Ob es nun gerade jetzt zeitgemäß sei, an das Dasein ei- nes Völkerrechts und vorzüglich an manche Unvollkommenhei- ten der Staatenpraxis in diesem Gebiete zu erinnern? kann vielleicht für solche Staaten weniger in Frage zu stellen sein, die im Stande sind, ihren Eigenwillen gegen den Widerspruch anderer zu behaupten oder als Gesetz ihnen aufzudringen, wo- bei sie höchstens eines Scheines des Rechtes bedürfen und sich daher schon mit einigen alten publicistischen Autoritäten und einseitigen Präcedentien begnügen: mehr dagegen für diejeni- gen, welche stets für ihre Existenz oder doch für ein gewisses Gleichgewicht zu kämpfen haben, niemals wenigstens der Will- kühr anderer verfallen wollen. Sind nun noch Principien festzustellen und Schutzwehren für dieselben zu erstreben, so ist gerade die Zeit des Friedens dazu die geeignetste; verge- bens würde man jenes von einer Zeit des Unfriedens erwar- ten. Und waren in dem noch andauernden Friedensstande die Nationen vielfach mit sich selbst in ihrem Innern beschäftigt: so hat die meistens erfolgte Grundsteinlegung und der fernere Aufbau der Verfassungen bereits wieder gestattet den Blick nach Außen hin zu richten und einen stets regeren Verkehr mit anderen Völkern zu suchen; es haben endlich schon wiederholent- lich Wolken am politischen Horizont die Regierungen und Völ- ker gemahnt, daß die Wirklichkeit eines ewigen Friedens, wenn überhaupt beschieden, noch keinesweges so nahe sei. Bis dahin bleibt gewiß das Bewußtsein von einem gemeinsamen Rechts- zustande unter allen oder doch gewissen Nationen der einzige Nothanker, um nicht in die Barbarei eines ewigen Krieges zurückzusinken. In der That verkündigen einige Erscheinungen am literarischen Horizont hin und wieder, daß das Bedürfniß einer Wiederanfrischung der völkerrechtlichen Studien, für
Vorrede.
Ob es nun gerade jetzt zeitgemäß ſei, an das Daſein ei- nes Völkerrechts und vorzüglich an manche Unvollkommenhei- ten der Staatenpraxis in dieſem Gebiete zu erinnern? kann vielleicht für ſolche Staaten weniger in Frage zu ſtellen ſein, die im Stande ſind, ihren Eigenwillen gegen den Widerſpruch anderer zu behaupten oder als Geſetz ihnen aufzudringen, wo- bei ſie höchſtens eines Scheines des Rechtes bedürfen und ſich daher ſchon mit einigen alten publiciſtiſchen Autoritäten und einſeitigen Präcedentien begnügen: mehr dagegen für diejeni- gen, welche ſtets für ihre Exiſtenz oder doch für ein gewiſſes Gleichgewicht zu kämpfen haben, niemals wenigſtens der Will- kühr anderer verfallen wollen. Sind nun noch Principien feſtzuſtellen und Schutzwehren für dieſelben zu erſtreben, ſo iſt gerade die Zeit des Friedens dazu die geeignetſte; verge- bens würde man jenes von einer Zeit des Unfriedens erwar- ten. Und waren in dem noch andauernden Friedensſtande die Nationen vielfach mit ſich ſelbſt in ihrem Innern beſchäftigt: ſo hat die meiſtens erfolgte Grundſteinlegung und der fernere Aufbau der Verfaſſungen bereits wieder geſtattet den Blick nach Außen hin zu richten und einen ſtets regeren Verkehr mit anderen Völkern zu ſuchen; es haben endlich ſchon wiederholent- lich Wolken am politiſchen Horizont die Regierungen und Völ- ker gemahnt, daß die Wirklichkeit eines ewigen Friedens, wenn überhaupt beſchieden, noch keinesweges ſo nahe ſei. Bis dahin bleibt gewiß das Bewußtſein von einem gemeinſamen Rechts- zuſtande unter allen oder doch gewiſſen Nationen der einzige Nothanker, um nicht in die Barbarei eines ewigen Krieges zurückzuſinken. In der That verkündigen einige Erſcheinungen am literariſchen Horizont hin und wieder, daß das Bedürfniß einer Wiederanfriſchung der völkerrechtlichen Studien, für
<TEI><text><front><divn="1"><pbfacs="#f0012"n="IV"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/><p>Ob es nun gerade jetzt zeitgemäß ſei, an das Daſein ei-<lb/>
nes Völkerrechts und vorzüglich an manche Unvollkommenhei-<lb/>
