Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

in dem Lehrstoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be-
trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen ist, so folgt
nothwendig, daß dieser Stoff nicht ein der verschiedenartigen Lectüre
gelegentlich entnommener, jährlich wechselnder, sondern ein fester, für
den vorliegenden Zweck ausdrücklich erlesener, kurz ein Normalstoff
sein muß, der nicht früher mit einem andern vertauscht werden darf,
als bis sich, nicht ein einzelner Lehrer, sondern das Collegium von
der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat.
6. Alles bisher Aufgeführte wirkt wesentlich erleichternd und fördernd
auf sämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich
wird das Behalten derselben durch die an dem Lernstoffe erlangte
Gewöhnung an gleich anfänglich scharfe und feste Auf-
fassung
in einem bis jetzt unbekannten Grade gesteigert. 7. Der
feste Besitz des klassischen Materials erzeugt nach und nach ein sicheres
Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production;
die denkende Aufnahme und der bewußte Besitz jenes Materials
aber gewährt zugleich ein sicheres und deutliches Bewußtsein über
die Sprachgesetze
, und durch das gekräftigte Festhalten der Lec-
türe verfügt der Schreibende auch über einen höchst umfänglichen
Theil des gesammten Sprachstoffes. 8. Die bereits bei den ersten
Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der
Normalsätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh-
lige, aber sichere, stoffliche sowohl als formale Grundlage. 9. In der
Gemeinsamkeit und festen Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer
stets ein Mittel bereit, sich über den Grad des Eindringens in die
Spracherscheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verschaffen.
Auch hier erlaubt die Beschränktheit des Umfangs und die häufige
Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenstand, dem keine Kunst der
Täuschung zu widerstehen vermag, und andererseits ist dieser Umfang
doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente
viel zu zahlreich, als daß sich, außer durch Schuld des Lehrers selbst,
ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwissen einschleichen könnte.
Dies Verhältniß ist gerade für zahlreiche Klassen, wo dem Lehrer bei
Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntnisse und Fähigkeiten der
einzelnen Schüler so große Schwierigkeiten begegnen, von der höchsten
Bedeutsamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich
die moralische Seite der Sache. 10. In gleicher Weise ist dieser

in dem Lehrſtoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be-
trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen iſt, ſo folgt
nothwendig, daß dieſer Stoff nicht ein der verſchiedenartigen Lectüre
gelegentlich entnommener, jährlich wechſelnder, ſondern ein feſter, für
den vorliegenden Zweck ausdrücklich erleſener, kurz ein Normalſtoff
ſein muß, der nicht früher mit einem andern vertauſcht werden darf,
als bis ſich, nicht ein einzelner Lehrer, ſondern das Collegium von
der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat.
6. Alles bisher Aufgeführte wirkt weſentlich erleichternd und fördernd
auf ſämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich
wird das Behalten derſelben durch die an dem Lernſtoffe erlangte
Gewöhnung an gleich anfänglich ſcharfe und feſte Auf-
faſſung
in einem bis jetzt unbekannten Grade geſteigert. 7. Der
feſte Beſitz des klaſſiſchen Materials erzeugt nach und nach ein ſicheres
Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production;
die denkende Aufnahme und der bewußte Beſitz jenes Materials
aber gewährt zugleich ein ſicheres und deutliches Bewußtſein über
die Sprachgeſetze
, und durch das gekräftigte Feſthalten der Lec-
türe verfügt der Schreibende auch über einen höchſt umfänglichen
Theil des geſammten Sprachſtoffes. 8. Die bereits bei den erſten
Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der
Normalſätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh-
lige, aber ſichere, ſtoffliche ſowohl als formale Grundlage. 9. In der
Gemeinſamkeit und feſten Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer
ſtets ein Mittel bereit, ſich über den Grad des Eindringens in die
Spracherſcheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verſchaffen.
Auch hier erlaubt die Beſchränktheit des Umfangs und die häufige
Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenſtand, dem keine Kunſt der
Täuſchung zu widerſtehen vermag, und andererſeits iſt dieſer Umfang
doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente
viel zu zahlreich, als daß ſich, außer durch Schuld des Lehrers ſelbſt,
ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwiſſen einſchleichen könnte.
