Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844. Secretair. Ja, bei solchem Wetter fallen die Eulen aus dem Nest, die Fledermäuse bringen sich um, weil sie füh- len, daß der Teufel sie gemacht hat, der Maulwurf bohrt sich so tief in die Erde ein, daß er den Weg zurück nicht mehr findet und jämmerlich ersticken muß, wenn er sich nicht bis zur anderen Seite durchfrißt und in Amerika wieder zum Vorschein kommt. Heute thut jede Korn-Aehre einen doppelten Schuß, und jede Mohnblume wird noch einmal so roth, wie sonst, wenn auch nur aus Schaam, daß sie's noch nicht ist. Soll der Mensch zurückbleiben? Soll er den lieben Gott um den einzigen Zins betrügen, den seine Welt ihm abwirft, um ein fröhlich Gesicht und um ein helles Auge, das all die Herrlichkeit abspiegelt und verklärt zurück giebt? Wahrhaftig, wenn ich des Morgens diesen oder jenen Hocker aus seiner Thür hervor- schleichen sehe, die Stirn in Falten heraufgezogen und den Himmel anglotzend, wie einen Bogen Lösch- papier, dann denk' ich oft: es giebt gleich Regen, Gott muß, er kann nicht umhin, den Wolken-Vorhang niederlassen, um sich nur über die Fratze nicht zu Secretair. Ja, bei ſolchem Wetter fallen die Eulen aus dem Neſt, die Fledermäuſe bringen ſich um, weil ſie füh- len, daß der Teufel ſie gemacht hat, der Maulwurf bohrt ſich ſo tief in die Erde ein, daß er den Weg zurück nicht mehr findet und jämmerlich erſticken muß, wenn er ſich nicht bis zur anderen Seite durchfrißt und in Amerika wieder zum Vorſchein kommt. Heute thut jede Korn-Aehre einen doppelten Schuß, und jede Mohnblume wird noch einmal ſo roth, wie ſonſt, wenn auch nur aus Schaam, daß ſie’s noch nicht iſt. Soll der Menſch zurückbleiben? Soll er den lieben Gott um den einzigen Zins betrügen, den ſeine Welt ihm abwirft, um ein fröhlich Geſicht und um ein helles Auge, das all die Herrlichkeit abſpiegelt und verklärt zurück giebt? Wahrhaftig, wenn ich des Morgens dieſen oder jenen Hocker aus ſeiner Thür hervor- ſchleichen ſehe, die Stirn in Falten heraufgezogen und den Himmel anglotzend, wie einen Bogen Löſch- papier, dann denk’ ich oft: es giebt gleich Regen, Gott muß, er kann nicht umhin, den Wolken-Vorhang niederlaſſen, um ſich nur über die Fratze nicht zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0147" n="79"/> <sp who="#SECRE"> <speaker><hi rendition="#g">Secretair</hi>.</speaker><lb/> <p>Ja, bei ſolchem Wetter fallen die Eulen aus dem<lb/> Neſt, die Fledermäuſe bringen ſich um, weil ſie füh-<lb/> len, daß der Teufel ſie gemacht hat, der Maulwurf<lb/> bohrt ſich ſo tief in die Erde ein, daß er den Weg<lb/> zurück nicht mehr findet und jämmerlich erſticken muß,<lb/> wenn er ſich nicht bis zur anderen Seite durchfrißt<lb/> und in Amerika wieder zum Vorſchein kommt. Heute<lb/> thut jede Korn-Aehre einen doppelten Schuß, und jede<lb/> Mohnblume wird noch einmal ſo roth, wie ſonſt, wenn<lb/> auch nur aus Schaam, daß ſie’s noch nicht iſt. Soll<lb/> der Menſch zurückbleiben? Soll er den lieben Gott<lb/> um den einzigen Zins betrügen, den ſeine Welt ihm<lb/> abwirft, um ein fröhlich Geſicht und um ein helles<lb/> Auge, das all die Herrlichkeit abſpiegelt und verklärt<lb/> zurück giebt? Wahrhaftig, wenn ich des Morgens<lb/> dieſen oder jenen Hocker aus ſeiner Thür hervor-<lb/> ſchleichen ſehe, die Stirn in Falten heraufgezogen<lb/> und den Himmel anglotzend, wie einen Bogen Löſch-<lb/> papier, dann denk’ ich oft: es giebt gleich Regen,<lb/> Gott muß, er kann nicht umhin, den Wolken-Vorhang<lb/> niederlaſſen, um ſich nur über die Fratze nicht zu<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0147]
Secretair.
Ja, bei ſolchem Wetter fallen die Eulen aus dem
Neſt, die Fledermäuſe bringen ſich um, weil ſie füh-
len, daß der Teufel ſie gemacht hat, der Maulwurf
bohrt ſich ſo tief in die Erde ein, daß er den Weg
zurück nicht mehr findet und jämmerlich erſticken muß,
wenn er ſich nicht bis zur anderen Seite durchfrißt
und in Amerika wieder zum Vorſchein kommt. Heute
thut jede Korn-Aehre einen doppelten Schuß, und jede
Mohnblume wird noch einmal ſo roth, wie ſonſt, wenn
auch nur aus Schaam, daß ſie’s noch nicht iſt. Soll
der Menſch zurückbleiben? Soll er den lieben Gott
um den einzigen Zins betrügen, den ſeine Welt ihm
abwirft, um ein fröhlich Geſicht und um ein helles
Auge, das all die Herrlichkeit abſpiegelt und verklärt
zurück giebt? Wahrhaftig, wenn ich des Morgens
dieſen oder jenen Hocker aus ſeiner Thür hervor-
ſchleichen ſehe, die Stirn in Falten heraufgezogen
und den Himmel anglotzend, wie einen Bogen Löſch-
papier, dann denk’ ich oft: es giebt gleich Regen,
Gott muß, er kann nicht umhin, den Wolken-Vorhang
niederlaſſen, um ſich nur über die Fratze nicht zu
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