Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. "Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?" So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen.

In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. - Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. - Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt

Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. „Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?“ So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen.

In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. – Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. – Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="85"/>
Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. &#x201E;Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?&#x201C; So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen.</p>
        <p>In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. &#x2013; Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. &#x2013; Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0093] Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. „Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?“ So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen. In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. – Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. – Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/93
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/93>, abgerufen am 21.11.2024.