Dies Verhältniß iſt gerade für zahlreiche Klaſſen, wo dem Lehrer bei
Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntniſſe und Fähigkeiten der
einzelnen Schüler ſo große Schwierigkeiten begegnen, von der höchſten
Bedeutſamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich
die moraliſche Seite der Sache. 10. In gleicher Weiſe iſt dieſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0178" n="164"/>
in dem Lehr&#x017F;toffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be-<lb/>
trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen i&#x017F;t, &#x017F;o folgt<lb/>
nothwendig, daß die&#x017F;er Stoff nicht ein der ver&#x017F;chiedenartigen Lectüre<lb/>
gelegentlich entnommener, jährlich wech&#x017F;elnder, &#x017F;ondern ein fe&#x017F;ter, für<lb/>
den vorliegenden Zweck ausdrücklich erle&#x017F;ener, kurz ein <hi rendition="#g">Normal&#x017F;toff</hi><lb/>
&#x017F;ein muß, der nicht früher mit einem andern vertau&#x017F;cht werden darf,<lb/>
als bis &#x017F;ich, nicht ein einzelner Lehrer, &#x017F;ondern das Collegium von<lb/>
der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat.<lb/>
6. Alles bisher Aufgeführte wirkt we&#x017F;entlich erleichternd und fördernd<lb/>
auf <hi rendition="#g">&#x017F;ämmtliche nebenherlaufende Lectüre</hi>, und namentlich<lb/>
wird das <hi rendition="#g">Behalten</hi> der&#x017F;elben durch die an dem Lern&#x017F;toffe erlangte<lb/><hi rendition="#g">Gewöhnung an gleich anfänglich &#x017F;charfe und fe&#x017F;te Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung</hi> in einem bis jetzt unbekannten Grade ge&#x017F;teigert. 7. Der<lb/>
fe&#x017F;te Be&#x017F;itz des kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Materials erzeugt nach und nach ein &#x017F;icheres<lb/><hi rendition="#g">Sprachgefühl</hi> als unbewußte Grundlage der <hi rendition="#g">eignen Production</hi>;<lb/>
die <hi rendition="#g">denkende</hi> Aufnahme und der <hi rendition="#g">bewußte</hi> Be&#x017F;itz jenes Materials<lb/>
aber gewährt zugleich ein &#x017F;icheres und deutliches <hi rendition="#g">Bewußt&#x017F;ein über<lb/>
die Sprachge&#x017F;etze</hi>, und durch das gekräftigte Fe&#x017F;thalten der Lec-<lb/>
türe verfügt der Schreibende auch über einen höch&#x017F;t umfänglichen<lb/>
Theil des ge&#x017F;ammten Sprach&#x017F;toffes. 8. Die bereits bei den er&#x017F;ten<lb/>
Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der<lb/>
Normal&#x017F;ätze giebt dem <hi rendition="#g">Sprechen</hi> der fremden Sprache eine allmäh-<lb/>
lige, aber &#x017F;ichere, &#x017F;toffliche &#x017F;owohl als formale Grundlage. 9. In der<lb/>
Gemein&#x017F;amkeit und fe&#x017F;ten Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer<lb/>
&#x017F;tets ein Mittel bereit, &#x017F;ich über den Grad des Eindringens in die<lb/>
Spracher&#x017F;cheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu ver&#x017F;chaffen.<lb/>
Auch hier erlaubt die Be&#x017F;chränktheit des Umfangs und die häufige<lb/>
Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegen&#x017F;tand, dem keine Kun&#x017F;t der<lb/>
Täu&#x017F;chung zu wider&#x017F;tehen vermag, und anderer&#x017F;eits i&#x017F;t die&#x017F;er Umfang<lb/>
doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente<lb/>
viel zu zahlreich, als daß &#x017F;ich, außer durch Schuld des Lehrers &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwi&#x017F;&#x017F;en ein&#x017F;chleichen könnte.<lb/>
Dies Verhältniß i&#x017F;t gerade für zahlreiche Kla&#x017F;&#x017F;en, wo dem Lehrer bei<lb/>
Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntni&#x017F;&#x017F;e und Fähigkeiten der<lb/>
einzelnen Schüler &#x017F;o große Schwierigkeiten begegnen, von der höch&#x017F;ten<lb/>
Bedeut&#x017F;amkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich<lb/>
die <hi rendition="#g">morali&#x017F;che</hi> Seite der Sache. 10. In gleicher Wei&#x017F;e i&#x017F;t die&#x017F;er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0178] in dem Lehrſtoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be- trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen iſt, ſo folgt nothwendig, daß dieſer Stoff nicht ein der verſchiedenartigen Lectüre gelegentlich entnommener, jährlich wechſelnder, ſondern ein feſter, für den vorliegenden Zweck ausdrücklich erleſener, kurz ein Normalſtoff ſein muß, der nicht früher mit einem andern vertauſcht werden darf, als bis ſich, nicht ein einzelner Lehrer, ſondern das Collegium von der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat. 6. Alles bisher Aufgeführte wirkt weſentlich erleichternd und fördernd auf ſämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich wird das Behalten derſelben durch die an dem Lernſtoffe erlangte Gewöhnung an gleich anfänglich ſcharfe und feſte Auf- faſſung in einem bis jetzt unbekannten Grade geſteigert. 7. Der feſte Beſitz des klaſſiſchen Materials erzeugt nach und nach ein ſicheres Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production; die denkende Aufnahme und der bewußte Beſitz jenes Materials aber gewährt zugleich ein ſicheres und deutliches Bewußtſein über die Sprachgeſetze, und durch das gekräftigte Feſthalten der Lec- türe verfügt der Schreibende auch über einen höchſt umfänglichen Theil des geſammten Sprachſtoffes. 8. Die bereits bei den erſten Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der Normalſätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh- lige, aber ſichere, ſtoffliche ſowohl als formale Grundlage. 9. In der Gemeinſamkeit und feſten Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer ſtets ein Mittel bereit, ſich über den Grad des Eindringens in die Spracherſcheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verſchaffen. Auch hier erlaubt die Beſchränktheit des Umfangs und die häufige Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenſtand, dem keine Kunſt der Täuſchung zu widerſtehen vermag, und andererſeits iſt dieſer Umfang doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente viel zu zahlreich, als daß ſich, außer durch Schuld des Lehrers ſelbſt, ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwiſſen einſchleichen könnte. Dies Verhältniß iſt gerade für zahlreiche Klaſſen, wo dem Lehrer bei Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntniſſe und Fähigkeiten der einzelnen Schüler ſo große Schwierigkeiten begegnen, von der höchſten Bedeutſamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich die moraliſche Seite der Sache. 10. In gleicher Weiſe iſt dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/178
Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/178>, abgerufen am 24.11.2024.