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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 29. Völkerrecht im Zustand des Friedens.

nachherigen Regentschaft trat zuerst solchen eiteln Prätensionen offen und kühn
entgegen; sein Wort: que toutes les tetes couronnees etaient egales hat
sich in der Folge sogar noch in einer weiteren Ausdehnung Anklang verschafft.
Specialrechte:
1. Recht eines selbstbestimmten Daseins.

29. Das Erste Recht eines Staates ist eben das, als beson-
derer Staat für sich zu bestehen und sich zu entwickeln. Jeder
Staat kann sich demnach selbst eine bestimmte Form geben, zuerst
also eine bestimmte Regierungsform, da eine formlose Staatsge-
walt ein Unding, mithin auch der Staat selbst nicht vorhanden
wäre. In wie fern dabei Einmischungen anderer Mächte zulässig
sind, wird sich weiter ergeben. Unbedenklich ist ferner, daß jeder
Staat auch sich selbst und seinen Auctoritäten einen bestimmten
Namen und Titel geben, so wie gewisse äußere Insignien, Wap-
pen 1 u. dergl. beilegen und gebrauchen kann. 2 Ein Widerspruchs-
recht oder Urtheil steht rücksichtlich der Annahme solcher Wahrzei-
chen anderen Staaten an und für sich nicht zu, wohl aber kann
dieselbe unter folgenden Voraussetzungen angefochten werden:
Erstens, insofern Tractaten oder hoheitliche Beziehungen zu
anderen Staaten (§. 18 f.) entgegenstehen;
Zweitens, insofern bereits anerkannte Wahrzeichen fremder
Staaten angenommen werden;
Endlich überhaupt, wenn andere Mächte zur förmlichen Be-
achtung des angenommenen Titels, Namens und der damit ver-
bundenen herkömmlichen Prärogativen verpflichtet sein sollen.

Eine solche Verpflichtung kann durch das eigene Handeln eines
Staates anderen nicht auferlegt werden. Es ist also von selbst die
Nothwendigkeit gegeben, sich die Anerkennung wenigstens derjeni-
gen Staaten zu verschaffen, welche ein Interesse und auch wohl
die Macht haben, einen Widerspruch geltend zu machen. Gleiches
gilt von Veränderungen bisheriger Titel, Wappen und anderer
Kennzeichen. 3


1 Die Staatspraxis richtet sich dabei, versteht sich zwanglos, nach den Re-
geln der Heraldik oder s. g. Wappenkunst, l'art du blason. Eine Nach-
weisung der darauf bezüglichen Schriften s. in Berend, Allgem. Schriften-
kunde der Wappenk. 1835. 3 Thle.
2 Vattel, II, 3, §. 41 f. de Real, science du Gouv. V, 5, 6. Günther,
Völkerr. II, 4, 1.
3 Schmelzing, Europ. V. R. §. 40. Schmalz, Völkerr. S. 182.
4
§. 29. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.

nachherigen Regentſchaft trat zuerſt ſolchen eiteln Prätenſionen offen und kühn
entgegen; ſein Wort: que toutes les têtes couronnées étaient égales hat
ſich in der Folge ſogar noch in einer weiteren Ausdehnung Anklang verſchafft.
Specialrechte:
1. Recht eines ſelbſtbeſtimmten Daſeins.

29. Das Erſte Recht eines Staates iſt eben das, als beſon-
derer Staat für ſich zu beſtehen und ſich zu entwickeln. Jeder
Staat kann ſich demnach ſelbſt eine beſtimmte Form geben, zuerſt
alſo eine beſtimmte Regierungsform, da eine formloſe Staatsge-
walt ein Unding, mithin auch der Staat ſelbſt nicht vorhanden
wäre. In wie fern dabei Einmiſchungen anderer Mächte zuläſſig
ſind, wird ſich weiter ergeben. Unbedenklich iſt ferner, daß jeder
Staat auch ſich ſelbſt und ſeinen Auctoritäten einen beſtimmten
Namen und Titel geben, ſo wie gewiſſe äußere Inſignien, Wap-
pen 1 u. dergl. beilegen und gebrauchen kann. 2 Ein Widerſpruchs-
recht oder Urtheil ſteht rückſichtlich der Annahme ſolcher Wahrzei-
chen anderen Staaten an und für ſich nicht zu, wohl aber kann
dieſelbe unter folgenden Vorausſetzungen angefochten werden:
Erſtens, inſofern Tractaten oder hoheitliche Beziehungen zu
anderen Staaten (§. 18 f.) entgegenſtehen;
Zweitens, inſofern bereits anerkannte Wahrzeichen fremder
Staaten angenommen werden;
Endlich überhaupt, wenn andere Mächte zur förmlichen Be-
achtung des angenommenen Titels, Namens und der damit ver-
bundenen herkömmlichen Prärogativen verpflichtet ſein ſollen.

