Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Staatshändel in Europa 1700--1740.
seine neue Gemahlin, Elisabeth von Parma,
fähig gewesen; hätte nicht Familieninteresse ihr mehr
gegolten als Interesse des Staats.

26. Portugal, während des Kriegs durch die
Bande der Politik an England angeschlossen, blieb
es auch nach dem Kriege durch die Bande des
Handels. Aber wenn der Tractat von Me-1703
thuen der Industrie so schädlich ward: lag davon
die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation
und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma-
nufacturen nicht mehr bestehen, gab es denn keine
andre, und war kein Boden mehr anzubauen?
Aber indem Portugal den Markt für seine Weine
in England fand, wurden die politischen Bande
zugleich durch die mercantilischen befestigt.

27. Allein der größte Wechsel gieng in Frank-
reich
vor. Ludwig XIV. überlebte den Frieden1715
1.
Spt.

nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in
seinem Urenkel Ludwig XV. nur ein schwaches und
unmündiges Kind. Seine Autorität starb mit ihm;
und gegen seinen Willen erhielt sein Neffe Phi-
lipp von Orleans
die Regentschaft mit der gan-bis
1723

zen Fülle der Macht. Ohne Moralität, und selbst
ohne Schaam, hielt man ihn doch für boshafter,
als er war; und die lange dauernde Besorgniß we-
gen des Lebens des jungen Königs, der ohnehin

schwäch-
T 5

1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
ſeine neue Gemahlin, Eliſabeth von Parma,
faͤhig geweſen; haͤtte nicht Familienintereſſe ihr mehr
gegolten als Intereſſe des Staats.

26. Portugal, waͤhrend des Kriegs durch die
Bande der Politik an England angeſchloſſen, blieb
es auch nach dem Kriege durch die Bande des
Handels. Aber wenn der Tractat von Me-1703
thuen der Induſtrie ſo ſchaͤdlich ward: lag davon
die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation
und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma-
nufacturen nicht mehr beſtehen, gab es denn keine
andre, und war kein Boden mehr anzubauen?
Aber indem Portugal den Markt fuͤr ſeine Weine
in England fand, wurden die politiſchen Bande
zugleich durch die mercantiliſchen befeſtigt.

27. Allein der groͤßte Wechſel gieng in Frank-
reich
vor. Ludwig XIV. uͤberlebte den Frieden1715
1.
Spt.

nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in
ſeinem Urenkel Ludwig XV. nur ein ſchwaches und
unmuͤndiges Kind. Seine Autoritaͤt ſtarb mit ihm;
und gegen ſeinen Willen erhielt ſein Neffe Phi-
lipp von Orleans
die Regentſchaft mit der gan-bis
1723

zen Fuͤlle der Macht. Ohne Moralitaͤt, und ſelbſt
ohne Schaam, hielt man ihn doch fuͤr boshafter,
als er war; und die lange dauernde Beſorgniß we-
gen des Lebens des jungen Koͤnigs, der ohnehin

ſchwaͤch-
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0335" n="297"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">1. Staatsha&#x0364;ndel in Europa 1700--1740.</hi></fw><lb/>
&#x017F;eine neue Gemahlin, <hi rendition="#g">Eli&#x017F;abeth von Parma</hi>,<lb/>
fa&#x0364;hig gewe&#x017F;en; ha&#x0364;tte nicht Familienintere&#x017F;&#x017F;e ihr mehr<lb/>
gegolten als Intere&#x017F;&#x017F;e des Staats.</p><lb/>
                <p>26. <hi rendition="#g">Portugal</hi>, wa&#x0364;hrend des Kriegs durch die<lb/>
Bande der Politik an England ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, blieb<lb/>
es auch nach dem Kriege durch die Bande des<lb/>
Handels. Aber wenn der <hi rendition="#g">Tractat von Me-</hi><note place="right">1703</note><lb/><hi rendition="#g">thuen</hi> der Indu&#x017F;trie &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;dlich ward: lag davon<lb/>
die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation<lb/>
und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma-<lb/>
nufacturen nicht mehr be&#x017F;tehen, gab es denn keine<lb/>
andre, und war kein Boden mehr anzubauen?<lb/>
Aber indem Portugal den Markt fu&#x0364;r &#x017F;eine Weine<lb/>
in England fand, wurden die politi&#x017F;chen Bande<lb/>
zugleich durch die mercantili&#x017F;chen befe&#x017F;tigt.</p><lb/>
                <p>27. Allein der gro&#x0364;ßte Wech&#x017F;el gieng in <hi rendition="#g">Frank-<lb/>
reich</hi> vor. <hi rendition="#g">Ludwig</hi> <hi rendition="#aq">XIV.</hi> u&#x0364;berlebte den Frieden<note place="right">1715<lb/>
1.<lb/>
Spt.</note><lb/>
nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in<lb/>
&#x017F;einem Urenkel <hi rendition="#g">Ludwig</hi> <hi rendition="#aq">XV.</hi> nur ein &#x017F;chwaches und<lb/>
unmu&#x0364;ndiges Kind. Seine Autorita&#x0364;t &#x017F;tarb mit ihm;<lb/>
und gegen &#x017F;einen Willen erhielt &#x017F;ein Neffe <hi rendition="#g">Phi-<lb/>
lipp von Orleans</hi> die Regent&#x017F;chaft mit der gan-<note place="right">bis<lb/>
1723</note><lb/>
zen Fu&#x0364;lle der Macht. Ohne Moralita&#x0364;t, und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ohne Schaam, hielt man ihn doch fu&#x0364;r boshafter,<lb/>
als er war; und die lange dauernde Be&#x017F;orgniß we-<lb/>
gen des Lebens des jungen Ko&#x0364;nigs, der ohnehin<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chwa&#x0364;ch-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0335] 1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740. ſeine neue Gemahlin, Eliſabeth von Parma, faͤhig geweſen; haͤtte nicht Familienintereſſe ihr mehr gegolten als Intereſſe des Staats. 26. Portugal, waͤhrend des Kriegs durch die Bande der Politik an England angeſchloſſen, blieb es auch nach dem Kriege durch die Bande des Handels. Aber wenn der Tractat von Me- thuen der Induſtrie ſo ſchaͤdlich ward: lag davon die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma- nufacturen nicht mehr beſtehen, gab es denn keine andre, und war kein Boden mehr anzubauen? Aber indem Portugal den Markt fuͤr ſeine Weine in England fand, wurden die politiſchen Bande zugleich durch die mercantiliſchen befeſtigt. 1703 27. Allein der groͤßte Wechſel gieng in Frank- reich vor. Ludwig XIV. uͤberlebte den Frieden nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in ſeinem Urenkel Ludwig XV. nur ein ſchwaches und unmuͤndiges Kind. Seine Autoritaͤt ſtarb mit ihm; und gegen ſeinen Willen erhielt ſein Neffe Phi- lipp von Orleans die Regentſchaft mit der gan- zen Fuͤlle der Macht. Ohne Moralitaͤt, und ſelbſt ohne Schaam, hielt man ihn doch fuͤr boshafter, als er war; und die lange dauernde Beſorgniß we- gen des Lebens des jungen Koͤnigs, der ohnehin ſchwaͤch- 1715 1. Spt. bis 1723 T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/335
Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/335>, abgerufen am 22.11.2024.