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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§§. 18. 19. Völkerrecht im Zustand des Friedens.

18. Das wesentlichste Kennzeichen eines wirklichen Staates be-
steht in dem organischen Dasein einer eigenen vollkommenen Staats-
gewalt. Ihre Ausschließlichkeit und Unabhängigkeit von äußerem
Einfluß ist die völkerrechtliche Souveränetät der Staaten. Jedoch
ist letztere nicht immer in gleicher Weise, weder factisch noch recht-
lich vorhanden; unter den mancherlei Staatengebilden lassen sich in
dieser Hinsicht folgende Categorien erkennen:

I. Der einfache, freie, souveräne Staat, ohne sonstigen bleiben-
den Zusammenhang mit anderen Staaten, außer dem allge-
mein völkerrechtlichen.
II. Der zusammengesetzte Staat, 1 in der weitesten Bedeutung
des Worts, nämlich:
a) der halbsouveräne 2 Staat, in bleibender Abhängigkeit
von dem Willen eines anderen Staates, wenigstens für
seine äußeren Verhältnisse (§. 19.);
b) der Staatenverein (unio civitatum) oder die Vereini-
gung mehrerer an sich getrennter Staaten mit einer ge-
meinsamen Staatsgewalt, wobei wieder vielfache Ver-
schiedenheiten vorkommen (§. 20.).
III. Der Staatenbund (confoederatio civitatum) oder die blei-
bende Vereinigung mehrerer Staaten zur gegenseitigen Er-
gänzung und Erreichung gemeinsamer Zwecke.

Ueberdieß kann selbst der völlig souveräne Staat in seinen äu-
ßeren Beziehungen bestimmten wesentlichen Beschränkungen unter-
worfen sein (§. 22.).

19. Halbsouveränetät ist zwar ein überaus vager Begriff,
ja ein Widerspruch in sich, da der Ausdruck Souveränetät gerade
die absolute Negation jeder äußeren Abhängigkeit bedeutet und eine
Beschränkung dieser Negation im Allgemeinen eine große, ja zahl-
lose Menge von Abstufungen zuläßt, welche sich nicht auf Zahlen-
verhältnisse zurückführen lassen. In so fern jedoch die Souverä-

1 Der gewöhnliche Schulausdruck dafür ist systema civitatum. Vgl. Sam.
a Pufendorf, de systematibus civitatum,
in s. diss. acad. sel. Lond.
Scan. 1675. p. 264. J. C. Wieland, de system. civ. Lips. 1777.
(Op. acad. I, n. 2).
Pölitz Jahrb. der Gesch. und Staatskunst. 1829.
I, 620. Chph. Lud. Stieglitz, quaest. iur. publ. Spec. I. Lips. 1830.
2 Diese Benennung ist hauptsächlich erst durch J. J. Moser (s. dessen Beitr.
z. Völkerr. in Friedensz. I, 508) gebräuchlich worden.
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§§. 18. 19. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.

18. Das weſentlichſte Kennzeichen eines wirklichen Staates be-
ſteht in dem organiſchen Daſein einer eigenen vollkommenen Staats-
gewalt. Ihre Ausſchließlichkeit und Unabhängigkeit von äußerem
Einfluß iſt die völkerrechtliche Souveränetät der Staaten. Jedoch
iſt letztere nicht immer in gleicher Weiſe, weder factiſch noch recht-
lich vorhanden; unter den mancherlei Staatengebilden laſſen ſich in
dieſer Hinſicht folgende Categorien erkennen:

I. Der einfache, freie, ſouveräne Staat, ohne ſonſtigen bleiben-
den Zuſammenhang mit anderen Staaten, außer dem allge-
mein völkerrechtlichen.
II. Der zuſammengeſetzte Staat, 1 in der weiteſten Bedeutung
des Worts, nämlich:
a) der halbſouveräne 2 Staat, in bleibender Abhängigkeit
von dem Willen eines anderen Staates, wenigſtens für
ſeine äußeren Verhältniſſe (§. 19.);
b) der Staatenverein (unio civitatum) oder die Vereini-
gung mehrerer an ſich getrennter Staaten mit einer ge-
meinſamen Staatsgewalt, wobei wieder vielfache Ver-
ſchiedenheiten vorkommen (§. 20.).
III. Der Staatenbund (confoederatio civitatum) oder die blei-
bende Vereinigung mehrerer Staaten zur gegenſeitigen Er-
gänzung und Erreichung gemeinſamer Zwecke.

