Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.§. 131. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens. wiewohl usurpatorisches, Staatsverhältniß mit dem besieg-ten Volke beginnen, ein Verhältniß welches weiter unten (Abschn. IV.) seine nähere Erklärung erhalten wird. Bis dahin findet lediglich eine thatsächliche Beschlagnahme der Rechte und des Vermögens der inzwischen suspendirten bis- herigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu seiner Schadloshaltung alle Vortheile benutzen, welche das bisher bestehende Staatsverhältniß darbietet, soweit sie thatsächlich realisirt werden können; er darf sich in den Besitz der Staatseinnahmen setzen, ja, er darf Anstalten treffen, welche dazu dienen, um sich das eroberte Gebiet bei der künftigen Beendigung des Krieges zu sichern; ein Mehreres aber, nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juristisch nicht sofort gefolgert zu werden. 1 II. Privateigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße Kriegsinvasion an und für sich keine Veränderung; allein der Sieger kann dieselben allerdings für die ihm an den feindli- chen Staat zustehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt, zur Mitleidenheit ziehen, und daraus seine Befriedigung su- chen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht bloß der An- spruch, welcher die Veranlassung zum Kriege gegeben hat, sondern auch eine Entschädigung für die auf den Krieg ver- wendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten Staates für dessen Verbindlichkeiten aufkommen, und wie sie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anspruch ge- nommen werden könnten, so auch dem Feinde unmittelbar für seine Befriedigung haften. Derselbe kann demnach Con- tributionen ausschreiben und beitreiben, Naturallieferungen und persönliche Dienstleistungen fordern, auch im Falle der Noth oder des Widerstandes, die erforderlichen Mittel selbst weg- nehmen, indem er dem künftig wieder geordneten Staats- 1 Die Schriften über diese große Frage s. in v. Kamptz Literat. §. 307.
Fehlerhaft ist die Theorie der Meisten, in sofern sie nämlich nicht zwischen der bloßen Landesoccupation und der völligen Besiegung des Feindes un- terscheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, diss. de iure victoriae, und in seinem Commentar zu H. Groot III, 6. §. 131. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. wiewohl uſurpatoriſches, Staatsverhältniß mit dem beſieg-ten Volke beginnen, ein Verhältniß welches weiter unten (Abſchn. IV.) ſeine nähere Erklärung erhalten wird. Bis dahin findet lediglich eine thatſächliche Beſchlagnahme der Rechte und des Vermögens der inzwiſchen ſuspendirten bis- herigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu ſeiner Schadloshaltung alle Vortheile benutzen, welche das bisher beſtehende Staatsverhältniß darbietet, ſoweit ſie thatſächlich realiſirt werden können; er darf ſich in den Beſitz der Staatseinnahmen ſetzen, ja, er darf Anſtalten treffen, welche dazu dienen, um ſich das eroberte Gebiet bei der künftigen Beendigung des Krieges zu ſichern; ein Mehreres aber, nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juriſtiſch nicht ſofort gefolgert zu werden. 1 II. Privateigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße Kriegsinvaſion an und für ſich keine Veränderung; allein der Sieger kann dieſelben allerdings für die ihm an den feindli- chen Staat zuſtehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt, zur Mitleidenheit ziehen, und daraus ſeine Befriedigung ſu- chen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht bloß der An- ſpruch, welcher die Veranlaſſung zum Kriege gegeben hat, ſondern auch eine Entſchädigung für die auf den Krieg ver- wendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererſeits iſt nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten Staates für deſſen Verbindlichkeiten aufkommen, und wie ſie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anſpruch ge- nommen werden könnten, ſo auch dem Feinde unmittelbar für ſeine Befriedigung haften. Derſelbe kann demnach Con- tributionen ausſchreiben und beitreiben, Naturallieferungen und perſönliche Dienſtleiſtungen fordern, auch im Falle der Noth oder des Widerſtandes, die erforderlichen Mittel ſelbſt weg- nehmen, indem er dem künftig wieder geordneten Staats- 1 Die Schriften über dieſe große Frage ſ. in v. Kamptz Literat. §. 307.
