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Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

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dem König von Preußen auf Besuch. Beyde Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwey rechte gute Freunde, bey einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern gieng ganz treuherzig auf sie zu, meynte es seyen zwey Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fieng ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerley Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beyden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. "Ich bin der König von Preußen", sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Compliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: "Dieß ist Se. Majestät der russische Kayser", da wars doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwey lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. "Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?" - Der Kayser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. "Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn", sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die

dem König von Preußen auf Besuch. Beyde Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwey rechte gute Freunde, bey einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern gieng ganz treuherzig auf sie zu, meynte es seyen zwey Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fieng ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerley Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beyden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. „Ich bin der König von Preußen“, sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Compliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: „Dieß ist Se. Majestät der russische Kayser“, da wars doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwey lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und sagte: „Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. „Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?“ – Der Kayser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. „Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn“, sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die

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dem König von Preußen auf Besuch. Beyde Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwey rechte gute Freunde, bey einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern gieng ganz treuherzig auf sie zu, meynte es seyen zwey Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fieng ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerley Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beyden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. &#x201E;Ich bin der König von Preußen&#x201C;, sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Compliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: &#x201E;Dieß ist Se. Majestät der russische Kayser&#x201C;, da wars doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwey lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und sagte: &#x201E;Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. &#x201E;Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?&#x201C; &#x2013; Der Kayser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. &#x201E;Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn&#x201C;, sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die
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[160/0168] dem König von Preußen auf Besuch. Beyde Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwey rechte gute Freunde, bey einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern gieng ganz treuherzig auf sie zu, meynte es seyen zwey Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fieng ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerley Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beyden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. „Ich bin der König von Preußen“, sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Compliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: „Dieß ist Se. Majestät der russische Kayser“, da wars doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwey lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und sagte: „Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. „Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?“ – Der Kayser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. „Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn“, sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die

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Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/168>, abgerufen am 24.11.2024.