theile des Verzuges zu haften hat, welche sich auch im Völkerrecht in das Interesse der rechtzeitigen Leistung auflösen.
Welche Folgen die Nichterfüllung eines Vertrags haben könne, lehrt das Actionenrecht (Buch II.).
Dritten Parteien kann ein Vertrag an sich keinen Vortheil noch Nachtheil bringen. Insofern jedoch letzteres unmittelbar oder mit- telbar und widerrechtlicher Weise der Fall sein würde, können sie dagegen conservatorische Maaßregeln ergreifen, vorläufig auch sich durch Protestationen verwahren. Indessen hindern diese an und für sich nicht die Giltigkeit und Vollziehung eines rechtmäßigen Vertrages unter den Interessenten selbst. 1
Auslegung der Verträge.
95. Die Auslegung der Verträge 2 muß im Fall des Zwei- fels nach der erkennbaren gegenseitigen Absicht, dann aber nach demjenigen geschehen, was dem Einen Theil von dem Andern nach den dabei gebrauchten Worten des letztern, bei redlicher und verständiger Gesinnung vorausgesetzt werden darf. So kann denn vorab niemals als bewilligt gelten, worüber der fordernde Theil sich gar kein bestimmtes Versprechen hat ertheilen lassen, 3 oder bei unklarer Fassung die dem Rechtsstand des Promittenten, seinem und seines Volkes Wohl nachtheiligere Deutung entscheiden; ist ein Recht verschiedener Abstufungen fähig, so darf zunächst nur die geringste Stufe als zugestanden angenommen werden; 4 ist eine Sache im Allgemeinen versprochen (im genus), so muß im Zwei- fel das gewöhnliche, insbesondere eine mittlere Qualität gemeint
1 Rom und einzelne Glieder der kirchlichen Hierarchie haben zu verschiedenen Malen gegen die der Kirche nachtheiligen Staatenverträge protestirt. So der Bischof von Augsburg gegen den Religionsfrieden von 1555. Rom gegen den Westphälischen Frieden und noch später. Die Staatsgewalten haben sich darüber hinaussetzen müssen, und auch die Kirche ist der Noth- wendigkeit der Weltverhältnisse unterworfen.
2 Vgl. im Allgemeinen Groot II, 16. und dazu Cocceji; auch Pufendorf V, 12. Am ausführlichsten hat sich Vattel II, 17. über die Vertragsaus- legung verbreitet. S. auch v. Neumann Jus Princ. l. c. tit. 6. §. 221. Rutherford, Instit. II, 7. Crome und Jaup Germanien II, 2, 161. Die Rechtfertigung der obigen Sätze liegt meistens schon im vorhergehenden §.
3 Vgl. Mably droit publ. I, p. 59.
4 v. Neumann §. 225. Vattel §. 277.
§. 95. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
theile des Verzuges zu haften hat, welche ſich auch im Völkerrecht in das Intereſſe der rechtzeitigen Leiſtung auflöſen.
Welche Folgen die Nichterfüllung eines Vertrags haben könne, lehrt das Actionenrecht (Buch II.).
Dritten Parteien kann ein Vertrag an ſich keinen Vortheil noch Nachtheil bringen. Inſofern jedoch letzteres unmittelbar oder mit- telbar und widerrechtlicher Weiſe der Fall ſein würde, können ſie dagegen conſervatoriſche Maaßregeln ergreifen, vorläufig auch ſich durch Proteſtationen verwahren. Indeſſen hindern dieſe an und für ſich nicht die Giltigkeit und Vollziehung eines rechtmäßigen Vertrages unter den Intereſſenten ſelbſt. 1
Auslegung der Verträge.
95. Die Auslegung der Verträge 2 muß im Fall des Zwei- fels nach der erkennbaren gegenſeitigen Abſicht, dann aber nach demjenigen geſchehen, was dem Einen Theil von dem Andern nach den dabei gebrauchten Worten des letztern, bei redlicher und verſtändiger Geſinnung vorausgeſetzt werden darf. So kann denn vorab niemals als bewilligt gelten, worüber der fordernde Theil ſich gar kein beſtimmtes Verſprechen hat ertheilen laſſen, 3 oder bei unklarer Faſſung die dem Rechtsſtand des Promittenten, ſeinem und ſeines Volkes Wohl nachtheiligere Deutung entſcheiden; iſt ein Recht verſchiedener Abſtufungen fähig, ſo darf zunächſt nur die geringſte Stufe als zugeſtanden angenommen werden; 4 iſt eine Sache im Allgemeinen verſprochen (im genus), ſo muß im Zwei- fel das gewöhnliche, insbeſondere eine mittlere Qualität gemeint
1 Rom und einzelne Glieder der kirchlichen Hierarchie haben zu verſchiedenen Malen gegen die der Kirche nachtheiligen Staatenverträge proteſtirt. So der Biſchof von Augsburg gegen den Religionsfrieden von 1555. Rom gegen den Weſtphäliſchen Frieden und noch ſpäter. Die Staatsgewalten haben ſich darüber hinausſetzen müſſen, und auch die Kirche iſt der Noth- wendigkeit der Weltverhältniſſe unterworfen.