Fehlerhaft iſt die Theorie der Meiſten, in ſofern ſie nämlich nicht zwiſchen der bloßen Landesoccupation und der völligen Beſiegung des Feindes un- terſcheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, diss. de iure victoriae, und in ſeinem Commentar zu H. Groot III, 6. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <list> <item><pb facs="#f0245" n="221"/><fw place="top" type="header">§. 131. <hi rendition="#g">Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens</hi>.</fw><lb/> wiewohl uſurpatoriſches, Staatsverhältniß mit dem beſieg-<lb/> ten Volke beginnen, ein Verhältniß welches weiter unten<lb/> (Abſchn. <hi rendition="#aq">IV.</hi>) ſeine nähere Erklärung erhalten wird. Bis<lb/> dahin findet lediglich eine thatſächliche Beſchlagnahme der<lb/> Rechte und des Vermögens der inzwiſchen ſuspendirten bis-<lb/> herigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu ſeiner<lb/> Schadloshaltung alle Vortheile benutzen, welche das bisher<lb/> beſtehende Staatsverhältniß darbietet, ſoweit ſie thatſächlich<lb/> realiſirt werden können; er darf ſich in den Beſitz der<lb/> Staatseinnahmen ſetzen, ja, er darf Anſtalten treffen, welche<lb/> dazu dienen, um ſich das eroberte Gebiet bei der künftigen<lb/> Beendigung des Krieges zu ſichern; ein Mehreres aber,<lb/> nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen<lb/> Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juriſtiſch<lb/> nicht ſofort gefolgert zu werden. <note place="foot" n="1">Die Schriften über dieſe große Frage ſ. in v. Kamptz Literat. §. 307.<lb/> Fehlerhaft iſt die Theorie der Meiſten, in ſofern ſie nämlich nicht zwiſchen<lb/> der bloßen Landesoccupation und der völligen Beſiegung des Feindes un-<lb/> terſcheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, <hi rendition="#aq">diss. de iure victoriae,</hi><lb/> und in ſeinem Commentar zu H. Groot <hi rendition="#aq">III,</hi> 6.</note></item><lb/> <item><hi rendition="#aq">II.</hi> Privateigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße<lb/> Kriegsinvaſion an und für ſich keine Veränderung; allein der<lb/> Sieger kann dieſelben allerdings für die ihm an den feindli-<lb/> chen Staat zuſtehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt,<lb/> zur Mitleidenheit ziehen, und daraus ſeine Befriedigung ſu-<lb/> chen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht bloß der An-<lb/> ſpruch, welcher die Veranlaſſung zum Kriege gegeben hat,<lb/> ſondern auch eine Entſchädigung für die auf den Krieg ver-<lb/> wendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererſeits<lb/> iſt nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten<lb/> Staates für deſſen Verbindlichkeiten aufkommen, und wie<lb/> ſie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anſpruch ge-<lb/> nommen werden könnten, ſo auch dem Feinde unmittelbar<lb/> für ſeine Befriedigung haften. Derſelbe kann demnach Con-<lb/> tributionen ausſchreiben und beitreiben, Naturallieferungen und<lb/> perſönliche Dienſtleiſtungen fordern, auch im Falle der Noth<lb/> oder des Widerſtandes, die erforderlichen Mittel ſelbſt weg-<lb/> nehmen, indem er dem künftig wieder geordneten Staats-<lb/></item> </list> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [221/0245]
§. 131. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
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ten Volke beginnen, ein Verhältniß welches weiter unten
(Abſchn. IV.) ſeine nähere Erklärung erhalten wird. Bis
dahin findet lediglich eine thatſächliche Beſchlagnahme der
Rechte und des Vermögens der inzwiſchen ſuspendirten bis-
herigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu ſeiner
Schadloshaltung alle Vortheile benutzen, welche das bisher
beſtehende Staatsverhältniß darbietet, ſoweit ſie thatſächlich
realiſirt werden können; er darf ſich in den Beſitz der
Staatseinnahmen ſetzen, ja, er darf Anſtalten treffen, welche
dazu dienen, um ſich das eroberte Gebiet bei der künftigen
Beendigung des Krieges zu ſichern; ein Mehreres aber,
nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen
Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juriſtiſch
nicht ſofort gefolgert zu werden. 1
II. Privateigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße
Kriegsinvaſion an und für ſich keine Veränderung; allein der
Sieger kann dieſelben allerdings für die ihm an den feindli-
chen Staat zuſtehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt,
zur Mitleidenheit ziehen, und daraus ſeine Befriedigung ſu-
chen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht bloß der An-
ſpruch, welcher die Veranlaſſung zum Kriege gegeben hat,
ſondern auch eine Entſchädigung für die auf den Krieg ver-
wendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererſeits
iſt nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten
Staates für deſſen Verbindlichkeiten aufkommen, und wie
ſie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anſpruch ge-
nommen werden könnten, ſo auch dem Feinde unmittelbar
für ſeine Befriedigung haften. Derſelbe kann demnach Con-
tributionen ausſchreiben und beitreiben, Naturallieferungen und
perſönliche Dienſtleiſtungen fordern, auch im Falle der Noth
oder des Widerſtandes, die erforderlichen Mittel ſelbſt weg-
nehmen, indem er dem künftig wieder geordneten Staats-
1 Die Schriften über dieſe große Frage ſ. in v. Kamptz Literat. §. 307.
Fehlerhaft iſt die Theorie der Meiſten, in ſofern ſie nämlich nicht zwiſchen
der bloßen Landesoccupation und der völligen Beſiegung des Feindes un-
terſcheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, diss. de iure victoriae,
und in ſeinem Commentar zu H. Groot III, 6.
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