Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.Erstes Buch. §. 30. Begreiflicher Weise läßt sich in den Staatenverhältnissen nicht Daß der bedeutende, obwohl völlig legitime Anwachs einer ein- Auf ähnliche Weise verhält es sich mit der Frage, ob bevor- Nur deutlich erkennbare Bestrebungen einer Macht zu einer 1 Ueber das hier eintretende Fragerecht s. unten bei der Materie der Inter- vention. 2 Die verschiedenen Ansichten sind zusammengestellt bei Günther I, S. 362 ff. 3 Hier ist vorzüglich die Coalitionspolitik an ihrem Ort. Darauf beruhten
unter anderm die großen Coalitionen in Betreff der Spanischen Monarchie vor Absterben König Carls II., der Deutsche Fürstenbund von 1785, die Coalition gegen Napoleon u. s. f. Erſtes Buch. §. 30. Begreiflicher Weiſe läßt ſich in den Staatenverhältniſſen nicht Daß der bedeutende, obwohl völlig legitime Anwachs einer ein- Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit der Frage, ob bevor- Nur deutlich erkennbare Beſtrebungen einer Macht zu einer 1 Ueber das hier eintretende Fragerecht ſ. unten bei der Materie der Inter- vention. 2 Die verſchiedenen Anſichten ſind zuſammengeſtellt bei Günther I, S. 362 ff. 3 Hier iſt vorzüglich die Coalitionspolitik an ihrem Ort. Darauf beruhten
unter anderm die großen Coalitionen in Betreff der Spaniſchen Monarchie vor Abſterben König Carls II., der Deutſche Fürſtenbund von 1785, die Coalition gegen Napoleon u. ſ. f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0076" n="52"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Buch</hi>. §. 30.</fw><lb/> <p>Begreiflicher Weiſe läßt ſich in den Staatenverhältniſſen nicht<lb/> der engere Maaßſtab anlegen, wornach der Gebrauch der vorſte-<lb/> henden Grundſätze in Privatverhältniſſen beurtheilt werden muß.<lb/> Bei dem Geheimniß, worin ſich die Politik einhüllt, iſt es oft ſchwer,<lb/> die Abſichtlichkeit einer Richtung, das wahre Ziel einer Bewegung<lb/> zu erkennen. Zuweilen wird ſelbſt längere Beobachtung des ganzen<lb/> Syſtems eines Hofes doch nur Vermuthungen an die Hand geben<lb/> und ein Irrthum ſehr zu entſchuldigen ſein. Gewiß iſt aber auch<lb/> Vorſicht gegen Uebereilungen und gegenſeitige Offenheit geboten. <note place="foot" n="1">Ueber das hier eintretende Fragerecht ſ. unten bei der Materie der Inter-<lb/> vention.</note></p><lb/> <p>Daß der bedeutende, obwohl völlig legitime Anwachs einer ein-<lb/> zelnen Macht, weil ſie in der Folge einmal gefährlich werden könnte,<lb/> noch keinen Zuſtand der Nothwehr oder eines rechtmäßigen Krieges<lb/> hervorrufe, zeigt ſich in dem Mangel an den erforderlichen Bedin-<lb/> gungen der Nothwehr, hauptſächlich eines wirklich zu befürchtenden<lb/> unrechtmaͤßigen Angriffs. Auch kann das Coloſſale einer Macht noch<lb/> nicht als ein ſchon vorhandener Nothſtand für die Uebrigen angeſehen<lb/> werden. Unbedenklich liegt es aber in deren Befugniſſen, jeder fer-<lb/> neren Vergrößerung einer Macht, wozu ſie noch keinen unbeſtritte-<lb/> nen Titel hat, z. B. Vermaͤhlungen, Ceſſionen und dergl. zu verhin-<lb/> dern zu ſuchen, ohne daß darin an und für ſich eine Beleidigung<lb/> gefunden werden kann. <note place="foot" n="2">Die verſchiedenen Anſichten ſind zuſammengeſtellt bei Günther <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 362 ff.</note></p><lb/> <p>Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit der Frage, ob bevor-<lb/> ſtehende oder ſchon eintretende Aenderungen des momentanen Gleich-<lb/> gewichts der Staaten den dadurch möglicher Weiſe in Gefahr ge-<lb/> rathenden ein Recht zum thatſächlichen Widerſtande geben. Be-<lb/> ruht die Veränderung auf bereits vorhandenen rechtmäßigen Titeln,<lb/> ſo wird jeder Widerſtand in der Regel unrechtmäßig ſein; außer-<lb/> dem aber kann die Präventivpolitik ihre ganze Thätigkeit zur Hin-<lb/> derung des Bevorſtehenden entwickeln. <note place="foot" n="3">Hier iſt vorzüglich die Coalitionspolitik an ihrem Ort. Darauf beruhten<lb/> unter anderm die großen Coalitionen in Betreff der Spaniſchen Monarchie<lb/> vor Abſterben König Carls <hi rendition="#aq">II.</hi>, der Deutſche Fürſtenbund von 1785, die<lb/> Coalition gegen Napoleon u. ſ. f.</note></p><lb/> <p>Nur deutlich erkennbare Beſtrebungen einer Macht zu einer<lb/> Univerſalherrſchaft verſetzen unbedenklich alle übrigen in den Fall<lb/> eines Nothſtandes.</p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0076]
Erſtes Buch. §. 30.