ten der Staatenpraxis in dieſem Gebiete zu erinnern? kann<lb/>
vielleicht für ſolche Staaten weniger in Frage zu ſtellen ſein,<lb/>
die im Stande ſind, ihren Eigenwillen gegen den Widerſpruch<lb/>
anderer zu behaupten oder als Geſetz ihnen aufzudringen, wo-<lb/>
bei ſie höchſtens eines Scheines des Rechtes bedürfen und ſich<lb/>
daher ſchon mit einigen alten publiciſtiſchen Autoritäten und<lb/>
einſeitigen Präcedentien begnügen: mehr dagegen für diejeni-<lb/>
gen, welche ſtets für ihre Exiſtenz oder doch für ein gewiſſes<lb/>
Gleichgewicht zu kämpfen haben, niemals wenigſtens der Will-<lb/>
kühr anderer verfallen wollen. Sind nun noch Principien<lb/>
feſtzuſtellen und Schutzwehren für dieſelben zu erſtreben, ſo<lb/>
iſt gerade die Zeit des Friedens dazu die geeignetſte; verge-<lb/>
bens würde man jenes von einer Zeit des Unfriedens erwar-<lb/>
ten. Und waren in dem noch andauernden Friedensſtande<lb/>
die Nationen vielfach mit ſich ſelbſt in ihrem Innern beſchäftigt:<lb/>ſo hat die meiſtens erfolgte Grundſteinlegung und der fernere<lb/>
Aufbau der Verfaſſungen bereits wieder geſtattet den Blick<lb/>
nach Außen hin zu richten und einen ſtets regeren Verkehr mit<lb/>
anderen Völkern zu ſuchen; es haben endlich ſchon wiederholent-<lb/>
lich Wolken am politiſchen Horizont die Regierungen und Völ-<lb/>
ker gemahnt, daß die Wirklichkeit eines ewigen Friedens, wenn<lb/>
überhaupt beſchieden, noch keinesweges ſo nahe ſei. Bis dahin<lb/>
bleibt gewiß das Bewußtſein von einem gemeinſamen Rechts-<lb/>
zuſtande unter allen oder doch gewiſſen Nationen der einzige<lb/>
Nothanker, um nicht in die Barbarei eines ewigen Krieges<lb/>
zurückzuſinken. In der That verkündigen einige Erſcheinungen<lb/>
am literariſchen Horizont hin und wieder, daß das Bedürfniß<lb/>
einer Wiederanfriſchung der völkerrechtlichen Studien, für<lb/></p></div></front></text></TEI>
[IV/0012]
Vorrede.
Ob es nun gerade jetzt zeitgemäß ſei, an das Daſein ei-
nes Völkerrechts und vorzüglich an manche Unvollkommenhei-
ten der Staatenpraxis in dieſem Gebiete zu erinnern? kann
vielleicht für ſolche Staaten weniger in Frage zu ſtellen ſein,
die im Stande ſind, ihren Eigenwillen gegen den Widerſpruch
anderer zu behaupten oder als Geſetz ihnen aufzudringen, wo-
bei ſie höchſtens eines Scheines des Rechtes bedürfen und ſich
daher ſchon mit einigen alten publiciſtiſchen Autoritäten und
einſeitigen Präcedentien begnügen: mehr dagegen für diejeni-
gen, welche ſtets für ihre Exiſtenz oder doch für ein gewiſſes
Gleichgewicht zu kämpfen haben, niemals wenigſtens der Will-
kühr anderer verfallen wollen. Sind nun noch Principien
feſtzuſtellen und Schutzwehren für dieſelben zu erſtreben, ſo
iſt gerade die Zeit des Friedens dazu die geeignetſte; verge-
bens würde man jenes von einer Zeit des Unfriedens erwar-
ten. Und waren in dem noch andauernden Friedensſtande
die Nationen vielfach mit ſich ſelbſt in ihrem Innern beſchäftigt:
ſo hat die meiſtens erfolgte Grundſteinlegung und der fernere
Aufbau der Verfaſſungen bereits wieder geſtattet den Blick
nach Außen hin zu richten und einen ſtets regeren Verkehr mit
anderen Völkern zu ſuchen; es haben endlich ſchon wiederholent-
lich Wolken am politiſchen Horizont die Regierungen und Völ-
ker gemahnt, daß die Wirklichkeit eines ewigen Friedens, wenn
überhaupt beſchieden, noch keinesweges ſo nahe ſei. Bis dahin
bleibt gewiß das Bewußtſein von einem gemeinſamen Rechts-
zuſtande unter allen oder doch gewiſſen Nationen der einzige
Nothanker, um nicht in die Barbarei eines ewigen Krieges
zurückzuſinken. In der That verkündigen einige Erſcheinungen
am literariſchen Horizont hin und wieder, daß das Bedürfniß
einer Wiederanfriſchung der völkerrechtlichen Studien, für
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/12>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.