gleich; der Antheil eines jeden an den Vortheilen und Lasten des Vereins muß sich aber nach dem Maaße der Fonds und Kräfte bestimmen, womit er dem Verein beigetreten ist.
Keine Veränderung in der Bundesverfassung kann gegen den Widerspruch auch nur Eines Bundesgliedes von der Mehrheit durchgesetzt werden; kein Bundesglied kann aber auch die Ausfüh- rung der Vereinsgrundsätze auf dem verfassungsmäßigen Wege, so lange der Verein besteht, durch seinen Widerspruch verhindern; auch ist es keine Verletzung der Vereinspflichten, wenn einzelne Glieder für sich eine Maaßregel in Ausführung bringen, welche der Grundverfassung nicht widerstreitet und keinem andern Ver- einsgliede schadet. 1
Selbst wo das Princip der Stimmenmehrheit entscheidend ist, kann dennoch hierdurch keinem Einzelnen oder mehreren derselben eine Leistung auferlegt werden, die nicht schon in den grundverfas- sungsmäßigen Verpflichtungen enthalten ist, und noch viel weniger eine Bestimmung getroffen werden, welche sich auf die vom Verein unabhängigen Rechtsverhältnisse der Einzelnen bezieht, ohne freie Zustimmung der Betheiligten. 2
Allgemeine Wirkungen der Verträge. 3
94. Alle Verträge verpflichten zur vollständigen redlichen Er- füllung 4 dessen, was dadurch zu leisten übernommen worden, und zwar nicht bloß desjenigen, was dadurch buchstäblich versprochen, sondern auch desjenigen, was dem Wesen eines jeden Vertrages, so wie der übereinstimmenden Absicht der Contrahenten gemäß ist (dem s. g. Geist der Verträge). -- Die Verpflichtung, welche der dispositionsfähige Repräsentant für den Staat, selbst in einem ge-
1 Dies ist der Sinn des Satzes: in re pari potiorem esse prohibentis causam (L. 28 D. comm. divid.) anwendbar auch auf Staatengemein- schaften. Vgl. Ludolph. Hugo, de statu region. Germ. c. 6. §. 7.
2 Dies sind die s. g. iura singulorum. Eine nähere Bestimmung derselben hat von jeher Schwierigkeiten gemacht, namentlich in Folge des Westphäl. Osnab. Friedens V, 52. Darüber s. ab Ickstadt, Opusc. t. II, 1 -- 5. Eine, das Obige aussprechende, Festsetzung enthält für den deutschen Bund die Wiener Schlußacte v. 1820. Art. 15. Vgl. Klüber öffentl. R. des t. B. §. 129.
3Neyron, de vi Foederum inter gentes. Goetting. 1778.
4 Alle Verträge sind nach Völkerrecht bonae fidei contractus!
§. 94. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
gleich; der Antheil eines jeden an den Vortheilen und Laſten des Vereins muß ſich aber nach dem Maaße der Fonds und Kräfte beſtimmen, womit er dem Verein beigetreten iſt.
Keine Veränderung in der Bundesverfaſſung kann gegen den Widerſpruch auch nur Eines Bundesgliedes von der Mehrheit durchgeſetzt werden; kein Bundesglied kann aber auch die Ausfüh- rung der Vereinsgrundſätze auf dem verfaſſungsmäßigen Wege, ſo lange der Verein beſteht, durch ſeinen Widerſpruch verhindern; auch iſt es keine Verletzung der Vereinspflichten, wenn einzelne Glieder für ſich eine Maaßregel in Ausführung bringen, welche der Grundverfaſſung nicht widerſtreitet und keinem andern Ver- einsgliede ſchadet. 1
Selbſt wo das Princip der Stimmenmehrheit entſcheidend iſt, kann dennoch hierdurch keinem Einzelnen oder mehreren derſelben eine Leiſtung auferlegt werden, die nicht ſchon in den grundverfaſ- ſungsmäßigen Verpflichtungen enthalten iſt, und noch viel weniger eine Beſtimmung getroffen werden, welche ſich auf die vom Verein unabhängigen Rechtsverhältniſſe der Einzelnen bezieht, ohne freie Zuſtimmung der Betheiligten. 2
Allgemeine Wirkungen der Verträge. 3
94. Alle Verträge verpflichten zur vollſtändigen redlichen Er- füllung 4 deſſen, was dadurch zu leiſten übernommen worden, und zwar nicht bloß desjenigen, was dadurch buchſtäblich verſprochen, ſondern auch desjenigen, was dem Weſen eines jeden Vertrages, ſo wie der übereinſtimmenden Abſicht der Contrahenten gemäß iſt (dem ſ. g. Geiſt der Verträge). — Die Verpflichtung, welche der dispoſitionsfähige Repräſentant für den Staat, ſelbſt in einem ge-
1 Dies iſt der Sinn des Satzes: in re pari potiorem esse prohibentis causam (L. 28 D. comm. divid.) anwendbar auch auf Staatengemein- ſchaften. Vgl. Ludolph. Hugo, de statu region. Germ. c. 6. §. 7.
