Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm und er beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüß, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ey, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so hört ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreyen. Thut was ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag gieng es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter seyn, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, die ihm begegneten sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge aus gieng, wars schöner, und er gieng leichter und munterer dahin, und als er am 18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doctor soll. zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm und er beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüß, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ey, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so hört ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreyen. Thut was ihr wollt!“ Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag gieng es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter seyn, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, die ihm begegneten sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge aus gieng, wars schöner, und er gieng leichter und munterer dahin, und als er am 18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doctor soll. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="220"/> zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm und er beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüß, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ey, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so hört ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreyen. Thut was ihr wollt!“ Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag gieng es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter seyn, und wer <choice><sic>in</sic><corr>ihn</corr></choice> grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, die ihm begegneten sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge aus gieng, wars schöner, und er gieng leichter und munterer dahin, und als er am 18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doctor soll.</p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0228]
zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm und er beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüß, Mittags ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ey, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so hört ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreyen. Thut was ihr wollt!“ Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag gieng es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter seyn, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, die ihm begegneten sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge aus gieng, wars schöner, und er gieng leichter und munterer dahin, und als er am 18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doctor soll.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |