! Ihm ist nicht
anders zu helfen! Sieh, der Sonnenschein liegt so
goldig auf der Straße, daß die Kinder mit Händen
nach ihm greifen, die Vögel fliegen hin und her,
Blumen und Kräuter werden nicht müde, in die Höhe
zu wachsen. Alles lebt, Alles will leben, Tausend
Kranke zittern in dieser Stunde vor Dir, o Tod,
wer Dich in der beklommenen Nacht noch rief, weil
er seine Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, der
findet sein Lager jetzt wieder sanft und weich, ich
rufe Dich! Verschone den, dessen Seele sich am tief-
sten vor Dir wegkrümmt, laß ihm so lange Frist, bis
die schöne Welt wieder grau und öde wird, nimm
mich für ihn! Ich will nicht schaudern, wenn Du
mir Deine kalte Hand reichst, ich will sie muthig
fassen und Dir freudiger folgen, als Dir noch je ein
Menschenkind gefolgt ist.
Zweite Scene.
Klara.
(allein) O Gott, o Gott! Erbarme Dich! Erbarme Dich
über den alten Mann! Nimm mich zu Dir! Ihm iſt nicht
anders zu helfen! Sieh, der Sonnenſchein liegt ſo
goldig auf der Straße, daß die Kinder mit Händen
nach ihm greifen, die Vögel fliegen hin und her,
Blumen und Kräuter werden nicht müde, in die Höhe
zu wachſen. Alles lebt, Alles will leben, Tauſend
Kranke zittern in dieſer Stunde vor Dir, o Tod,
wer Dich in der beklommenen Nacht noch rief, weil
er ſeine Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, der
findet ſein Lager jetzt wieder ſanft und weich, ich
rufe Dich! Verſchone den, deſſen Seele ſich am tief-
ſten vor Dir wegkrümmt, laß ihm ſo lange Friſt, bis
die ſchöne Welt wieder grau und öde wird, nimm
mich für ihn! Ich will nicht ſchaudern, wenn Du
mir Deine kalte Hand reichſt, ich will ſie muthig
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Menſchenkind gefolgt iſt.
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[68/0136] Zweite Scene. Klara. (allein) O Gott, o Gott! Erbarme Dich! Erbarme Dich über den alten Mann! Nimm mich zu Dir! Ihm iſt nicht anders zu helfen! Sieh, der Sonnenſchein liegt ſo goldig auf der Straße, daß die Kinder mit Händen nach ihm greifen, die Vögel fliegen hin und her, Blumen und Kräuter werden nicht müde, in die Höhe zu wachſen. Alles lebt, Alles will leben, Tauſend Kranke zittern in dieſer Stunde vor Dir, o Tod, wer Dich in der beklommenen Nacht noch rief, weil er ſeine Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, der findet ſein Lager jetzt wieder ſanft und weich, ich rufe Dich! Verſchone den, deſſen Seele ſich am tief- ſten vor Dir wegkrümmt, laß ihm ſo lange Friſt, bis die ſchöne Welt wieder grau und öde wird, nimm mich für ihn! Ich will nicht ſchaudern, wenn Du mir Deine kalte Hand reichſt, ich will ſie muthig faſſen und Dir freudiger folgen, als Dir noch je ein Menſchenkind gefolgt iſt.

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/136>, abgerufen am 21.11.2024.