2 Dies ſind die ſ. g. iura singulorum. Eine nähere Beſtimmung derſelben hat von jeher Schwierigkeiten gemacht, namentlich in Folge des Weſtphäl. Osnab. Friedens V, 52. Darüber ſ. ab Ickstadt, Opusc. t. II, 1 — 5. Eine, das Obige ausſprechende, Feſtſetzung enthält für den deutſchen Bund die Wiener Schlußacte v. 1820. Art. 15. Vgl. Klüber öffentl. R. des t. B. §. 129.
3Neyron, de vi Foederum inter gentes. Goetting. 1778.
4 Alle Verträge ſind nach Völkerrecht bonae fidei contractus!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0189"n="165"/><fwplace="top"type="header">§. 94. <hirendition="#g">Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens</hi>.</fw><lb/>
gleich; der Antheil eines jeden an den Vortheilen und Laſten des<lb/>
Vereins muß ſich aber nach dem Maaße der Fonds und Kräfte<lb/>
beſtimmen, womit er dem Verein beigetreten iſt.</p><lb/><p>Keine Veränderung in der Bundesverfaſſung kann gegen den<lb/>
Widerſpruch auch nur Eines Bundesgliedes von der Mehrheit<lb/>
durchgeſetzt werden; kein Bundesglied kann aber auch die Ausfüh-<lb/>
rung der Vereinsgrundſätze auf dem verfaſſungsmäßigen Wege, ſo<lb/>
lange der Verein beſteht, durch ſeinen Widerſpruch verhindern;<lb/>
auch iſt es keine Verletzung der Vereinspflichten, wenn einzelne<lb/>
Glieder für ſich eine Maaßregel in Ausführung bringen, welche<lb/>
der Grundverfaſſung nicht widerſtreitet und keinem andern Ver-<lb/>
einsgliede ſchadet. <noteplace="foot"n="1">Dies iſt der Sinn des Satzes: <hirendition="#aq">in re pari potiorem esse prohibentis<lb/>
causam (L. 28 D. comm. divid.)</hi> anwendbar auch auf Staatengemein-<lb/>ſchaften. Vgl. <hirendition="#aq">Ludolph. Hugo, de statu region. Germ. c.</hi> 6. §. 7.</note></p><lb/><p>Selbſt wo das Princip der Stimmenmehrheit entſcheidend iſt,<lb/>
kann dennoch hierdurch keinem Einzelnen oder mehreren derſelben<lb/>
eine Leiſtung auferlegt werden, die nicht ſchon in den grundverfaſ-<lb/>ſungsmäßigen Verpflichtungen enthalten iſt, und noch viel weniger<lb/>
eine Beſtimmung getroffen werden, welche ſich auf die vom Verein<lb/>
unabhängigen Rechtsverhältniſſe der Einzelnen bezieht, ohne freie<lb/>
Zuſtimmung der Betheiligten. <noteplace="foot"n="2">Dies ſind die ſ. g. <hirendition="#aq">iura singulorum.</hi> Eine nähere Beſtimmung derſelben<lb/>
hat von jeher Schwierigkeiten gemacht, namentlich in Folge des Weſtphäl.<lb/>
Osnab. Friedens <hirendition="#aq">V,</hi> 52. Darüber ſ. <hirendition="#aq">ab Ickstadt, Opusc. t. II,</hi> 1 — 5.<lb/>
Eine, das Obige ausſprechende, Feſtſetzung enthält für den deutſchen Bund<lb/>
die Wiener Schlußacte v. 1820. Art. 15. Vgl. Klüber öffentl. R. des<lb/>
t. B. §. 129.</note></p></div></div><lb/><divn="4"><head>Allgemeine Wirkungen der Verträge. <noteplace="foot"n="3"><hirendition="#aq">Neyron, de vi Foederum inter gentes. Goetting.</hi> 1778.</note></head><lb/><p>94. Alle Verträge verpflichten zur vollſtändigen redlichen Er-<lb/>
