Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer's versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief. Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer’s versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief. Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0026" n="18"/> Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer’s versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.</p> <p>Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden </p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0026]
Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer’s versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.
Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |