dieses den eigenen Regulativen jedes Kriegesherren anheimgestellt. -- Seltsam war der frühere Kriegsgebrauch, wornach die Glocken eines eroberten Platzes dem Chef der Artillerie verfielen, wenigstens dann, wenn sie während der Belagerung in Benutzung geblieben waren. 1
136. Bei näherer Erwägung läßt sich nun eine Appropriation von Beutegegenständen nicht etwa aus der Fiction rechtfertigen, daß dieselben res nullius seien, was sie in der Wirklichkeit nicht sind, und eben so wenig kann der Mangel einer Dikäodosie im Kriege einer eigenmächtigen Besitzergreifung schon den Character einer Eigenthumserwerbung wider Jedermann verleihen. Nur wenn die Dikäodosie unter christlichen Staaten überhaupt noch etwas willkührliches wäre und sein dürfte, wie in der alten Welt, ließe sich darauf die Idee der sichersten Eigenthumserwerbung gründen; jetzt, wo der Kriegstand ein nur vorübergehender ist, kann diese Vorstellungsweise nicht Statt finden. Vielmehr wird man folge- richtig mit den heutigen Begriffen einen Eigenthumsübergang bei der Beute überhaupt nicht annehmen dürfen, sondern dem Beute- machenden nur die ungehinderte Befugniß zu allen thatsächlichen nach den Umständen möglichen Verfügungen über Nutzen und Substanz der Sache zuschreiben müssen, ohne daß darüber von ihm oder demjenigen, welchem er sie überträgt, Rechenschaft zu ge- ben ist, so lange noch der Kriegsstand dauert und der Besitzer dem Eigenthümer feindlich gegenübersteht. Der letztere wird dagegen sein Recht an der Sache allezeit wieder verfolgen dürfen, wenn er dieselbe an einem dritten friedlichen Ort, z. B. in neutralem Ge- biet findet, oder in eigenem Lande außerhalb der feindlichen Ge- walt, oder endlich nach wiederhergestelltem Frieden, wenn nicht darin Aufgebung aller Ansprüche für entzogenes Privateigenthum oder in Betreff von Beutegegenständen insbesondere stipulirt wäre. Kurz das von jedem Staat garantirte und unter der Gesamtbürg- schaft aller Staaten stehende Civileigenthum wird nur einstweilen suspendirt und seiner Gemeingiltigkeit beraubt; der Besitzstand tritt inzwischen an die Stelle des Rechts, das Heute mir, Morgen Dir, des Krieges. Von jedem einzelnen Staat hängt es demnächst ab, ob und wie weit er während des Krieges oder nach Beendigung
und schon die älteren deutschen Militärgesetze, z. B. den Artikelsbrief von 1672. Art. 73.
1 Moser Versuch IX, 2, 109.
§. 136. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
dieſes den eigenen Regulativen jedes Kriegesherren anheimgeſtellt. — Seltſam war der frühere Kriegsgebrauch, wornach die Glocken eines eroberten Platzes dem Chef der Artillerie verfielen, wenigſtens dann, wenn ſie während der Belagerung in Benutzung geblieben waren. 1
136. Bei näherer Erwägung läßt ſich nun eine Appropriation von Beutegegenſtänden nicht etwa aus der Fiction rechtfertigen, daß dieſelben res nullius ſeien, was ſie in der Wirklichkeit nicht ſind, und eben ſo wenig kann der Mangel einer Dikäodoſie im Kriege einer eigenmächtigen Beſitzergreifung ſchon den Character einer Eigenthumserwerbung wider Jedermann verleihen. Nur wenn die Dikäodoſie unter chriſtlichen Staaten überhaupt noch etwas willkührliches wäre und ſein dürfte, wie in der alten Welt, ließe ſich darauf die Idee der ſicherſten Eigenthumserwerbung gründen; jetzt, wo der Kriegſtand ein nur vorübergehender iſt, kann dieſe Vorſtellungsweiſe nicht Statt finden. Vielmehr wird man folge- richtig mit den heutigen Begriffen einen Eigenthumsübergang bei der Beute überhaupt nicht annehmen dürfen, ſondern dem Beute- machenden nur die ungehinderte Befugniß zu allen thatſächlichen nach den Umſtänden möglichen Verfügungen über Nutzen und Subſtanz der Sache zuſchreiben müſſen, ohne daß darüber von ihm oder demjenigen, welchem er ſie überträgt, Rechenſchaft zu ge- ben iſt, ſo lange noch der Kriegsſtand dauert und der Beſitzer dem Eigenthümer feindlich gegenüberſteht. Der letztere wird dagegen ſein Recht an der Sache allezeit wieder verfolgen dürfen, wenn er dieſelbe an einem dritten friedlichen Ort, z. B. in neutralem Ge- biet findet, oder in eigenem Lande außerhalb der feindlichen Ge- walt, oder endlich nach wiederhergeſtelltem Frieden, wenn nicht darin Aufgebung aller Anſprüche für entzogenes Privateigenthum oder in Betreff von Beutegegenſtänden insbeſondere ſtipulirt wäre. Kurz das von jedem Staat garantirte und unter der Geſamtbürg- ſchaft aller Staaten ſtehende Civileigenthum wird nur einſtweilen ſuspendirt und ſeiner Gemeingiltigkeit beraubt; der Beſitzſtand tritt inzwiſchen an die Stelle des Rechts, das Heute mir, Morgen Dir, des Krieges. Von jedem einzelnen Staat hängt es demnächſt ab, ob und wie weit er während des Krieges oder nach Beendigung
und ſchon die älteren deutſchen Militärgeſetze, z. B. den Artikelsbrief von 1672. Art. 73.
