Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missethäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: "der Malefikant hat nur Ein Roß gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur Einen Strick verdient", und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie's machen. Der Henker aber, als er Nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungeberdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen? sagte er; man hätte euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wußte zu antworten: "Es hat mir niemand gesagt, sagte der Seiler, daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb."


Der geheilte Patient.

Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es giebt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zuträge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: Windet's draußen, oder schnauft der Nachbar so? - Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie

beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missethäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: „der Malefikant hat nur Ein Roß gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur Einen Strick verdient“, und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie’s machen. Der Henker aber, als er Nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungeberdig an: „Ist das auch ein Strick gewesen? sagte er; man hätte euch selber dran henken sollen.“ Der Seiler aber wußte zu antworten: „Es hat mir niemand gesagt, sagte der Seiler, daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb.“


Der geheilte Patient.

Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es giebt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zuträge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: Windet’s draußen, oder schnauft der Nachbar so? – Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0226" n="218"/>
beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missethäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: &#x201E;der Malefikant hat nur <hi rendition="#g">Ein</hi> Roß gestohlen, nicht <hi rendition="#g">zwei</hi>, so hat er auch nur <hi rendition="#g">Einen</hi> Strick verdient&#x201C;, und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie&#x2019;s machen. Der Henker aber, als er Nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungeberdig an: &#x201E;Ist das auch ein Strick gewesen? sagte er; man hätte euch selber dran henken sollen.&#x201C; Der Seiler aber wußte zu antworten: &#x201E;Es hat mir niemand gesagt, sagte der Seiler, daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb.&#x201C;</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Der geheilte Patient.</head><lb/>
        <p>Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es giebt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zuträge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: Windet&#x2019;s draußen, oder schnauft der Nachbar so? &#x2013; Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0226] beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missethäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: „der Malefikant hat nur Ein Roß gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur Einen Strick verdient“, und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie’s machen. Der Henker aber, als er Nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungeberdig an: „Ist das auch ein Strick gewesen? sagte er; man hätte euch selber dran henken sollen.“ Der Seiler aber wußte zu antworten: „Es hat mir niemand gesagt, sagte der Seiler, daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb.“ Der geheilte Patient. Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es giebt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zuträge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: Windet’s draußen, oder schnauft der Nachbar so? – Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/226
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/226>, abgerufen am 21.11.2024.