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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 128. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.

Ihren Anfang nimmt nun die Kriegsgefangenschaft in dem
Augenblick, wo eine feindliche dem Kriegsrecht unterworfene Per-
son entweder unfähig zu fortgesetztem Widerstand in des anderen
Theiles Gewalt geräth, und ihres Lebens geschont werden kann,
oder wo sie sich freiwillig, sei es mit, sei es ohne Bedingung als
Kriegsgefangen übergiebt.

Weder in dem einen noch anderen Falle kann nach Rechtsregeln
dem Gefangenen noch das Leben genommen werden; denn jede
erlaubte Gewalt endigt, wenn der Gegner widerstandlos geworden
ist und berechtiget blos zu weiteren Sicherungsmitteln. Nur wo
diese unter den vorwaltenden Umständen nicht zur Hand liegen
und ergriffen werden können, würde die Noth der Selbsterhaltung
und der ferner zu verfolgenden Kriegszwecke eine Zurückweisung
der angebotenen Uebergabe und selbst eine Vernichtung des wider-
standlosen, jedoch noch widerstandfähigen gefangenen Feindes ent-
schuldigen. Ist die Uebergabe auf Treue und Glauben geschehen
und angenommen, so fällt auch diese Entschuldigung weg, es
müßte denn ein Treubruch des Gefangenen oder eine neue durch
sein Daseyn verstärkte Gefahr hinzugetreten sein.

Sollte sich ein Gefangener, der sich nicht auf bestimmte Be-
dingungen ergeben hat, vorher einer Verletzung der Kriegsmanier
schuldig gemacht haben, so würde zwar dem Sieger ein Recht der
Ahndung, innerhalb der Grenzen menschlicher Wiedervergeltung,
nicht bestritten werden können; 1 verdammenswürdig aber wäre
jede Rache an einem Feinde, der nur seine Pflicht als Krieger ge-
than hat, wie z. B. die Tödtung eines tapferen und ausdauern-
den Vertheidigers einer Festung, sollte man ihn auch zuvor mit
Rache bedroht haben. 2 Die Annalen der künftigen Geschichte
werden dergleichen unter christlichen Mächten hoffentlich nicht re-
produciren.

128. Das Wesen der heutigen Kriegsgefangenschaft besteht le-
diglich in einer thatsächlichen Beschränkung der natürlichen Frei-
heit, um die Rückkehr in den feindlichen Staat und eine fernere
Theilnahme an den Kriegsunternehmungen zu verhindern. Mit-
glieder der souveränen Familie werden zwar bewacht, jedoch rück-
sichtsvoll behandelt, und vorzüglich, wenn sie ihre Treue verpfän-

1 Vgl. Vattel III, §. 141.
2 Ders. §. 143.
§. 128. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.

Ihren Anfang nimmt nun die Kriegsgefangenſchaft in dem
Augenblick, wo eine feindliche dem Kriegsrecht unterworfene Per-
ſon entweder unfähig zu fortgeſetztem Widerſtand in des anderen
Theiles Gewalt geräth, und ihres Lebens geſchont werden kann,
oder wo ſie ſich freiwillig, ſei es mit, ſei es ohne Bedingung als
Kriegsgefangen übergiebt.

Weder in dem einen noch anderen Falle kann nach Rechtsregeln
dem Gefangenen noch das Leben genommen werden; denn jede
erlaubte Gewalt endigt, wenn der Gegner widerſtandlos geworden
iſt und berechtiget blos zu weiteren Sicherungsmitteln. Nur wo
dieſe unter den vorwaltenden Umſtänden nicht zur Hand liegen
und ergriffen werden können, würde die Noth der Selbſterhaltung
und der ferner zu verfolgenden Kriegszwecke eine Zurückweiſung
der angebotenen Uebergabe und ſelbſt eine Vernichtung des wider-
ſtandloſen, jedoch noch widerſtandfähigen gefangenen Feindes ent-
ſchuldigen. Iſt die Uebergabe auf Treue und Glauben geſchehen
und angenommen, ſo fällt auch dieſe Entſchuldigung weg, es
müßte denn ein Treubruch des Gefangenen oder eine neue durch
ſein Daſeyn verſtärkte Gefahr hinzugetreten ſein.

