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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 133.
Recht auf unbewegliche Sachen.

133. In Ansehung der unbeweglichen Sachen ist man
im Allgemeinen schon seit längerer Zeit einverstanden, daß dieselben
wenigstens dann, wenn sie feindlichen Unterthanen gehören, durch
Invasion und Landesbesitznahme von Seiten der anderen Kriegs-
partei, ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in
älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen. 1 Es folgt
daraus von selbst, daß jede von demselben vorgenomme Verände-
rung eine rechtlich unhaltbare ist, nur thatsächliche Wirkungen her-
vorbringen kann und durch das Postliminium hinfällig wird. Sollte
sich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und
es zu dem Seinigen machen, so würde er freilich auch dem mit-
besiegten Unterthan ein Gesetz vorschreiben können, welches der that-
sächlichen Veräußerung einen juristischen Character zu geben im
Stande wäre. Ganz auf dieselbe Weise verhält es sich mit dem unbe-
weglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er
nicht als Souverän besitzt; 2 ja auch von dem öffentlichen unbe-
weglichen Staatseigenthum wird, so lange nicht die Staatsgewalt
selbst wenigstens interimistisch auf den Sieger übergegangen ist,
ein Anderes nicht zu behaupten sein. 3 Natürlich wird in beider-
lei Hinsicht dem Sieger eine vorläufige Beschlagnahme und die
Beziehung der Einkünfte zu seinem Vortheil freistehen.


1 Hierüber besteht durchaus keine Meinungsverschiedenheit unter den neueren
Publicisten. S. besonders Meermann, von dem Recht der Eroberung.
Erf. 1774. Pufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, §. 195. 196. Klüber
§. 256. v. Martens §. 277. Wheaton IV, 2, §. 16. Alle gestehen we-
nigstens zu, daß noch eine Bestätigung der Erwerbung durch den Friedens-
schluß nöthig sei. Dies ist das Zugeständniß, daß die Besitzergreifung allein
nicht genüget.
2 Vergl. die Entscheidung des Pariser Cassationshofes bei Sirey XVII, 1,
217. "Le droit de conquete n'a effet au prejudice des princes que sur
les biens qu'ils possedent en qualite de princes et non sur les biens
qu'ils possedent comme simple propriete."
3 So entschied derselbe Cassationshof bei Sirey XXX, 1. 280. "La con-
quete et l'occupation d'un Etat par un Souverain n'autorisent pas ce
souverain a disposer par donation ou autrement du domaine conquis
ou occupe."
S. auch A. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, 198.
Zweites Buch. §. 133.
Recht auf unbewegliche Sachen.

133. In Anſehung der unbeweglichen Sachen iſt man
im Allgemeinen ſchon ſeit längerer Zeit einverſtanden, daß dieſelben
wenigſtens dann, wenn ſie feindlichen Unterthanen gehören, durch
Invaſion und Landesbeſitznahme von Seiten der anderen Kriegs-
partei, ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in
älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen. 1 Es folgt
daraus von ſelbſt, daß jede von demſelben vorgenomme Verände-
rung eine rechtlich unhaltbare iſt, nur thatſächliche Wirkungen her-
vorbringen kann und durch das Poſtliminium hinfällig wird. Sollte
ſich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und
es zu dem Seinigen machen, ſo würde er freilich auch dem mit-
beſiegten Unterthan ein Geſetz vorſchreiben können, welches der that-
ſächlichen Veräußerung einen juriſtiſchen Character zu geben im
Stande wäre. Ganz auf dieſelbe Weiſe verhält es ſich mit dem unbe-
weglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er
nicht als Souverän beſitzt; 2 ja auch von dem öffentlichen unbe-
weglichen Staatseigenthum wird, ſo lange nicht die Staatsgewalt
ſelbſt wenigſtens interimiſtiſch auf den Sieger übergegangen iſt,
ein Anderes nicht zu behaupten ſein. 3 Natürlich wird in beider-
lei Hinſicht dem Sieger eine vorläufige Beſchlagnahme und die
Beziehung der Einkünfte zu ſeinem Vortheil freiſtehen.