Ueberdieß kann ſelbſt der völlig ſouveräne Staat in ſeinen äu-
ßeren Beziehungen beſtimmten weſentlichen Beſchränkungen unter-
worfen ſein (§. 22.).

19. Halbſouveränetät iſt zwar ein überaus vager Begriff,
ja ein Widerſpruch in ſich, da der Ausdruck Souveränetät gerade
die abſolute Negation jeder äußeren Abhängigkeit bedeutet und eine
Beſchränkung dieſer Negation im Allgemeinen eine große, ja zahl-
loſe Menge von Abſtufungen zuläßt, welche ſich nicht auf Zahlen-
verhältniſſe zurückführen laſſen. In ſo fern jedoch die Souverä-

1 Der gewöhnliche Schulausdruck dafür iſt systema civitatum. Vgl. Sam.
a Pufendorf, de systematibus civitatum,
in ſ. diss. acad. sel. Lond.
Scan. 1675. p. 264. J. C. Wieland, de system. civ. Lips. 1777.
(Op. acad. I, n. 2).
Pölitz Jahrb. der Geſch. und Staatskunſt. 1829.
I, 620. Chph. Lud. Stieglitz, quaest. iur. publ. Spec. I. Lips. 1830.
2 Dieſe Benennung iſt hauptſächlich erſt durch J. J. Moſer (ſ. deſſen Beitr.
z. Völkerr. in Friedensz. I, 508) gebräuchlich worden.
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[33/0057] §§. 18. 19. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. 18. Das weſentlichſte Kennzeichen eines wirklichen Staates be- ſteht in dem organiſchen Daſein einer eigenen vollkommenen Staats- gewalt. Ihre Ausſchließlichkeit und Unabhängigkeit von äußerem Einfluß iſt die völkerrechtliche Souveränetät der Staaten. Jedoch iſt letztere nicht immer in gleicher Weiſe, weder factiſch noch recht- lich vorhanden; unter den mancherlei Staatengebilden laſſen ſich in dieſer Hinſicht folgende Categorien erkennen: I. Der einfache, freie, ſouveräne Staat, ohne ſonſtigen bleiben- den Zuſammenhang mit anderen Staaten, außer dem allge- mein völkerrechtlichen. II. Der zuſammengeſetzte Staat, 1 in der weiteſten Bedeutung des Worts, nämlich: a) der halbſouveräne 2 Staat, in bleibender Abhängigkeit von dem Willen eines anderen Staates, wenigſtens für ſeine äußeren Verhältniſſe (§. 19.); b) der Staatenverein (unio civitatum) oder die Vereini- gung mehrerer an ſich getrennter Staaten mit einer ge- meinſamen Staatsgewalt, wobei wieder vielfache Ver- ſchiedenheiten vorkommen (§. 20.). III. Der Staatenbund (confoederatio civitatum) oder die blei- bende Vereinigung mehrerer Staaten zur gegenſeitigen Er- gänzung und Erreichung gemeinſamer Zwecke. Ueberdieß kann ſelbſt der völlig ſouveräne Staat in ſeinen äu- ßeren Beziehungen beſtimmten weſentlichen Beſchränkungen unter- worfen ſein (§. 22.). 19. Halbſouveränetät iſt zwar ein überaus vager Begriff, ja ein Widerſpruch in ſich, da der Ausdruck Souveränetät gerade die abſolute Negation jeder äußeren Abhängigkeit bedeutet und eine Beſchränkung dieſer Negation im Allgemeinen eine große, ja zahl- loſe Menge von Abſtufungen zuläßt, welche ſich nicht auf Zahlen- verhältniſſe zurückführen laſſen. In ſo fern jedoch die Souverä- 1 Der gewöhnliche Schulausdruck dafür iſt systema civitatum. Vgl. Sam. a Pufendorf, de systematibus civitatum, in ſ. diss. acad. sel. Lond. Scan. 1675. p. 264. J. C. Wieland, de system. civ. Lips. 1777. (Op. acad. I, n. 2). Pölitz Jahrb. der Geſch. und Staatskunſt. 1829. I, 620. Chph. Lud. Stieglitz, quaest. iur. publ. Spec. I. Lips. 1830. 2 Dieſe Benennung iſt hauptſächlich erſt durch J. J. Moſer (ſ. deſſen Beitr. z. Völkerr. in Friedensz. I, 508) gebräuchlich worden. 3

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/57>, abgerufen am 23.11.2024.