Sollte ſich ein Gefangener, der ſich nicht auf beſtimmte Be-
dingungen ergeben hat, vorher einer Verletzung der Kriegsmanier
ſchuldig gemacht haben, ſo würde zwar dem Sieger ein Recht der
Ahndung, innerhalb der Grenzen menſchlicher Wiedervergeltung,
nicht beſtritten werden können; 1 verdammenswürdig aber wäre
jede Rache an einem Feinde, der nur ſeine Pflicht als Krieger ge-
than hat, wie z. B. die Tödtung eines tapferen und ausdauern-
den Vertheidigers einer Feſtung, ſollte man ihn auch zuvor mit
Rache bedroht haben. 2 Die Annalen der künftigen Geſchichte
werden dergleichen unter chriſtlichen Mächten hoffentlich nicht re-
produciren.

128. Das Weſen der heutigen Kriegsgefangenſchaft beſteht le-
diglich in einer thatſächlichen Beſchränkung der natürlichen Frei-
heit, um die Rückkehr in den feindlichen Staat und eine fernere
Theilnahme an den Kriegsunternehmungen zu verhindern. Mit-
glieder der ſouveränen Familie werden zwar bewacht, jedoch rück-
ſichtsvoll behandelt, und vorzüglich, wenn ſie ihre Treue verpfän-

1 Vgl. Vattel III, §. 141.
2 Derſ. §. 143.
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[215/0239] §. 128. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Ihren Anfang nimmt nun die Kriegsgefangenſchaft in dem Augenblick, wo eine feindliche dem Kriegsrecht unterworfene Per- ſon entweder unfähig zu fortgeſetztem Widerſtand in des anderen Theiles Gewalt geräth, und ihres Lebens geſchont werden kann, oder wo ſie ſich freiwillig, ſei es mit, ſei es ohne Bedingung als Kriegsgefangen übergiebt. Weder in dem einen noch anderen Falle kann nach Rechtsregeln dem Gefangenen noch das Leben genommen werden; denn jede erlaubte Gewalt endigt, wenn der Gegner widerſtandlos geworden iſt und berechtiget blos zu weiteren Sicherungsmitteln. Nur wo dieſe unter den vorwaltenden Umſtänden nicht zur Hand liegen und ergriffen werden können, würde die Noth der Selbſterhaltung und der ferner zu verfolgenden Kriegszwecke eine Zurückweiſung der angebotenen Uebergabe und ſelbſt eine Vernichtung des wider- ſtandloſen, jedoch noch widerſtandfähigen gefangenen Feindes ent- ſchuldigen. Iſt die Uebergabe auf Treue und Glauben geſchehen und angenommen, ſo fällt auch dieſe Entſchuldigung weg, es müßte denn ein Treubruch des Gefangenen oder eine neue durch ſein Daſeyn verſtärkte Gefahr hinzugetreten ſein. Sollte ſich ein Gefangener, der ſich nicht auf beſtimmte Be- dingungen ergeben hat, vorher einer Verletzung der Kriegsmanier ſchuldig gemacht haben, ſo würde zwar dem Sieger ein Recht der Ahndung, innerhalb der Grenzen menſchlicher Wiedervergeltung, nicht beſtritten werden können; 1 verdammenswürdig aber wäre jede Rache an einem Feinde, der nur ſeine Pflicht als Krieger ge- than hat, wie z. B. die Tödtung eines tapferen und ausdauern- den Vertheidigers einer Feſtung, ſollte man ihn auch zuvor mit Rache bedroht haben. 2 Die Annalen der künftigen Geſchichte werden dergleichen unter chriſtlichen Mächten hoffentlich nicht re- produciren. 128. Das Weſen der heutigen Kriegsgefangenſchaft beſteht le- diglich in einer thatſächlichen Beſchränkung der natürlichen Frei- heit, um die Rückkehr in den feindlichen Staat und eine fernere Theilnahme an den Kriegsunternehmungen zu verhindern. Mit- glieder der ſouveränen Familie werden zwar bewacht, jedoch rück- ſichtsvoll behandelt, und vorzüglich, wenn ſie ihre Treue verpfän- 1 Vgl. Vattel III, §. 141. 2 Derſ. §. 143.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/239>, abgerufen am 28.11.2024.