9. Wenn gleich in dieser Periode öftere Ver- suche gemacht wurden, durch die Zerstörung des politischen Gleichgewichts den Principat ei- ner einzelnen Macht in Europa zu gründen; so wurden diese doch immer vereitelt; und ihre Ver- eitelung trug natürlich dazu bey, dasselbe desto mehr zu befestigen. Die Seemächte wirkten dazu in diesem Zeitraum noch weit mehr als in dem vo- rigen; da ihr Interesse die Aufrechthaltung dessel- ben erforderte, und das auf Handel und Colonien gelegte Gewicht ihren Einfluß entscheidend machen konnte. So blieb das Staatensystem von Euro- pa, bey aller noch so großen Ungleichheit seiner Glieder, doch ein System selbstständiger und un- abhängiger Staaten.
10. Die Verhältnisse zwischen den Staaten wurden aber in diesem Zeitraum noch viel enger durch die Ausbildung, welche das Gesandt- schaftswesen erhielt. Die seit Richelieu herr- schend gewordene Sitte der großen Höfe, bestän- dige Gesandtschaften selbst an kleinern zu hal- ten, ward von diesen erwiedert, und das Ganze erhielt dadurch seinen Umfang. Wenn das Ge- webe der politischen Verhandlungen dadurch um vieles dichter werden mußte, so war die Verflech- tung der Persönlichkeiten in die Politik vielleicht die
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Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr.--1786.
9. Wenn gleich in dieſer Periode oͤftere Ver- ſuche gemacht wurden, durch die Zerſtoͤrung des politiſchen Gleichgewichts den Principat ei- ner einzelnen Macht in Europa zu gruͤnden; ſo wurden dieſe doch immer vereitelt; und ihre Ver- eitelung trug natuͤrlich dazu bey, dasſelbe deſto mehr zu befeſtigen. Die Seemaͤchte wirkten dazu in dieſem Zeitraum noch weit mehr als in dem vo- rigen; da ihr Intereſſe die Aufrechthaltung desſel- ben erforderte, und das auf Handel und Colonien gelegte Gewicht ihren Einfluß entſcheidend machen konnte. So blieb das Staatenſyſtem von Euro- pa, bey aller noch ſo großen Ungleichheit ſeiner Glieder, doch ein Syſtem ſelbſtſtaͤndiger und un- abhaͤngiger Staaten.
10. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen den Staaten wurden aber in dieſem Zeitraum noch viel enger durch die Ausbildung, welche das Geſandt- ſchaftsweſen erhielt. Die ſeit Richelieu herr- ſchend gewordene Sitte der großen Hoͤfe, beſtaͤn- dige Geſandtſchaften ſelbſt an kleinern zu hal- ten, ward von dieſen erwiedert, und das Ganze erhielt dadurch ſeinen Umfang. Wenn das Ge- webe der politiſchen Verhandlungen dadurch um vieles dichter werden mußte, ſo war die Verflech- tung der Perſoͤnlichkeiten in die Politik vielleicht die
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Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr.--1786.
9. Wenn gleich in dieſer Periode oͤftere Ver-
ſuche gemacht wurden, durch die Zerſtoͤrung des
politiſchen Gleichgewichts den Principat ei-
ner einzelnen Macht in Europa zu gruͤnden; ſo
wurden dieſe doch immer vereitelt; und ihre Ver-
eitelung trug natuͤrlich dazu bey, dasſelbe deſto
mehr zu befeſtigen. Die Seemaͤchte wirkten dazu
in dieſem Zeitraum noch weit mehr als in dem vo-
rigen; da ihr Intereſſe die Aufrechthaltung desſel-
ben erforderte, und das auf Handel und Colonien
gelegte Gewicht ihren Einfluß entſcheidend machen
konnte. So blieb das Staatenſyſtem von Euro-
pa, bey aller noch ſo großen Ungleichheit ſeiner
Glieder, doch ein Syſtem ſelbſtſtaͤndiger und un-
abhaͤngiger Staaten.
10. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen den Staaten
wurden aber in dieſem Zeitraum noch viel enger
durch die Ausbildung, welche das Geſandt-
ſchaftsweſen erhielt. Die ſeit Richelieu herr-
ſchend gewordene Sitte der großen Hoͤfe, beſtaͤn-
dige Geſandtſchaften ſelbſt an kleinern zu hal-
ten, ward von dieſen erwiedert, und das Ganze
erhielt dadurch ſeinen Umfang. Wenn das Ge-
webe der politiſchen Verhandlungen dadurch um
vieles dichter werden mußte, ſo war die Verflech-
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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/247>, abgerufen am 25.05.2024.
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