1 Hierüber beſteht durchaus keine Meinungsverſchiedenheit unter den neueren
Publiciſten. S. beſonders Meermann, von dem Recht der Eroberung.
Erf. 1774. Pufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, §. 195. 196. Klüber
§. 256. v. Martens §. 277. Wheaton IV, 2, §. 16. Alle geſtehen we-
nigſtens zu, daß noch eine Beſtätigung der Erwerbung durch den Friedens-
ſchluß nöthig ſei. Dies iſt das Zugeſtändniß, daß die Beſitzergreifung allein
nicht genüget.
2 Vergl. die Entſcheidung des Pariſer Caſſationshofes bei Sirey XVII, 1,
217. „Le droit de conquête n’a effet au préjudice des princes que sur
les biens qu’ils possèdent en qualité de princes et non sur les biens
qu’ils possèdent comme simple propriété.“
3 So entſchied derſelbe Caſſationshof bei Sirey XXX, 1. 280. „La con-
quête et l’occupation d’un Etat par un Souverain n’autorisent pas ce
souverain à disposer par donation ou autrement du domaine conquis
ou occupé.“
S. auch A. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, 198.
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[224/0248] Zweites Buch. §. 133. Recht auf unbewegliche Sachen. 133. In Anſehung der unbeweglichen Sachen iſt man im Allgemeinen ſchon ſeit längerer Zeit einverſtanden, daß dieſelben wenigſtens dann, wenn ſie feindlichen Unterthanen gehören, durch Invaſion und Landesbeſitznahme von Seiten der anderen Kriegs- partei, ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen. 1 Es folgt daraus von ſelbſt, daß jede von demſelben vorgenomme Verände- rung eine rechtlich unhaltbare iſt, nur thatſächliche Wirkungen her- vorbringen kann und durch das Poſtliminium hinfällig wird. Sollte ſich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und es zu dem Seinigen machen, ſo würde er freilich auch dem mit- beſiegten Unterthan ein Geſetz vorſchreiben können, welches der that- ſächlichen Veräußerung einen juriſtiſchen Character zu geben im Stande wäre. Ganz auf dieſelbe Weiſe verhält es ſich mit dem unbe- weglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er nicht als Souverän beſitzt; 2 ja auch von dem öffentlichen unbe- weglichen Staatseigenthum wird, ſo lange nicht die Staatsgewalt ſelbſt wenigſtens interimiſtiſch auf den Sieger übergegangen iſt, ein Anderes nicht zu behaupten ſein. 3 Natürlich wird in beider- lei Hinſicht dem Sieger eine vorläufige Beſchlagnahme und die Beziehung der Einkünfte zu ſeinem Vortheil freiſtehen. 1 Hierüber beſteht durchaus keine Meinungsverſchiedenheit unter den neueren Publiciſten. S. beſonders Meermann, von dem Recht der Eroberung. Erf. 1774. Pufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, §. 195. 196. Klüber §. 256. v. Martens §. 277. Wheaton IV, 2, §. 16. Alle geſtehen we- nigſtens zu, daß noch eine Beſtätigung der Erwerbung durch den Friedens- ſchluß nöthig ſei. Dies iſt das Zugeſtändniß, daß die Beſitzergreifung allein nicht genüget. 2 Vergl. die Entſcheidung des Pariſer Caſſationshofes bei Sirey XVII, 1, 217. „Le droit de conquête n’a effet au préjudice des princes que sur les biens qu’ils possèdent en qualité de princes et non sur les biens qu’ils possèdent comme simple propriété.“ 3 So entſchied derſelbe Caſſationshof bei Sirey XXX, 1. 280. „La con- quête et l’occupation d’un Etat par un Souverain n’autorisent pas ce souverain à disposer par donation ou autrement du domaine conquis ou occupé.“ S. auch A. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, 198.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/248>, abgerufen am 27.11.2024.