Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.
das Versprechen abfordern wollte, es zu verschweigen. Höre Sie denn! Den Diebstahl, wegen dessen Ihr Bruder im Gefängniß sitzt, hat der Wahnsinn be- gangen! Klara. Seine eig'ne Frau -- Wolfram. Daß sie, die früher die edelste, mitleidigste Seele von der Welt war, boshaft und schadenfroh geworden ist, daß sie jauchzt und jubelt, wenn vor ihren Augen ein Unglück geschieht, wenn die Magd ein Glas zer- bricht, oder sich in den Finger schneidet, wußte ich längst; daß sie aber auch Sachen im Hause auf die Seite bringt, Geld versteckt, Papiere zerreißt, das habe ich leider zu spät erfahren, erst heute Mittag. Ich hatte mich auf's Bett gelegt und wollte eben einschlafen, da bemerkte ich, daß sie sich mir leise näherte und mich scharf betrachtete, ob ich schon schliefe. Ich schloß die Augen fester, da nahm sie aus meiner über den Stuhl gehängten Weste den Schlüs- sel, öffnete den Secretair, griff nach einer Goldrolle, schloß wieder zu und trug den Schlüssel zurück. Ich
das Verſprechen abfordern wollte, es zu verſchweigen. Höre Sie denn! Den Diebſtahl, wegen deſſen Ihr Bruder im Gefängniß ſitzt, hat der Wahnſinn be- gangen! Klara. Seine eig’ne Frau — Wolfram. Daß ſie, die früher die edelſte, mitleidigſte Seele von der Welt war, boshaft und ſchadenfroh geworden iſt, daß ſie jauchzt und jubelt, wenn vor ihren Augen ein Unglück geſchieht, wenn die Magd ein Glas zer- bricht, oder ſich in den Finger ſchneidet, wußte ich längſt; daß ſie aber auch Sachen im Hauſe auf die Seite bringt, Geld verſteckt, Papiere zerreißt, das habe ich leider zu ſpät erfahren, erſt heute Mittag. Ich hatte mich auf’s Bett gelegt und wollte eben einſchlafen, da bemerkte ich, daß ſie ſich mir leiſe näherte und mich ſcharf betrachtete, ob ich ſchon ſchliefe. Ich ſchloß die Augen feſter, da nahm ſie aus meiner über den Stuhl gehängten Weſte den Schlüſ- ſel, öffnete den Secretair, griff nach einer Goldrolle, ſchloß wieder zu und trug den Schlüſſel zurück. Ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#WOLF"> <p><pb facs="#f0139" n="71"/> das Verſprechen abfordern wollte, es zu verſchweigen.<lb/> Höre Sie denn! Den Diebſtahl, wegen deſſen Ihr<lb/> Bruder im Gefängniß ſitzt, hat der Wahnſinn be-<lb/> gangen!</p> </sp><lb/> <sp who="#KLARA"> <speaker><hi rendition="#g">Klara</hi>.</speaker><lb/> <p>Seine eig’ne Frau —</p> </sp><lb/> <sp who="#WOLF"> <speaker><hi rendition="#g">Wolfram</hi>.</speaker><lb/> <p>Daß ſie, die früher die edelſte, mitleidigſte Seele<lb/> von der Welt war, boshaft und ſchadenfroh geworden<lb/> iſt, daß ſie jauchzt und jubelt, wenn vor ihren Augen<lb/> ein Unglück geſchieht, wenn die Magd ein Glas zer-<lb/> bricht, oder ſich in den Finger ſchneidet, wußte ich<lb/> längſt; daß ſie aber auch Sachen im Hauſe auf die<lb/> Seite bringt, Geld verſteckt, Papiere zerreißt, das<lb/> habe ich leider zu ſpät erfahren, erſt heute Mittag.<lb/> Ich hatte mich auf’s Bett gelegt und wollte eben<lb/> einſchlafen, da bemerkte ich, daß ſie ſich mir leiſe<lb/> näherte und mich ſcharf betrachtete, ob ich ſchon<lb/> ſchliefe. Ich ſchloß die Augen feſter, da nahm ſie<lb/> aus meiner über den Stuhl gehängten Weſte den Schlüſ-<lb/> ſel, öffnete den Secretair, griff nach einer Goldrolle,<lb/> ſchloß wieder zu und trug den Schlüſſel zurück. Ich<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0139]
das Verſprechen abfordern wollte, es zu verſchweigen.
Höre Sie denn! Den Diebſtahl, wegen deſſen Ihr
Bruder im Gefängniß ſitzt, hat der Wahnſinn be-
gangen!
Klara.
Seine eig’ne Frau —
Wolfram.
Daß ſie, die früher die edelſte, mitleidigſte Seele
von der Welt war, boshaft und ſchadenfroh geworden
iſt, daß ſie jauchzt und jubelt, wenn vor ihren Augen
ein Unglück geſchieht, wenn die Magd ein Glas zer-
bricht, oder ſich in den Finger ſchneidet, wußte ich
längſt; daß ſie aber auch Sachen im Hauſe auf die
Seite bringt, Geld verſteckt, Papiere zerreißt, das
habe ich leider zu ſpät erfahren, erſt heute Mittag.
Ich hatte mich auf’s Bett gelegt und wollte eben
einſchlafen, da bemerkte ich, daß ſie ſich mir leiſe
näherte und mich ſcharf betrachtete, ob ich ſchon
ſchliefe. Ich ſchloß die Augen feſter, da nahm ſie
aus meiner über den Stuhl gehängten Weſte den Schlüſ-
ſel, öffnete den Secretair, griff nach einer Goldrolle,
ſchloß wieder zu und trug den Schlüſſel zurück. Ich
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