füllung <noteplace="foot"n="4">Alle Verträge ſind nach Völkerrecht <hirendition="#aq">bonae fidei contractus!</hi></note> deſſen, was dadurch zu leiſten übernommen worden, und<lb/>
zwar nicht bloß desjenigen, was dadurch buchſtäblich verſprochen,<lb/>ſondern auch desjenigen, was dem Weſen eines jeden Vertrages,<lb/>ſo wie der übereinſtimmenden Abſicht der Contrahenten gemäß iſt<lb/>
(dem ſ. g. Geiſt der Verträge). — Die Verpflichtung, welche der<lb/>
dispoſitionsfähige Repräſentant für den Staat, ſelbſt in einem ge-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[165/0189]
§. 94. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
gleich; der Antheil eines jeden an den Vortheilen und Laſten des
Vereins muß ſich aber nach dem Maaße der Fonds und Kräfte
beſtimmen, womit er dem Verein beigetreten iſt.
Keine Veränderung in der Bundesverfaſſung kann gegen den
Widerſpruch auch nur Eines Bundesgliedes von der Mehrheit
durchgeſetzt werden; kein Bundesglied kann aber auch die Ausfüh-
rung der Vereinsgrundſätze auf dem verfaſſungsmäßigen Wege, ſo
lange der Verein beſteht, durch ſeinen Widerſpruch verhindern;
auch iſt es keine Verletzung der Vereinspflichten, wenn einzelne
Glieder für ſich eine Maaßregel in Ausführung bringen, welche
der Grundverfaſſung nicht widerſtreitet und keinem andern Ver-
einsgliede ſchadet. 1
Selbſt wo das Princip der Stimmenmehrheit entſcheidend iſt,
kann dennoch hierdurch keinem Einzelnen oder mehreren derſelben
eine Leiſtung auferlegt werden, die nicht ſchon in den grundverfaſ-
ſungsmäßigen Verpflichtungen enthalten iſt, und noch viel weniger
eine Beſtimmung getroffen werden, welche ſich auf die vom Verein
unabhängigen Rechtsverhältniſſe der Einzelnen bezieht, ohne freie
Zuſtimmung der Betheiligten. 2
Allgemeine Wirkungen der Verträge. 3
94. Alle Verträge verpflichten zur vollſtändigen redlichen Er-
füllung 4 deſſen, was dadurch zu leiſten übernommen worden, und
zwar nicht bloß desjenigen, was dadurch buchſtäblich verſprochen,
ſondern auch desjenigen, was dem Weſen eines jeden Vertrages,
ſo wie der übereinſtimmenden Abſicht der Contrahenten gemäß iſt
(dem ſ. g. Geiſt der Verträge). — Die Verpflichtung, welche der
dispoſitionsfähige Repräſentant für den Staat, ſelbſt in einem ge-
1 Dies iſt der Sinn des Satzes: in re pari potiorem esse prohibentis
causam (L. 28 D. comm. divid.) anwendbar auch auf Staatengemein-
ſchaften. Vgl. Ludolph. Hugo, de statu region. Germ. c. 6. §. 7.
2 Dies ſind die ſ. g. iura singulorum. Eine nähere Beſtimmung derſelben
hat von jeher Schwierigkeiten gemacht, namentlich in Folge des Weſtphäl.
Osnab. Friedens V, 52. Darüber ſ. ab Ickstadt, Opusc. t. II, 1 — 5.
Eine, das Obige ausſprechende, Feſtſetzung enthält für den deutſchen Bund
die Wiener Schlußacte v. 1820. Art. 15. Vgl. Klüber öffentl. R. des
t. B. §. 129.
3 Neyron, de vi Foederum inter gentes. Goetting. 1778.
4 Alle Verträge ſind nach Völkerrecht bonae fidei contractus!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/189>, abgerufen am 24.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.