Eine ſolche Verpflichtung kann durch das eigene Handeln eines
Staates anderen nicht auferlegt werden. Es iſt alſo von ſelbſt die
Nothwendigkeit gegeben, ſich die Anerkennung wenigſtens derjeni-
gen Staaten zu verſchaffen, welche ein Intereſſe und auch wohl
die Macht haben, einen Widerſpruch geltend zu machen. Gleiches
gilt von Veränderungen bisheriger Titel, Wappen und anderer
Kennzeichen. 3


1 Die Staatspraxis richtet ſich dabei, verſteht ſich zwanglos, nach den Re-
geln der Heraldik oder ſ. g. Wappenkunſt, l’art du blason. Eine Nach-
weiſung der darauf bezüglichen Schriften ſ. in Berend, Allgem. Schriften-
kunde der Wappenk. 1835. 3 Thle.
2 Vattel, II, 3, §. 41 f. de Réal, science du Gouv. V, 5, 6. Günther,
Völkerr. II, 4, 1.
3 Schmelzing, Europ. V. R. §. 40. Schmalz, Völkerr. S. 182.
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[49/0073] §. 29. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. nachherigen Regentſchaft trat zuerſt ſolchen eiteln Prätenſionen offen und kühn entgegen; ſein Wort: que toutes les têtes couronnées étaient égales hat ſich in der Folge ſogar noch in einer weiteren Ausdehnung Anklang verſchafft. Specialrechte: 1. Recht eines ſelbſtbeſtimmten Daſeins. 29. Das Erſte Recht eines Staates iſt eben das, als beſon- derer Staat für ſich zu beſtehen und ſich zu entwickeln. Jeder Staat kann ſich demnach ſelbſt eine beſtimmte Form geben, zuerſt alſo eine beſtimmte Regierungsform, da eine formloſe Staatsge- walt ein Unding, mithin auch der Staat ſelbſt nicht vorhanden wäre. In wie fern dabei Einmiſchungen anderer Mächte zuläſſig ſind, wird ſich weiter ergeben. Unbedenklich iſt ferner, daß jeder Staat auch ſich ſelbſt und ſeinen Auctoritäten einen beſtimmten Namen und Titel geben, ſo wie gewiſſe äußere Inſignien, Wap- pen 1 u. dergl. beilegen und gebrauchen kann. 2 Ein Widerſpruchs- recht oder Urtheil ſteht rückſichtlich der Annahme ſolcher Wahrzei- chen anderen Staaten an und für ſich nicht zu, wohl aber kann dieſelbe unter folgenden Vorausſetzungen angefochten werden: Erſtens, inſofern Tractaten oder hoheitliche Beziehungen zu anderen Staaten (§. 18 f.) entgegenſtehen; Zweitens, inſofern bereits anerkannte Wahrzeichen fremder Staaten angenommen werden; Endlich überhaupt, wenn andere Mächte zur förmlichen Be- achtung des angenommenen Titels, Namens und der damit ver- bundenen herkömmlichen Prärogativen verpflichtet ſein ſollen. Eine ſolche Verpflichtung kann durch das eigene Handeln eines Staates anderen nicht auferlegt werden. Es iſt alſo von ſelbſt die Nothwendigkeit gegeben, ſich die Anerkennung wenigſtens derjeni- gen Staaten zu verſchaffen, welche ein Intereſſe und auch wohl die Macht haben, einen Widerſpruch geltend zu machen. Gleiches gilt von Veränderungen bisheriger Titel, Wappen und anderer Kennzeichen. 3 1 Die Staatspraxis richtet ſich dabei, verſteht ſich zwanglos, nach den Re- geln der Heraldik oder ſ. g. Wappenkunſt, l’art du blason. Eine Nach- weiſung der darauf bezüglichen Schriften ſ. in Berend, Allgem. Schriften- kunde der Wappenk. 1835. 3 Thle. 2 Vattel, II, 3, §. 41 f. de Réal, science du Gouv. V, 5, 6. Günther, Völkerr. II, 4, 1. 3 Schmelzing, Europ. V. R. §. 40. Schmalz, Völkerr. S. 182. 4

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/73>, abgerufen am 27.11.2024.