150. Zweitens. Jeder neutrale Staat kann, so lange er selbst Treue und Glauben bewahrt, die ihm auch im Frieden gebüh- rende Achtung vor seiner Persönlichkeit, seinen Hand- lungen und Erklärungen fordern. Er hat die Präsumtion für sich, daß er den Character der Neutralität streng bewahre und nicht etwa Erklärungen oder sonstige Handlungen zum Deckmantel einer Ungerechtigkeit gegen den einen kriegführenden Theil zu Gun- sten des anderen, oder auch beiden gegenüber in gleicher Weise be- nutzen werde. Wichtig ist dies vorzüglich in Ansehung der von einer neutralen Gewalt ausgestellten Pässe, Commissionen und Be- glaubigungen. Kein Neutraler kann
Drittens vermöge der ihm zustehenden Unabhängigkeit und Gleichheit mit anderen Staaten von den Kriegführenden oder Einem derselben in Beziehung auf sein Verhalten, Gesetzen oder einer Gerichtsbarkeit unterworfen werden, welche nicht in Verträ- gen mit ihm oder in allgemeingiltigen Grundsätzen des Völker- rechts ihre Stütze finden. Er darf, wo diese nicht Platz greifen, innerhalb seines Rechtsgebietes ganz nach eigenem Ermessen ver- fahren und hat dagegen keiner kriegführenden Macht die Hand zur Ausführung einseitiger Maximen derselben zu bieten; vielmehr ist er berechtigt, innerhalb seines Gebietes einer Kriegspartei seinen Schutz gegen offenbares Unrecht zu ertheilen, vorzüglich auch seine eigenen Unterthanen in der Ausübung ihrer völkerrechtlichen Be- fugnisse und Sicherstellung gegen die Willkühr der Kriegführenden kräftig zu handhaben.
Viertens. Alles was dem neutralen Staate außerhalb seines Gebietes gehört, verbleibt ihm als unantastbares Eigenthum selbst dann, wenn es sich bei einer kriegführenden Partei oder im Gemenge mit den Sachen derselben befindet. Das Beuterecht findet daran nicht Statt. Eine Ausnahme tritt herkömmlich nur ein, in so- fern das neutrale Eigenthum zur unmittelbaren Unterstützung eines kriegführenden Theiles bei den Kriegsunternehmungen dient und dem- selben ausdrücklich zur Disposition gestellt ist, namentlich wenn es zur Kriegsconterbande gehört, deren Begriff noch weiterhin festzu- stellen ist, in welchem Falle auch das neutrale Gut der Beschlag- nahme und Aneignung von Seiten des siegenden Gegners, so we- nig als feindliches Gut überhaupt entgeht. --
§. 150. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Fortſetzung.
150. Zweitens. Jeder neutrale Staat kann, ſo lange er ſelbſt Treue und Glauben bewahrt, die ihm auch im Frieden gebüh- rende Achtung vor ſeiner Perſönlichkeit, ſeinen Hand- lungen und Erklärungen fordern. Er hat die Präſumtion für ſich, daß er den Character der Neutralität ſtreng bewahre und nicht etwa Erklärungen oder ſonſtige Handlungen zum Deckmantel einer Ungerechtigkeit gegen den einen kriegführenden Theil zu Gun- ſten des anderen, oder auch beiden gegenüber in gleicher Weiſe be- nutzen werde. Wichtig iſt dies vorzüglich in Anſehung der von einer neutralen Gewalt ausgeſtellten Päſſe, Commiſſionen und Be- glaubigungen. Kein Neutraler kann
Drittens vermöge der ihm zuſtehenden Unabhängigkeit und Gleichheit mit anderen Staaten von den Kriegführenden oder Einem derſelben in Beziehung auf ſein Verhalten, Geſetzen oder einer Gerichtsbarkeit unterworfen werden, welche nicht in Verträ- gen mit ihm oder in allgemeingiltigen Grundſätzen des Völker- rechts ihre Stütze finden. Er darf, wo dieſe nicht Platz greifen, innerhalb ſeines Rechtsgebietes ganz nach eigenem Ermeſſen ver- fahren und hat dagegen keiner kriegführenden Macht die Hand zur Ausführung einſeitiger Maximen derſelben zu bieten; vielmehr iſt er berechtigt, innerhalb ſeines Gebietes einer Kriegspartei ſeinen Schutz gegen offenbares Unrecht zu ertheilen, vorzüglich auch ſeine eigenen Unterthanen in der Ausübung ihrer völkerrechtlichen Be- fugniſſe und Sicherſtellung gegen die Willkühr der Kriegführenden kräftig zu handhaben.
