in dem Lehrstoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be- trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen ist, so folgt nothwendig, daß dieser Stoff nicht ein der verschiedenartigen Lectüre gelegentlich entnommener, jährlich wechselnder, sondern ein fester, für den vorliegenden Zweck ausdrücklich erlesener, kurz ein Normalstoff sein muß, der nicht früher mit einem andern vertauscht werden darf, als bis sich, nicht ein einzelner Lehrer, sondern das Collegium von der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat. 6. Alles bisher Aufgeführte wirkt wesentlich erleichternd und fördernd auf sämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich wird das Behalten derselben durch die an dem Lernstoffe erlangte Gewöhnung an gleich anfänglich scharfe und feste Auf- fassung in einem bis jetzt unbekannten Grade gesteigert. 7. Der feste Besitz des klassischen Materials erzeugt nach und nach ein sicheres Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production; die denkende Aufnahme und der bewußte Besitz jenes Materials aber gewährt zugleich ein sicheres und deutliches Bewußtsein über die Sprachgesetze, und durch das gekräftigte Festhalten der Lec- türe verfügt der Schreibende auch über einen höchst umfänglichen Theil des gesammten Sprachstoffes. 8. Die bereits bei den ersten Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der Normalsätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh- lige, aber sichere, stoffliche sowohl als formale Grundlage. 9. In der Gemeinsamkeit und festen Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer stets ein Mittel bereit, sich über den Grad des Eindringens in die Spracherscheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verschaffen. Auch hier erlaubt die Beschränktheit des Umfangs und die häufige Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenstand, dem keine Kunst der Täuschung zu widerstehen vermag, und andererseits ist dieser Umfang doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente viel zu zahlreich, als daß sich, außer durch Schuld des Lehrers selbst, ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwissen einschleichen könnte. Dies Verhältniß ist gerade für zahlreiche Klassen, wo dem Lehrer bei Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntnisse und Fähigkeiten der einzelnen Schüler so große Schwierigkeiten begegnen, von der höchsten Bedeutsamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich die moralische Seite der Sache. 10. In gleicher Weise ist dieser
in dem Lehrſtoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be- trachtung und Uebung auch des Lehrers nicht zu erreichen iſt, ſo folgt nothwendig, daß dieſer Stoff nicht ein der verſchiedenartigen Lectüre gelegentlich entnommener, jährlich wechſelnder, ſondern ein feſter, für den vorliegenden Zweck ausdrücklich erleſener, kurz ein Normalſtoff ſein muß, der nicht früher mit einem andern vertauſcht werden darf, als bis ſich, nicht ein einzelner Lehrer, ſondern das Collegium von der Zweckmäßigkeit des Ueberganges zu einem neuen überzeugt hat. 6. Alles bisher Aufgeführte wirkt weſentlich erleichternd und fördernd auf ſämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich wird das Behalten derſelben durch die an dem Lernſtoffe erlangte Gewöhnung an gleich anfänglich ſcharfe und feſte Auf- faſſung in einem bis jetzt unbekannten Grade geſteigert. 7. Der feſte Beſitz des klaſſiſchen Materials erzeugt nach und nach ein ſicheres Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production; die denkende Aufnahme und der bewußte Beſitz jenes Materials aber gewährt zugleich ein ſicheres und deutliches Bewußtſein über die Sprachgeſetze, und durch das gekräftigte Feſthalten der Lec- türe verfügt der Schreibende auch über einen höchſt umfänglichen Theil des geſammten Sprachſtoffes. 8. Die bereits bei den erſten Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der Normalſätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh- lige, aber ſichere, ſtoffliche ſowohl als formale Grundlage. 9. In der Gemeinſamkeit und feſten Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer ſtets ein Mittel bereit, ſich über den Grad des Eindringens in die Spracherſcheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verſchaffen. Auch hier erlaubt die Beſchränktheit des Umfangs und die häufige Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenſtand, dem keine Kunſt der Täuſchung zu widerſtehen vermag, und andererſeits iſt dieſer Umfang doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente viel zu zahlreich, als daß ſich, außer durch Schuld des Lehrers ſelbſt, ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwiſſen einſchleichen könnte. Dies Verhältniß iſt gerade für zahlreiche Klaſſen, wo dem Lehrer bei Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntniſſe und Fähigkeiten der einzelnen Schüler ſo große Schwierigkeiten begegnen, von der höchſten Bedeutſamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich die moraliſche Seite der Sache. 10. In gleicher Weiſe iſt dieſer
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in dem Lehrſtoffe enthaltenen Momente ohne eine mehrjährige Be-
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den vorliegenden Zweck ausdrücklich erleſener, kurz ein Normalſtoff
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6. Alles bisher Aufgeführte wirkt weſentlich erleichternd und fördernd
auf ſämmtliche nebenherlaufende Lectüre, und namentlich
wird das Behalten derſelben durch die an dem Lernſtoffe erlangte
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faſſung in einem bis jetzt unbekannten Grade geſteigert. 7. Der
feſte Beſitz des klaſſiſchen Materials erzeugt nach und nach ein ſicheres
Sprachgefühl als unbewußte Grundlage der eignen Production;
die denkende Aufnahme und der bewußte Beſitz jenes Materials
aber gewährt zugleich ein ſicheres und deutliches Bewußtſein über
die Sprachgeſetze, und durch das gekräftigte Feſthalten der Lec-
türe verfügt der Schreibende auch über einen höchſt umfänglichen
Theil des geſammten Sprachſtoffes. 8. Die bereits bei den erſten
Anfängen erfolgende mündliche Verwendung und Umwandlung der
Normalſätze giebt dem Sprechen der fremden Sprache eine allmäh-
lige, aber ſichere, ſtoffliche ſowohl als formale Grundlage. 9. In der
Gemeinſamkeit und feſten Fortführung des Stoffes liegt für den Lehrer
ſtets ein Mittel bereit, ſich über den Grad des Eindringens in die
Spracherſcheinungen von Seiten des Schülers Gewißheit zu verſchaffen.
Auch hier erlaubt die Beſchränktheit des Umfangs und die häufige
Wiederkehr ein Eingehen auf den Gegenſtand, dem keine Kunſt der
Täuſchung zu widerſtehen vermag, und andererſeits iſt dieſer Umfang
doch zu beträchtlich, und die in dem Stoffe enthaltenen Sprachmomente
viel zu zahlreich, als daß ſich, außer durch Schuld des Lehrers ſelbſt,
ein Formalismus und ein todtes Gedächtnißwiſſen einſchleichen könnte.
Dies Verhältniß iſt gerade für zahlreiche Klaſſen, wo dem Lehrer bei
Beurtheilung und Ausgleichung der Kenntniſſe und Fähigkeiten der
einzelnen Schüler ſo große Schwierigkeiten begegnen, von der höchſten
Bedeutſamkeit. Hier und in dem folgenden Punkte aber liegt zugleich
die moraliſche Seite der Sache. 10. In gleicher Weiſe iſt dieſer
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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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