Begreiflicher Weiſe läßt ſich in den Staatenverhältniſſen nicht
der engere Maaßſtab anlegen, wornach der Gebrauch der vorſte-
henden Grundſätze in Privatverhältniſſen beurtheilt werden muß.
Bei dem Geheimniß, worin ſich die Politik einhüllt, iſt es oft ſchwer,
die Abſichtlichkeit einer Richtung, das wahre Ziel einer Bewegung
zu erkennen. Zuweilen wird ſelbſt längere Beobachtung des ganzen
Syſtems eines Hofes doch nur Vermuthungen an die Hand geben
und ein Irrthum ſehr zu entſchuldigen ſein. Gewiß iſt aber auch
Vorſicht gegen Uebereilungen und gegenſeitige Offenheit geboten. 1
Daß der bedeutende, obwohl völlig legitime Anwachs einer ein-
zelnen Macht, weil ſie in der Folge einmal gefährlich werden könnte,
noch keinen Zuſtand der Nothwehr oder eines rechtmäßigen Krieges
hervorrufe, zeigt ſich in dem Mangel an den erforderlichen Bedin-
gungen der Nothwehr, hauptſächlich eines wirklich zu befürchtenden
unrechtmaͤßigen Angriffs. Auch kann das Coloſſale einer Macht noch
nicht als ein ſchon vorhandener Nothſtand für die Uebrigen angeſehen
werden. Unbedenklich liegt es aber in deren Befugniſſen, jeder fer-
neren Vergrößerung einer Macht, wozu ſie noch keinen unbeſtritte-
nen Titel hat, z. B. Vermaͤhlungen, Ceſſionen und dergl. zu verhin-
dern zu ſuchen, ohne daß darin an und für ſich eine Beleidigung
gefunden werden kann. 2
Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit der Frage, ob bevor-
ſtehende oder ſchon eintretende Aenderungen des momentanen Gleich-
gewichts der Staaten den dadurch möglicher Weiſe in Gefahr ge-
rathenden ein Recht zum thatſächlichen Widerſtande geben. Be-
ruht die Veränderung auf bereits vorhandenen rechtmäßigen Titeln,
ſo wird jeder Widerſtand in der Regel unrechtmäßig ſein; außer-
dem aber kann die Präventivpolitik ihre ganze Thätigkeit zur Hin-
derung des Bevorſtehenden entwickeln. 3
Nur deutlich erkennbare Beſtrebungen einer Macht zu einer
Univerſalherrſchaft verſetzen unbedenklich alle übrigen in den Fall
eines Nothſtandes.
1 Ueber das hier eintretende Fragerecht ſ. unten bei der Materie der Inter-
vention.
2 Die verſchiedenen Anſichten ſind zuſammengeſtellt bei Günther I, S. 362 ff.
3 Hier iſt vorzüglich die Coalitionspolitik an ihrem Ort. Darauf beruhten
unter anderm die großen Coalitionen in Betreff der Spaniſchen Monarchie
vor Abſterben König Carls II., der Deutſche Fürſtenbund von 1785, die
Coalition gegen Napoleon u. ſ. f.
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