Viertens. Alles was dem neutralen Staate außerhalb ſeines Gebietes gehört, verbleibt ihm als unantaſtbares Eigenthum ſelbſt dann, wenn es ſich bei einer kriegführenden Partei oder im Gemenge mit den Sachen derſelben befindet. Das Beuterecht findet daran nicht Statt. Eine Ausnahme tritt herkömmlich nur ein, in ſo- fern das neutrale Eigenthum zur unmittelbaren Unterſtützung eines kriegführenden Theiles bei den Kriegsunternehmungen dient und dem- ſelben ausdrücklich zur Dispoſition geſtellt iſt, namentlich wenn es zur Kriegsconterbande gehört, deren Begriff noch weiterhin feſtzu- ſtellen iſt, in welchem Falle auch das neutrale Gut der Beſchlag- nahme und Aneignung von Seiten des ſiegenden Gegners, ſo we- nig als feindliches Gut überhaupt entgeht. —
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[251/0275]
§. 150. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Fortſetzung.
150. Zweitens. Jeder neutrale Staat kann, ſo lange er
ſelbſt Treue und Glauben bewahrt, die ihm auch im Frieden gebüh-
rende Achtung vor ſeiner Perſönlichkeit, ſeinen Hand-
lungen und Erklärungen fordern. Er hat die Präſumtion
für ſich, daß er den Character der Neutralität ſtreng bewahre und
nicht etwa Erklärungen oder ſonſtige Handlungen zum Deckmantel
einer Ungerechtigkeit gegen den einen kriegführenden Theil zu Gun-
ſten des anderen, oder auch beiden gegenüber in gleicher Weiſe be-
nutzen werde. Wichtig iſt dies vorzüglich in Anſehung der von
einer neutralen Gewalt ausgeſtellten Päſſe, Commiſſionen und Be-
glaubigungen. Kein Neutraler kann
Drittens vermöge der ihm zuſtehenden Unabhängigkeit und
Gleichheit mit anderen Staaten von den Kriegführenden oder
Einem derſelben in Beziehung auf ſein Verhalten, Geſetzen oder
einer Gerichtsbarkeit unterworfen werden, welche nicht in Verträ-
gen mit ihm oder in allgemeingiltigen Grundſätzen des Völker-
rechts ihre Stütze finden. Er darf, wo dieſe nicht Platz greifen,
innerhalb ſeines Rechtsgebietes ganz nach eigenem Ermeſſen ver-
fahren und hat dagegen keiner kriegführenden Macht die Hand
zur Ausführung einſeitiger Maximen derſelben zu bieten; vielmehr
iſt er berechtigt, innerhalb ſeines Gebietes einer Kriegspartei ſeinen
Schutz gegen offenbares Unrecht zu ertheilen, vorzüglich auch ſeine
eigenen Unterthanen in der Ausübung ihrer völkerrechtlichen Be-
fugniſſe und Sicherſtellung gegen die Willkühr der Kriegführenden
kräftig zu handhaben.
Viertens. Alles was dem neutralen Staate außerhalb ſeines
Gebietes gehört, verbleibt ihm als unantaſtbares Eigenthum
ſelbſt dann, wenn es ſich bei einer kriegführenden Partei oder im
Gemenge mit den Sachen derſelben befindet. Das Beuterecht findet
daran nicht Statt. Eine Ausnahme tritt herkömmlich nur ein, in ſo-
fern das neutrale Eigenthum zur unmittelbaren Unterſtützung eines
kriegführenden Theiles bei den Kriegsunternehmungen dient und dem-
ſelben ausdrücklich zur Dispoſition geſtellt iſt, namentlich wenn es
zur Kriegsconterbande gehört, deren Begriff noch weiterhin feſtzu-
ſtellen iſt, in welchem Falle auch das neutrale Gut der Beſchlag-
nahme und Aneignung von Seiten des ſiegenden Gegners, ſo we-
nig als feindliches Gut überhaupt entgeht. —
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/275>, abgerufen am 27.11.2024.
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