2 Vgl. im Allgemeinen Groot II, 16. und dazu Cocceji; auch Pufendorf V, 12. Am ausführlichſten hat ſich Vattel II, 17. über die Vertragsaus- legung verbreitet. S. auch v. Neumann Jus Princ. l. c. tit. 6. §. 221. Rutherford, Instit. II, 7. Crome und Jaup Germanien II, 2, 161. Die Rechtfertigung der obigen Sätze liegt meiſtens ſchon im vorhergehenden §.
3 Vgl. Mably droit publ. I, p. 59.
4 v. Neumann §. 225. Vattel §. 277.
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[167/0191]
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in das Intereſſe der rechtzeitigen Leiſtung auflöſen.
Welche Folgen die Nichterfüllung eines Vertrags haben könne,
lehrt das Actionenrecht (Buch II.).
Dritten Parteien kann ein Vertrag an ſich keinen Vortheil noch
Nachtheil bringen. Inſofern jedoch letzteres unmittelbar oder mit-
telbar und widerrechtlicher Weiſe der Fall ſein würde, können ſie
dagegen conſervatoriſche Maaßregeln ergreifen, vorläufig auch ſich
durch Proteſtationen verwahren. Indeſſen hindern dieſe an und
für ſich nicht die Giltigkeit und Vollziehung eines rechtmäßigen
Vertrages unter den Intereſſenten ſelbſt. 1
Auslegung der Verträge.
95. Die Auslegung der Verträge 2 muß im Fall des Zwei-
fels nach der erkennbaren gegenſeitigen Abſicht, dann aber
nach demjenigen geſchehen, was dem Einen Theil von dem Andern
nach den dabei gebrauchten Worten des letztern, bei redlicher und
verſtändiger Geſinnung vorausgeſetzt werden darf. So kann denn
vorab niemals als bewilligt gelten, worüber der fordernde Theil
ſich gar kein beſtimmtes Verſprechen hat ertheilen laſſen, 3 oder bei
unklarer Faſſung die dem Rechtsſtand des Promittenten, ſeinem und
ſeines Volkes Wohl nachtheiligere Deutung entſcheiden; iſt ein
Recht verſchiedener Abſtufungen fähig, ſo darf zunächſt nur die
geringſte Stufe als zugeſtanden angenommen werden; 4 iſt eine
Sache im Allgemeinen verſprochen (im genus), ſo muß im Zwei-
fel das gewöhnliche, insbeſondere eine mittlere Qualität gemeint
1 Rom und einzelne Glieder der kirchlichen Hierarchie haben zu verſchiedenen
Malen gegen die der Kirche nachtheiligen Staatenverträge proteſtirt. So
der Biſchof von Augsburg gegen den Religionsfrieden von 1555. Rom
gegen den Weſtphäliſchen Frieden und noch ſpäter. Die Staatsgewalten
haben ſich darüber hinausſetzen müſſen, und auch die Kirche iſt der Noth-
wendigkeit der Weltverhältniſſe unterworfen.
2 Vgl. im Allgemeinen Groot II, 16. und dazu Cocceji; auch Pufendorf
V, 12. Am ausführlichſten hat ſich Vattel II, 17. über die Vertragsaus-
legung verbreitet. S. auch v. Neumann Jus Princ. l. c. tit. 6. §. 221.
Rutherford, Instit. II, 7. Crome und Jaup Germanien II, 2, 161. Die
Rechtfertigung der obigen Sätze liegt meiſtens ſchon im vorhergehenden §.
3 Vgl. Mably droit publ. I, p. 59.
4 v. Neumann §. 225. Vattel §. 277.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/191>, abgerufen am 24.02.2025.
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