1 Moſer Verſuch IX, 2, 109.
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§. 136. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
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Seltſam war der frühere Kriegsgebrauch, wornach die Glocken eines
eroberten Platzes dem Chef der Artillerie verfielen, wenigſtens dann,
wenn ſie während der Belagerung in Benutzung geblieben waren. 1
136. Bei näherer Erwägung läßt ſich nun eine Appropriation
von Beutegegenſtänden nicht etwa aus der Fiction rechtfertigen,
daß dieſelben res nullius ſeien, was ſie in der Wirklichkeit nicht
ſind, und eben ſo wenig kann der Mangel einer Dikäodoſie im
Kriege einer eigenmächtigen Beſitzergreifung ſchon den Character
einer Eigenthumserwerbung wider Jedermann verleihen. Nur wenn
die Dikäodoſie unter chriſtlichen Staaten überhaupt noch etwas
willkührliches wäre und ſein dürfte, wie in der alten Welt, ließe
ſich darauf die Idee der ſicherſten Eigenthumserwerbung gründen;
jetzt, wo der Kriegſtand ein nur vorübergehender iſt, kann dieſe
Vorſtellungsweiſe nicht Statt finden. Vielmehr wird man folge-
richtig mit den heutigen Begriffen einen Eigenthumsübergang bei
der Beute überhaupt nicht annehmen dürfen, ſondern dem Beute-
machenden nur die ungehinderte Befugniß zu allen thatſächlichen
nach den Umſtänden möglichen Verfügungen über Nutzen und
Subſtanz der Sache zuſchreiben müſſen, ohne daß darüber von
ihm oder demjenigen, welchem er ſie überträgt, Rechenſchaft zu ge-
ben iſt, ſo lange noch der Kriegsſtand dauert und der Beſitzer dem
Eigenthümer feindlich gegenüberſteht. Der letztere wird dagegen
ſein Recht an der Sache allezeit wieder verfolgen dürfen, wenn
er dieſelbe an einem dritten friedlichen Ort, z. B. in neutralem Ge-
biet findet, oder in eigenem Lande außerhalb der feindlichen Ge-
walt, oder endlich nach wiederhergeſtelltem Frieden, wenn nicht
darin Aufgebung aller Anſprüche für entzogenes Privateigenthum
oder in Betreff von Beutegegenſtänden insbeſondere ſtipulirt wäre.
Kurz das von jedem Staat garantirte und unter der Geſamtbürg-
ſchaft aller Staaten ſtehende Civileigenthum wird nur einſtweilen
ſuspendirt und ſeiner Gemeingiltigkeit beraubt; der Beſitzſtand tritt
inzwiſchen an die Stelle des Rechts, das Heute mir, Morgen Dir,
des Krieges. Von jedem einzelnen Staat hängt es demnächſt ab,
ob und wie weit er während des Krieges oder nach Beendigung
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1 Moſer Verſuch IX, 2, 109.
2 und ſchon die älteren deutſchen Militärgeſetze, z. B. den Artikelsbrief von
1672. Art. 73.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/253>, abgerufen am 26.06.2024.
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